
Knapp 20 Jahre ist er jetzt schon im Amt, um den Journalistinnen und Journalisten der Main-Post den Spiegel vorzuhalten. Jeden Samstag wirft Anton Sahlender als Leseranwalt einen kritischen Blick auf die Arbeit der Redaktion und bespricht strittige Artikel aus medienethischer oder presserechtlicher Sicht. Was 2004 noch einmalig war, hat sich inzwischen in vielen Redaktionen etabliert. Seit 2012 gibt es die deutschlandweite Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
"Ich bin a weng a Überzeugungstäter", sagt das langjährige Mitglied der Main-Post-Chefredaktion über seine Motivation. Im Interview spricht der heute 73-Jährige über seine Arbeit, Konflikte mit der Redaktion und darüber, ob der Leseranwalt eigentlich überflüssig sein sollte.
Anton Sahlender: Ja, natürlich! Es ist zwar immer besser, sich zuerst an die verantwortliche Redaktion zu wenden, aber in der Praxis kommen manche direkt zu mir. Häufig beschweren sich die Leute aber nicht, sondern sie sind sich über etwas im Unklaren. In vielen Fällen arbeite ich auch aus eigenem Antrieb, ohne dass sich eine Leserin oder ein Leser an mich gewandt hat. Wenn ich den Eindruck habe, dass hier etwas einer Erklärung bedarf.
Sahlender: Da geht es nicht nur um redaktionelle Fehler. Wir Ombudsleute wollen zur Medienkompetenz beitragen. Deshalb erkläre ich häufig die Arbeit von Redaktionen. Die Leserinnen und Leser sollen verstehen, warum etwas so berichtet wurde und warum das richtig oder falsch sein kann.
Sahlender: Ich betrachte die Dinge zuerst durch die Augen der Leserinnen und Leser. Ich frage mich: Warum regt sich jemand auf? Warum wird hier etwas unterstellt und ist da was dran? Im ersten Schritt versuche ich dann zu zeigen, dass ich verstanden habe, worum es der Person geht. Im zweiten Schritt erkläre ich die rechtlichen oder ethischen Hintergründe, aber auch manchmal einfach journalistische Arbeitsabläufe.
Sahlender: Ja, weil ich nicht nur ihre Seite, also die Entstehung einer Geschichte, betrachte, sondern vor allem das, was bei Leserinnen und Lesern ankommt. Aber ich will auch in die Redaktion hineinwirken. Häufig herrscht hier nicht die gleiche Kritikfähigkeit, die in Meinungsbeiträgen von Politikern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens eingefordert wird. Redaktionen müssten etwas gelassener sein, öfter eigene Schwächen anerkennen und zugeben, selbst zu zweifeln, sich nicht sicher zu sein.

Sahlender: Damals hat das Internet noch keine Rolle gespielt. Dadurch verändert sich der Journalismus und erreicht andere Menschen. Er läuft heute über andere Kanäle und präsentiert sich neu, Überschriften etwa klingen anders. Gleichzeitig gibt es weiter grundsätzliche Werte und Aufgaben der Presse. Das darf auch im Netz nicht verloren gehen.
Sahlender: Medienombudsleute müssen immer so arbeiten, als wollten sie sich selbst überflüssig machen. Ich möchte der Redaktion mitgeben, dass sie meine Arbeit eigentlich selbst machen müsste. Wir hätten uns in der Vergangenheit als Redaktionen öfter erklären, mehr von uns und unserer Arbeit preisgeben sollen. Das schafft Vertrauen. Es gibt zwar noch viel Vertrauen, aber das Misstrauen wird größer. Meiner Meinung nach liegt das auch daran, weil wir es versäumt haben, unsere Arbeit ausreichend zu erklären und die nötige Medienkompetenz zu vermitteln.