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Würzburg
Jurist Dreier: "Wichtig, bald Kitas und Schulen wieder zu öffnen"
Eine Forschergruppe, zu der der Würzburger Juraprofessor Horst Dreier zählt, hat im Auftrag des Ifo Instituts eine gestaffelte Exit-Strategie erarbeitet. Wie sieht sie aus?
Blick auf den Platz vor dem Würzburger Hauptbahnhof am vergangenen Samstag. Die Bänke sind mit Absperrbändern blockiert, denn Sitzen und Verweilen sind in Zeiten der Corona-Krise nicht erwünscht.
Foto: Daniel Peter | Blick auf den Platz vor dem Würzburger Hauptbahnhof am vergangenen Samstag. Die Bänke sind mit Absperrbändern blockiert, denn Sitzen und Verweilen sind in Zeiten der Corona-Krise nicht erwünscht.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 24.03.2021 07:14 Uhr

Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus schränken nicht nur das öffentliche Leben massiv ein, sondern betreffen auch die elementaren Grundrechte. "In Umfang, Breite und Tiefe sind das die massivsten Grundrechtseinschränkungen, die man je in der Bundesrepublik erlebt hat", sagt Horst Dreier, Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg. Viele Menschen fragen sich, wie lange das noch so bleiben wird. Wann und wie werden die Einschränkungen des öffentlichen Lebens im ganzen Land wieder gelockert? Auf Anregung des Münchner Ifo Instituts hat der 65-jährige Staatsrechtler an einer möglichen Exit-Strategie mitgearbeitet. Wie könnte diese aussehen? Was darf der Staat in Krisenzeiten überhaupt? Der Würzburger Jurist hat die Antworten.

Professor Horst Dreier, Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph an der Universität Würzburg.
Foto: Annabelle Meier | Professor Horst Dreier, Verfassungsrechtler und Rechtsphilosoph an der Universität Würzburg.

Sie haben mit einer Forschergruppe eine Exit-Strategie vorgelegt. Was sind die zentralen Punkte?

Horst Dreier: Die zentralen Punkte waren vor allem, über denkbare Lockerungsmöglichkeiten der einschneidenden Maßnahmen in einer Art von Stufenplan nachzudenken und dabei nach Sektoren, Personengruppen und Regionen zu unterscheiden. Im Augenblick sind die Einschränkungen ja außerordentlich pauschal, wir plädieren für sachangemessene und dem jeweiligen Risiko entsprechende Differenzierungen. Differenzierung ist das Gebot der Stunde.

Könnten Sie diese Differenzierung genauer beschreiben?

Dreier: Regionen mit niedrigen Infektionsraten und freien Kapazitäten im Gesundheitssystem könnten beim allmählichen Neubeginn vorangehen. Es ist wichtig, alsbald Kitas und Schulen wieder zu öffnen: für die Kinder, aber auch für deren Eltern, damit diese wieder normal zur Arbeit gehen können. Differenzierung bedeutet auch, dass bestimmte Personengruppen, wie eben Kinder und Schüler, die weniger betroffen und weniger gefährdet sind, möglichst bald zur Normalität zurückkehren können.

Was müsste die Bundesregierung noch tun?

Dreier: Wichtig wäre natürlich, dass wir endlich ausreichend Atemschutzmasken hätten. Auch über den Einsatz digitaler Mittel ist nachzudenken, also bestimmte Apps für das Handy.

Die Coronakrise hat die Bewegungsfreiheit der Bürger massiv eingeschränkt. Wie ordnen Sie das rechtlich ein?

Dreier: Die staatlichen Maßnahmen haben nicht nur die Bewegungsfreiheit aller Bürger eingeschränkt, sondern etwa auch die Berufs- und Eigentumsfreiheit vieler Menschen sowie deren Versammlungs- und Religionsfreiheit, wenn Sie etwa an das Verbot der Gottesdienste denken. Zum ersten Mal seit Menschengedenken wird es keine Ostergottesdienste geben. Das wäre noch vor kurzem unvorstellbar gewesen. In Umfang, Breite und Tiefe sind das die massivsten Grundrechtseinschränkungen, die man je in der Bundesrepublik erlebt hat.

Ausnahmezustand in Deutschland: An sonst belebten Orten wie hier an der Würzburger Residenz ist es momentan gespenstisch leer. 
Foto: Silvia Gralla | Ausnahmezustand in Deutschland: An sonst belebten Orten wie hier an der Würzburger Residenz ist es momentan gespenstisch leer. 

In Berlin klagt jetzt ein Priester. Er ist der Ansicht, das Gottesdienstverbot sei unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Wie beurteilen Sie die Situation der Kirchen? 

Dreier: In den Kirchen könnte man das doch so machen wie im Bundestag oder bei Pressekonferenzen. Dann lässt man einfach jede zweite und dritte Reihe frei und öffnet die Gotteshäuser nur für eine begrenzte Anzahl an Personen. Außerdem könnte man die Priester ermuntern, mehrere Gottesdienste pro Tag zu feiern.

Vielen Menschen wurde durch die Schließung von Geschäften die Ausübung ihres Berufs untersagt, ein Eingriff in die Berufsfreiheit und die Eigentumsfreiheit. Darf eine Demokratie so etwas tun und wenn ja auf welcher rechtlichen Basis?

Dreier: Prinzipiell sind alle Grundrechte einschränkbar – übrigens auch die informationelle Selbstbestimmung, also das Recht auf Datenschutz. Das gilt natürlich auch für Beruf und Eigentum. Aber diese Eingriffe müssen verhältnismäßig sein, was vor allem heißt, dass sie erforderlich und angemessen sein müssen. Es darf also keine milderen Mittel zur Erreichung des erstrebten Ziels geben, und es muss eine vernünftige Relation zwischen den Einschränkungen und dem dadurch verfolgten Zweck geben. Der Staat hat beständig zu prüfen, ob das gegeben ist oder ob nicht Lockerungen vorgenommen werden können. Vieles erschließt sich mir auch nicht: Warum sind zum Beispiel Buchhandlungen geschlossen, Metzgereien aber geöffnet? 

Für wie belastbar halten Sie die Zahlen, die die Grundlage zu einem solchen Handeln der Regierung bilden?

Dreier: An den Zahlen habe ich gar keinen Zweifel, man muss sich nur klar machen, was sie besagen und was nicht. Wir schauen immer auf die täglich steigende Zahl von Infizierten, doch das sind nur diejenigen, die getestet wurden. Es gibt also eine vermutlich recht große Dunkelziffer von Personen, die infiziert sind, ohne getestet worden zu sein, also in der Statistik nicht auftauchen. Und wir wissen natürlich auch nicht, wie viele von denen längst genesen und immun gegen das Virus sind, was ja Grund zur Hoffnung gäbe.

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Warum werden alle diese Maßnahmen so widerstandslos hingenommen?

Dreier: Vielleicht, weil die meisten Menschen vernünftig sind und jedenfalls den grundsätzlichen Sinn und Zweck dieser Maßnahmen gut verstehen und nachvollziehen können. Die schrecklichen Bilder aus anderen Ländern mit verzweifelten Ärzten und Krankenschwestern tun sicher ein übriges.

Hätte ich mit einer Klage gegen die Einschränkungen eine Chance?

Dreier: Gegen die einschlägige bayerische Rechtsverordung ist schon vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt worden – erfolglos. So dürfte es Ihnen wohl auch ergehen. Mich würde nicht wundern, wenn die ersten Lockerungen am 20. April einsetzen würden.

 
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    Wenn die Leute, die Schutzmasken besitzen und benutzen, dies auch richtig tun würden, hätte ich geringe Bedenken mit der Aussage Herrn Prof. Dreiers bezüglich der Schutzmaskennutzung.
    Leider bestätigten mir die heutigen Beobachtungen eher das Gegenteil.
    "Das nutzt soviel wie einer Kuh ins Horn gepfetzt."
    Zudem wurde bei einer Lieferung von Masken wohl Österreich "beschissen". Wenn, dann brauchen wir da wohl auch noch eine Prüfung des Materials ...
    Oder noch besser - Selbst herstellen (lassen). Siehe: https://www.projectcarola.org/
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  • L. T.
    Die gegenwärtige Situation rechtfertigt in keinem Fall das Öffnen von Schulen und Kindergärten. Menschenversuche sind in Deutschland nach gewissen Erfahrungen ja wohl verboten.
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  • L. T.
    Manchmal sind solche Massnahmen eben notwendig. Aber es dauert eben bevor es auch der letzte Ignorant begreift.
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  • C. B.
    Wollte jemals jemand wissen wie eine Diktatur kombiniert mit einem Polizeistaat sich anfühlt...???
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  • C. K.
    Professor Horst Dreier gehört zu einer Expertengruppe um den Chef des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest. Unter den Wissenschaftlern sind natürlich auch Ärzte. Sie haben im Auftrag der Regierung einen Stufenplan erarbeitet. Das steht aber auch alles im Text. Schade, dass viele Kommentare so unqualifiziert sind.
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  • R. B.
    Dieser Kommentar trägt nicht zur Diskussion bei und wurde daher gesperrt.
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    Fragt doch mal die MAUS!
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  • R. B.
    Als ob wir nicht schon genug Experten hätten. Aber ein Jahrhundertereignis darf man sich natürlich nicht entgehen lassen, und so meldet sich jeder zu Wort der meint, er müsste auch seinen unmaßgeblichen Senf dazugeben. Sprachlose Schwätzer gibt es zuhauf, da kommt es auf einen mehr oder weniger nicht an. Laut einer Umfrage sind beinahe 95 % der Bürger in Deutschland mit den Maßnahmen der Regierung einverstanden (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-corona-massnahmen-100.html), ich denke das spricht für sich.
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  • S. C.
    Genau. Wir müssen nur immer brav den sogenannten "Umfragen" glauben.

    Es gibt auch immer wieder die Umfragen, die "belegen" wie zufrieden wir alle mit der Arbeit der Bundesregierung und vor allem der Kanzlerin sind *muhaha*
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  • R. B.
    @nogel, in einem Land wie Deutschland müssen Sie gar nichts, Sie können auch an den Osterhasen oder Kermit den Frosch glauben. Es ist schon bezeichnend wie jeden Tag irgend ein selbsternannter Experte meint die Chance nutzen zu müssen, sich mit unqualifiziertem Gerede in die Öffentlichkeit zu bringen; und die Medien nehmen dies dankend an. Für die Menschen in diesem Land ist es bei der Flut an Informationen in Corona-Zeiten schwer genug zu unterscheiden, was substanzvoll ist und was nicht. Herr Dreier kennt nicht ansatzweise die komplexen Ergebnisse und die daraus resultierenden Entscheidungen der Ministerien, welche sich darüber hinaus auch noch täglich ändern. Aus diesem Grund halte ich derartige "Wasserstandsmeldungen" für absolut unangebracht, weil diese bei vielen Menschen falsche Hoffnungen wecken oder auch gegenenfalls manipulieren können.
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  • H. A.
    Die reden von Exit-Strategien, dabei sollten die mal aufs Land schauen, da merkt man nichts von Ausgangsbeschränkungen. Da gehts teilweise schlimmer zu als wenn es ein normaler Werktag wäre. Kontrollen - Fehlanzeige.
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  • G. K.
    Hm ... da will ich doch mal hoffen, dass unsere Regierung auf die Mediziner mehr hört als auf die Juristen ... zwinkern

    Solange wir nicht wissen, wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind, wie viele schon Antikörper in sich tragen, wo wir die erforderlichen Masken und sonstige Schutzausrüstung herbekommen sollen, wie die Gesundheitsämter mit der Nachverfolgung der Infektionsketten nachkommen sollen, wie die aktuellen Neuinfektionen entstehen und wie wir die Patienten in Betreuungseinrichtungen und zuhause adäquat versorgt bekommen, halte ich es persönlich für sehr ambitioniert und tendenziell zu früh, schon wieder über eine Lockerung der Maßnahmen bis hin zur Öffnung der Schulen nachzudenken …

    „Differenzierung“ hört sich immer prima an – aber für eine sinnvolle und präzise Differenzierung benötigt man Informationen, die wir schlicht nicht haben.

    Also werte „Exiteers“ – bitte immer schön einen Schritt nach dem anderen machen und die Realität im Blick behalten!
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    Quod licet Iovi, non licet bovi ... Ich hätte es (fast) auch nicht anders erwartet.
    Die jetzt gefragten Fachleute sind nicht die Juristen und Wirtschaftler.
    Diese Klientel sollte erstmal mit der erforderlichen Demut auf das hören, was ihnen Fachmediziner & Epidemiologen sagen wie vorzugehen ist. Dann wird ein Schuh draus.
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  • L. F.
    Oje, der Professor kennt in diesem Fall nicht den Unterschied zwischen einer Buchhandlung und einer Metzgerei.
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    Schüler und Kindergartenkinder mögen weniger gefährdet sein - das ist doch aber nicht der Punkt! Deren Eltern, Großeltern, Erzieher und Lehrer sind hier unter Umständen die Gefährdeten!
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  • J. B.
    Das habe ich mir auch gedacht.
    Mag sein das der Virus 99 Prozent der Kinder nichts ausmacht, aber es gibt auch Eltern die ihre Kinder mit 35 oder später bekommen haben. Da ist man halt schon 50 und die Großeltern die man versorgen muss schon über 70.
    Also bitte die Schulen so lange wie möglich schließen.
    Massive Grundrechtseinschränkungen :
    Mann darf einkaufen, wandern und Sport machen.
    Was will man mehr. Schaut mal nach Italien oder Spanien, die könnten jammern.
    Und wenn mal die ganzen Dreckschleudern von Kreuzfahrtschiffen nicht fahren ist es gut.
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  • A. S.
    Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu! Kinder stecken sich schließlich nicht nur untereinander an sondern auch Erwachsene. Das geht ratzfatz, da Kinder keine Vorsichtsmaßnahmen einhalten. Das ist ja normal. Außerdem werden Straßenbahnen und Busse wieder hoffnungslos überfüllt sein. Da ist kein Abstand halten möglich .Ich befürchte, wenn die Schulen wieder geöffnet werden, war jede Einschränkung, die wir bisher hingenommen haben, umsonst. Wir werden nach kürzester Zeit eine große Anzahl Neuinfektionen haben. Ich dachte Ziel wäre es, auf ein Level zu kommen, wo Krankenhauskapazitäten ausreichen und man wieder die Infektionsketten nachverfölgen kann. Das kann so nicht funktionieren.
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