Es war der Tag der Wahrheit. Im Gefängnis war der Angeklagte Oliver H. isoliert und unter hohen Sicherheitsmaßnahmen in seiner Zelle in der Untersuchungshaft in Würzburg gesessen. Seine Identität wurde geheim gehalten, um Übergriffe anderer Gefangener zu verhindern. Schließlich stehen Gefangene, die sich an Kindern vergangen haben, in der Hackordnung im Knast an allerletzter Stelle.
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An diesem Donnerstagmorgen jedoch rief ein Wärter gut vernehmlich quer über den Gang: "Herr H., fertig machen für Ihren Prozess." Da war es vorbei mit der Geheimhaltung, wie Anwälte am Rande des Prozesses erzählten.
Vor den Blicken der Eltern kann sich der Angeklagte nicht schützen
Das Betreten des Sitzungssaals im Landgericht Würzburg wurde am Morgen zum Spießrutenlaufen für den Angeklagten. Mühsam verbarg der 38-Jährige sein Gesicht hinter einem Aktenordner vor den Kameras. Vor den Blicken der Eltern jener Kinder, die er missbraucht hatte, konnte ihn nichts schützen. Sie werden ihm mit ihren Anwälten elf Verhandlungstage lang buchstäblich im Nacken sitzen.
Dem Mann wird 66-facher schwerer sexueller Missbrauch von behinderten Kindern sowie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie vorgeworfen. Der Vorsitzende Richter Michael Schaller macht schnell klar, dass für das Verlesen der 27-seitigen Anklageschrift die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird. Zuhörer und Journalisten müssen nach draußen – wie noch öfter im weiteren Verlauf dieses ersten Prozesstages. Sie dürfen über weite Strecken der Verhandlung nicht beiwohnen. So soll vermieden werden, dass Details der Missbrauchstaten oder die Identität der Opfer bekannt werden.
Die Schilderungen der taten sind unerträglich
Es reicht auch schon, was die Journalisten in der Anklageschrift zu lesen bekommen: Die Schilderungen über die Misshandlungen von sieben kleinen Buben, die heute zwischen sieben bis 13 Jahre alt sind, sind nahezu unerträglich.
Später kündigt Jan Paulsen, der Verteidiger des mutmaßlichen Täters, ein "umfassendes Geständnis" seines Mandanten an. Und er hielt Wort – und legte offenbar die Wahrheit auf den Tisch: Er habe "ohne Wenn und Aber gestanden", sagte selbst einer der Nebenklage-Anwälte am Rande des Prozesses. Der Logopäde habe "die Taten aus der Anklage im vollen Umfang eingeräumt", sagt später Gerichtssprecher Rainer Volkert, der die Journalisten über die nichtöffentliche Sitzung informiert. Der Logopäde habe "unter Tränen" zugegeben, dass er inzwischen verstehe, wie sehr er Vertrauen missbraucht habe.
Der Angeklagte beantwortet die Fragen des Gerichts
Der 38-jährige Mann habe auch über mehrere Stunden hinweg ausführlich Fragen des Gerichts zu seinem Verhalten beantwortet, sagte der Sprecher, ohne ins Detail zu gehen. Schon mit 18 Jahren habe der Angeklagte Gefallen an Kinderpornos gefunden. Als die Angst vor Entdeckung immer größer wurde, suchte er ab etwa 2010 im Darknet auf verborgenen Plattformen nach Bildern, die ihn befriedigten.
Das perfide dabei: Die dortigen Anbieter, die verdeckte Ermittler fürchten, verlangten von ihm eine sogenannte "Keuschheitsprobe": Er musste zunächst selbst strafbare Bilder liefen, ehe er welche bekam – eine Möglichkeit, um sich vor Entdeckung zu schützen.
Verbotene Bilder für verbotene Bilder
Die Betreiber von Plattformen, die sich zynisch "The Love Zone" oder "Babyheart" nannten, verlangten detailliert Missbrauchshandlungen an ihm anvertrauten Kindern, die er filmen sollte. Und je härter die Bilder waren, die er wollte, umso härter war im Tausch der gefilmte Missbrauch, den er liefern musste. "Die Vorgaben beinhalteten Anweisungen zu den dargestellten Handlungen, zu konkreten Gegenständen, die zu verwenden seien und zur Kennzeichnung der Aufnahme mithilfe eines beschrifteten Zettels", heißt es in der Anklage.
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Um Zutritt zu den geschlossenen Bereichen dieser Anbieter zu bekommen, begann der Logopäde zwischen 2008 und 2012 damit, eigene Aufnahmen zu machen, während er den kleinen Buben auf viele Arten Gewalt antat, deren Schilderung sich hier verbietet. Er wählte dazu Kinder aus seinen Therapiestunden aus, die geistig behindert waren oder starke Entwicklungseinschränkungen hatten und die sich gegenüber ihren Eltern nicht artikulieren konnten.
Weitere Details seines Vorgehens soll ein Ermittler im Zeugenstand erzählen – wenn der Prozess an diesem Freitag weitergeht. Dann sollen im Zeugenstand auch einige Eltern berichten, wie ihre Kinder auf den Missbrauch reagierten und wie es den Jungen heute geht.
Den betroffenen Kindern und Eltern kann man nur aus tiefsten Herzen wünschen, dass sie einfühlsame und verantwortungsbewusste Therapeuten finden, die sich umfassend und mit echter Hingabe um sie kümmern.
Ich wünsche ihm lebenslängliche Quarantäne in der forensischen Psychiatrie.