
Theaterleute behaupten ja gerne, ihre Arbeit sei für das Verstehen unserer Gegenwart unverzichtbar, egal, ob es um Figuren wie Hamlet, Siegfried, Tosca oder Medea gehe. Und tatsächlich ist das, was den Heldinnen und Helden auf der Bühne widerfährt, oft von solch tiefer menschlicher Bedeutung, dass die Behauptung meistens zutrifft.
Selten allerdings scheint ein Stück so dringend in die Jetztzeit zu passen wie die Kammeroper "Weiße Rose" von Udo Zimmermann aus dem Jahr 1986. Und das ist - leider - keine erfreuliche Feststellung.
Die Regisseurin, Dramatikerin, Autorin und Psychologin Nina Kupczyk, geboren 1979 in Bremen, inszeniert derzeit die "16 Szenen für zwei Sänger und 15 Instrumentalisten" nach einem Libretto von Wolfgang Willaschek für das Mainfranken Theater. Am 16. März ist Premiere im Kleinen Haus.
Das Stück besteht aus einer Folge von Szenen, die innere Zustände wiedergeben
Das Stück ist keine Nacherzählung der Aktionen der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" im München der NS-Zeit, sondern besteht aus einer Folge von Szenen, die die inneren Zustände von Hans und Sophie Scholl (gesungen von Leo Hyunho Kim und Milena Arsovska) kurz vor ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943 wiedergeben. Und diese zeigen nicht nur die Helden, wie sie heute verehrt werden, sondern zwei junge Menschen in Todesangst, die hadern, zweifeln, sich selbst und ihrem Gewissen aber dennoch treu bleiben.
"Das Stück zeigt Zustände aus dem beschädigten Leben", sagt Nina Kupczyk. "Wir arbeiten auf einer metaphorischen Ebene, allerdings ohne klare Symbole." Das Bühnenbild von Aylin Kaip wird aus überdimensionalen Schreibmaschinentasten bestehen, die die einzige Waffe symbolisieren, die die Widerständler haben: das Schreiben. "Die Tasten sind auch eine Anspielung auf Tucholskys Bezeichnung der Schreibmaschine als Gedanken-Klavier", sagt die Regisseurin.

Dass heute eine in Teilen rechtsextremistische Partei, die auf TikTok mit Slogans wie "Weg mit den Viechern" arbeite, immer mehr an Einfluss gewinnt, zeigt der Regisseurin, dass Deutschland aus der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit nichts gelernt habe: "Ich bin fassungslos, was da in den neuen Medien passiert. Die ganze Forschung, die kritische Theorie - alles weg."
Dass die Einstudierung des Stücks dann ausgerechnet in die Zeit der Bundestagswahl fiel, "hat uns geschüttelt", sagt sie. Und empfiehlt, sich das Auftreten von AfD-Chefin Alice Weidel genauer anzuschauen: "Die Art, wie sie spricht, die Melodie, die Kopfhaltung - das ist alles Aggression."
Zentrales Motiv des Stücks ist für die Regisseurin die Frage nach dem richtigen Leben
Das Grundproblem: Es sei nicht möglich, sich geistig mit dem Faschismus auseinanderzusetzen. "Ich habe viele Gespräche geführt. Aber da kommt man an Grenzen, weil alles ideologisch umgedreht wird. Aber eine Sache lasse ich nicht zu, und das ist Menschenverachtung."
Hier setze ihre Arbeit an: Nur das Theater könne das Unsagbare ausdrücken. Nina Kupczyk erklärt das anhand einer Szene: Ein Hausmeister harkt schwarze Asche. Eine Alltagstätigkeit mit einem Alltagsgegenstand. Weiß man aber, dass es die Asche Ermordeter ist, wird die Harke zur Waffe, die Tätigkeit zur monströsen Gefühllosigkeit. "Hier zeigt sich die Banalität des Umgangs mit dem Unvorstellbaren", sagt die Regisseurin.

Zentrales Motiv des Stücks ist für sie die Frage nach dem richtigen Leben. Einem Leben in Empathie und im Einklang mit dem Gewissen. "Es ist wissenschaftlich bewiesen: Unser Gehirn hat eine Struktur. Ich gehe davon aus, dass alle Menschen mit einem inneren moralischen Kompass geboren werden." Die Frage sei: Was bringt Menschen dazu, diesen Kompass zu verlieren? Oder: Was zeichnet die aus, die ihm weiter folgen, auch, wenn es hart wird? So wie Hans und Sophie Scholl.
Das Foucaultsche Pendel als Symbol für ein Leben im Einklang mit dem Gewissen
Gesellschaft funktioniere über die Fähigkeit zur Empathie, sagt Kupczyk: "Der Verlust dieser Fähigkeit und das Verlassen des Dialogs gefährden die Demokratie und die menschlichen Werte." Natürlich wollten die Menschen einfache Antworten. Das sei verständlich. "Der mündige Mensch muss sich nunmal anstrengen. Aber Hass und Menschenverachtung sind nie der richtige Weg."
Für das Bewahren innerer Haltung bei äußerem Druck haben Nina Kupczyk und Bühnenbildnerin Aylin Kaip ein starkes Symbol gefunden: das Foucaultsche Pendel. Mit dem Pendel, dessen Ausschlag ohne erkennbaren Einfluss von der perfekten Geraden abweicht, wies der französische Physiker Léon Foucault 1851 die Erdrotation nach. Denn im Experiment verlässt nicht das Pendel die Schwingungsebene. Es bleibt sich gleichermaßen treu. Es ist vielmehr die Erde, die sich unter der Schwingungsebene des Pendels wegdreht.
"Weiße Rose": Kammeroper in 16 Szenen von Udo Zimmermann mit einem Libretto von Wolfgang Willaschek. Premiere am 16. März, 18 Uhr, Kleines Haus des Mainfranken Theaters. Auf dem Spielplan bis Juni. Karten: Tel. (0931) 375-375, www.mainfrankentheater.de