
Kaum ein Journalist hat die Geschichte der Bundesrepublik in den vergangenen 50 Jahren so hautnah begleitet wie Stefan Aust. Der 75-Jährige, der unter anderem zwölf Jahre "Spiegel"-Chefredakteur war, hat zudem mehrere Bücher veröffentlicht, allen voran den Bestseller "Der Bader-Meinhof-Komplex". Seine Lebensgeschichte erzählt Aust jetzt im Buch "Zeitreise". Darüber spricht er beim Würzburger Literaturfestival "MainLit" am Donnerstag, 17. März, um 19.30 Uhr im Gut Wöllried. Im Gespräch vorab Interview äußert sich der Journalist, der heute "Welt"-Herausgeber ist, auch zum Krieg in der Ukraine.
Stefan Aust: Ja, im Endeffekt überrascht er einen doch. Dabei habe ich in den letzten Wochen eine ganze Menge Texte geschrieben, in denen ich die Kriegsgefahr als relativ groß skizziert habe. Aber dass Putin tatsächlich Truppen in die Ukraine einmarschieren lässt, konnte auch ich mir nicht so richtig vorstellen. Ich habe gerade einen Text wiederentdeckt, den ich vor sieben Jahren geschrieben habe. Den hätte man zwei Tage vor dem Einmarsch genauso drucken können.
Aust: Das war kurz danach. Historische Vergleiche hinken immer, aber ich habe damals geschrieben: Der Untergang der Sowjetunion wird von Putin und vielen Russen ähnlich als ultimative Niederlage empfunden wie der Versailler Vertrag 1919 von den Deutschen. Und wohin der geführt hat, wissen wir alle…
Aust: Ich glaube, es ist richtig, wenn man sich politisch einigen will, auch die Sichtweise der anderen Seite nachzuvollziehen. Man sollte versuchen, sie zu verstehen - nicht im Sinne von Verständnis zeigen, sondern im Sinne von kapieren. Nur dann lässt sich entsprechend reagieren.
Aust: Ich glaube, man hätte zumindest versuchen müssen, eine Einigung herbeizuführen.
Aust: Eine Einigung wäre auf der Basis des Minsker Abkommens möglich gewesen, das vor allem die Ukraine nicht umgesetzt hat. Zwischen den besetzten Gebieten Luhansk und Donezk sowie der übrigen Ukraine hätte man eine waffenfreie Pufferzone einrichten müssen. Für die Krim hätte man eine ähnliche Lösung wie für das Saarland im Versailler Vertrag finden müssen, also ein Sondergebiet unter Aufsicht der Vereinten Nationen mit der Perspektive, dass die Bevölkerung eines Tages entscheidet, zu welchem Staat sie dazu gehören möchte. Ich weiß nicht, ob das gereicht hätte, den Krieg zu vermeiden, aber man hätte es versuchen müssen.
Aust: Diese Schritte waren notwendig. Ich hoffe aber sehr, dass nicht irgendwer auf den Gedanken kommt, dass wir uns direkt in den Krieg einmischen. Da hat man hoffentlich aus dem Kalten Krieg gelernt. Egal ob Kubakrise oder der Bau der Berliner Mauer: Oberster Grundsatz war, bloß keinen Schritt in das Machtgebiet der anderen Seite zu setzen.
Aust: Ich bin keiner, der andere Journalisten kritisiert. Wenn ich mir allein die "Welt"-Reporter ansehe, die im ukrainischen Kriegsgebiet oder auch in Moskau vor der Kamera stehen oder schreiben, dann machen die eine sehr gute journalistische Arbeit. Ich bin selbst Reporter im Kriegsgebiet gewesen, das ist mit die größte Herausforderung, die man in diesem Beruf haben kann. Es ist nicht nur gefährlich, dort zu arbeiten. Im Nebel des Krieges bekommen Sie oft nicht alles mit, was tatsächlich passiert.
Aust: Ich war im Iran-Irak-Krieg auf der iranischen Seite, als 1982 Chorramschahr zurückerobert worden ist. Ein interessantes Erlebnis, aber das muss man nicht mehrmals haben.
Aust: Ich glaube, ich habe meine Position nicht wesentlich verändert. Vielmehr hat sich der Journalismus verändert.
Aust: Man kann sehen, dass die kritische Betrachtung der Wirklichkeit ein Stück weit dem politischen Aktivismus gewichen ist.
Aust: Das gilt für verschiedene Themen. Energie, Klima, Migration: Die meisten Medien haben in den vergangenen Jahren meistens die Politik der Regierenden unterstützt. Ich betrachte, was von oben kommt, hingegen immer grundsätzlich erst einmal kritisch. Ich bin beim Schreiben oder Filmen nie von vorneherein auf bestimmte Positionen festgelegt, ich will mir die eigene Unabhängigkeit bewahren.
Aust: Nein, niemals war ich auch nur annähernd in Gefahr, mich mit der RAF oder anderen irren Organisationen zu solidarisieren. Nicht die Spur. Ich war nah dran, aber immer als Beobachter am Straßenrand.
Karten für den Gesprächsabend mit Stefan Aust am 17. März in Würzburg gibt es unter www.main-lit.de