Sergej Rachmaninows zweites Klavierkonzert ist ein in jeder Hinsicht exzessives Stück. Es ist über die Maßen schwer, über die Maßen laut und über die Maßen schön. Man kann es als gigantischen erotischen Tagtraum interpretieren und dabei an Marilyn Monroe im Billy-Wilder-Film "Das verflixte siebte Jahr" denken, wie es das Programmheft zum zweiten Sinfoniekonzert der Saison des Mainfranken Theaters vorschlägt.
Oder man kann es als Naturgewalt auffassen, als eine Art Erdrutsch aus Klang und Emotion, der alles mit sich reißt - Orchester, Solist, Dirigent und nicht zuletzt das Publikum. Stellenweise konnte man diesen Eindruck gewinnen, beim ersten der beiden Abende mit dem Philharmonischen Orchester Würzburg im ausverkauften Großen Saal der Musikhochschule.
Was keinesfalls heißen soll, dass hier unbewusst oder gar unreflektiert musiziert worden wäre. Im Gegenteil: Der Pianist Bernd Glemser, 61, Professor an der Musikhochschule und Inhaber einer kundigen und treuen Fangemeinde, ist ein Meister der Kontrolle und des Timings auch und gerade in dramatischsten Situationen. Aber er ist eben auch ein Meister der Wucht und der Entfesselung.
Scheinbare Selbstvergessenheit und hellwache Reaktionsbereitschaft
Glemser unterscheidet sehr bewusst zwischen Momenten, in denen Durchhörbarkeit oberstes Gebot ist, und solchen, in denen es um Farbe, Textur, Atmosphäre geht. Dieses permanente Miteinander von scheinbarer Selbstvergessenheit und hellwacher Reaktionsbereitschaft macht sein Spiel so mitreißend. Das und sein unbedingter Wille zum Kontakt mit dem Orchester. Wenn er nach einem Einschnitt den Wiedereinstieg oder im Getümmel einen der vielen Tempowechsel anführt, kann sich niemand seiner Energie entziehen.
So entpuppt sich die vermeintliche Naturgewalt Rachmaninows dann doch als zutiefst menschliches Drama, das niemanden im Saal unberührt lässt. Lange Ovationen und eine quirlig poetische Zugabe, bevor nach der Pause das Orchester selbst seinen großen Auftritt hat. Mit Igor Strawinskys "Petruschka".
Die "Musik zu burlesken Szenen in vier Bildern", so der Untertitel, ist eine hochkomplexe Mischung aus gewaltiger Gemeinschaftsaufgabe und maximal exponierten Soli. Gastdirigent Marcus Bosch, 54, ist an diesem Abend vor allem ein Organisator, der ohne Taktstock, mit eher kleinen, schnellen, präzisen Gesten all die Taktwechsel, die jähen Umbrüche, die immer neu sich formierenden Allianzen zwischen den Instrumentengruppen in die Wege leitet.
Zwei dunkle und bewegte Stücke für dunkle und bewegte Zeiten
Die Dynamik überlassen Bosch und die Philharmoniker weitgehend der Instrumentierung, schließlich hat sich Strawinsky sehr genau überlegt, wer wann was zu spielen hat. So wirkt auch dieses Werk in den Tuttipassagen recht laut, nicht selten schrill, nie aber geht eines der durchwegs gelungenen Soli in Klavier, Celesta, Klarinette, Flöte, Oboe, Horn, Fagott, Horn, Posaune, Trompete oder Geige verloren. Die Gemeinschaftsaufgabe besteht hier eben auch darin, Kolleginnen und Kollegen optimal in Szene zu setzen, und die erfüllt das Orchester mit kollegialer Brillanz.
Rachmaninow und Strawinsky - zwei dunkle und bewegte Stücke für dunkle und bewegte Zeiten. Eines voller Momente der Hoffnung, das andere eher eine Parabel auf die Unausweichlichkeit des Schmerzes und die Endlichkeit der Existenz. Reichlich Ohrwürmer und Stoff zum Nachdenken für den Heimweg durch die regennasse Nacht.