
Der Michelin-Führer gilt als die Bibel der Feinschmecker. Wer es geschafft hat, sich einen oder gar mehrere der begehrten Michelin-Sterne zu ergattern, der darf sich angekommen fühlen im Olymp der gehobenen Gastronomie. Was bisher nur für Restaurants galt, hat Michelin nun auch auf Hotels ausgedehnt. Statt ein, zwei oder drei Sterne gibt es "Keys", also Schlüssel, für besonders herausragende Herbergen. 119 Hotels hat Michelin in Deutschland ausgezeichnet, davon 80 mit einem Schlüssel. Nur eines davon liegt in Unterfranken: das familiengeführte Hotel Weingut Meintzinger in Frickenhausen. Und darüber wundern sich die Eigentümer offensichtlich am meisten.
Für Hotel- und Weingutchef Jochen Meintzinger kam die Nachricht völlig überraschend. "Erst dachte ich, da macht sich jemand einen Spaß", sagt er. Erst die Nachfrage bei der Michelin-Redaktion brachte Gewissheit. "Es grenzt schon an ein Wunder, dass wir da drin sind", meint Michaela Voshagen, die das Hotel 2005 zusammen mit ihrem damaligen Ehemann übernommen hatte. Die Ehe ging inzwischen zu Bruch, doch wenn es um das Hotel und das Weingut geht, halten Michaela und Jochen gemeinsam mit ihren Kindern Eva und Philipp fest zusammen.

"Ich hab mir die Liste der anderen Hotels mal angeschaut", sagt Michael Voshagen, "das sind alles Vier- oder Fünf-Sterne-Häuser, und wir haben nicht einmal einen." Tatsächlich habe man bewusst auf die branchenübliche Kategorisierung durch den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband verzichtet, erläutert Jochen Meintzinger. "Wir wollten unser Ding machen und uns nicht Bewertungskriterien unterordnen", sagt er.
Der Guide Michelin verfolgt ganz eigene Bewertungsmaßstäbe
Einen ganz eigenen Weg verfolgt auch der Guide Michelin mit seinen Bewertungsmaßstäben, wie aus einer Pressemitteilung hervorgeht. Die offiziellen Sterne spielen auch hier keine Rolle. Neben der Qualität von Ausstattung und Service zählen beispielsweise die Architektur, die Beziehung des Hotels zur Reiseregion, die Ausgewogenheit zwischen Reiseerlebnis und Preis sowie die Authentizität.

An letzterer dürfte es dem Hotel Meintzinger nicht mangeln. "Die Leute spüren, dass sie auf einem Weingut übernachten", sagt Michael Voshagen. Die Symbiose zwischen Wein und Tourismus hatte schon Jochens Vater Götz im Sinn, als er das Weingut, das er in sechster Generation führte, 1978 um ein Hotel erweiterte. Eine Scheune mit stattlichem Stufengiebel aus der Zeit um 1900 hat er dazu umgebaut. "Mein Vater war schon immer ein Vorreiter in der Weinvermarktung, weil er wusste, dass man Wein mit Emotion verkauft", sagt Jochen Meintzinger. "Er war damals vielleicht etwas zu früh dran, aber der Weg war richtig."

Nachdem sie 2005 das Hotel übernommen hatten, haben die Meintzingers erst mal gründlich investiert. "Wir haben uns dabei ganz klar auf eine jüngere Zielgruppe konzentriert", sagt Michaela Voshagen. "Das war nicht leicht, denn wir galten als sehr konservatives Haus." Als Prämisse galt, dass keines der damals 21 Zimmer dem andern gleichen sollte. "Das ist etwas, was die Leute schätzen."
Dabei haben sie sich stets von ihrem eigenen Geschmack leiten lassen, erzählt Jochen Meintzinger. "Wir haben das Geld immer so investiert, wie es uns gefällt und wir uns wohlfühlen", sagt er, "es ging nie darum, dass es sich schnell rentiert." Entsprechend eng war das Budget. "Es war schon ein finanzieller Kraftakt", erinnert sich Michaela Voshagen. "Unser Plus waren die Online-Buchungsportale", ergänzt Jochen Meintzinger, "durch die Bewertungen dort sind wir immer weiter nach oben gewandert."

Schrittweise wurden weitere Gästezimmer eingerichtet. Richtigen Auftrieb habe das Hotel aber erst durch die Erweiterung um den benachbarten Barockbau - den sogenannten Fürstenbau - Mitte der 2010er Jahre erlebt. Die ehemalige Kellerei des Würzburger Domkapitels hatte Jochens Vater bereits 20 Jahre zuvor gekauft.
Highlight ist ein gläserner Tagungsraum im barocken Dachgebälk
Architektonisches Highlight dort ist der gläserne Kubus, den der Würzburger Architekt Reinhard May im dreistöckigen Dachstuhl eingeplant hat. Nach allen Seiten gibt er den Blick frei auf das rohe Gebälk aus dem 17. Jahrhundert. Gerne werde der "Cube" auch von Firmen aus der Region für Tagungen und Meetings gebucht.

"Diese einzigartige Unterkunft ist historisch inspiriert, aber modern in ihrer Vision", schreibt der Guide Michelin in seiner Bewertung. "Hinter den schweren Steinwänden liegen 29 Zimmer, die antike und zeitgenössische Elemente miteinander verbinden und dabei nie vor modernen Farben und einer kühnen grafischen Sensibilität zurückschrecken." Zweimal seien Tester von Michelin bei ihnen abgestiegen, hat Jochen Meintzinger inzwischen in Erfahrung gebracht. Zu erkennen gaben sie sich nicht.
Mittlerweile steht bei Meintzingers die nächste Generation in den Startlöchern. Sohn Philipp soll einmal das Hotel und Weingut in Frickenhausen übernehmen. Ganz wohl ist dem Juniorchef nicht bei dem Gedanken an die Auszeichnung des renommierten Hotelführers. "Es ist natürlich schön, dass wir diesen Key bekommen haben", sagt er, "aber ich fürchte, dass jetzt Gäste mit falschen Erwartungen zu uns kommen." Einen Portier, der die Koffer aufs Zimmer bringt und den Wagen parkt, gebe es nämlich nicht. Und auch das obligatorische "Du" im Umgang mit den Gästen sei vielleicht nicht jedermanns Sache. Sein Vater nimmt's gelassen: "Das Beste ist, sich selber treu zu bleiben und frischen Wind zuzulassen."
Vielleicht könnte er sich in einem ersten Schritt mal abgewöhnen, die Füße auf dem Tisch abzulegen.