
Vergangenes Jahr hatte sie bundesweite Bekanntheit erlangt: Ausgerechnet an ihrem 100. Geburtstag war Maria Herbst den Grünen beigetreten – als Zeichen gegen den aufkeimenden Rechtsextremismus. In der Nacht auf Mittwoch ist die Würzburgerin an den Folgen eines Sturzes gestorben.
"Demokratie muss gelebt und verteidigt werden"
Ihre Stimme für die Bundestagswahl hatte sie einige Tage zuvor noch abgegeben. "Sie wollte unbedingt persönlich ins Rathaus gehen, um vor Ort zu wählen", berichtet der mit der Verstorbenen vertraute Simon Wagner. "Demokratie muss gelebt und verteidigt werden" – das sei ihre tiefe Überzeugung gewesen. Ihr Wunsch: Dass am kommenden Sonntag möglichst viele zur Wahl gehen und Position beziehen für Toleranz und Vielfalt.
In wenigen Tagen wäre Maria Herbst 101 Jahre alt geworden. Bis zuletzt war sie sehr am politischen Geschehen interessiert. Eigentlich sollte sie im Januar noch gemeinsam mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock bei deren Kundgebung in der Posthalle auftreten. Doch Rückenprobleme machten ihr seit einiger Zeit zu schaffen, die Begegnung entfiel.
Vor einem Jahr fand die Berichterstattung über den ungewöhnlichen Schritt der 100-Jährigen einen starken Widerhall. Reihenweise fragten Medien um Interviews an – Maria Herbst erzählte allen von ihrer Motivation. Sie berichtete, wie sie rechtsextreme Ausgrenzung und Stimmungsmache durch die AfD an die dunklen 30er Jahre erinnern.
Als junges Mädchen hatte sie miterlebt, wie SA-Trupps Parolen grölten und Juden öffentlich schikaniert wurden. Die Rentnerin zeigte sich besorgt ob der aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland: "Das ist der gleiche Anfang wie damals. Der Unterschied ist: Den Leuten geht es heute gut. Bei uns standen die Arbeitslosen auf der Straße und es gab Essensmarken." Heute werde gegen Fremde gehetzt, sagte sie. Damals sei es vor allem eine judenfeindliche Propaganda gewesen.

Was Krieg und Gewalt bedeuten, das hat Maria Herbst im Zweiten Weltkrieg am eigenen Leib erfahren. Erst die Entbehrungen der Kriegszeit, Hunger, Lebensmittelkarten. Und dann die Bombennacht des 16. März 1945, als die Würzburger Innenstadt zu 90 Prozent zerstört wurde. Mit ihrer Familie floh die damals 21-Jährige beim Bombenalarm in die Grombühler Hänge. Demnächst jährt sich Brandnacht mit fast 4000 Toten zum 80. Mal.
Unverhoffter Nebeneffekt der Berichterstattung vor einem Jahr: Beim gemeinsamen Zeitunglesen in einem Würzburger Seniorenheim erkannte die 99-jährige Hildegard Rüb ihre alte Kindergartenfreundin Maria Herbst wieder. Die beiden hatten sich über 80 Jahre lang nicht gesehen. Zwei Tage später kam es zu einem bewegenden Treffen.