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Würzburg
Journalist Stefan Aust: Putins Lage erinnert an Deutschland nach dem Versailler Vertrag
Einer der bekanntesten Journalisten der Republiks kommt zum MainLit-Festival nach Würzburg. Im Gespräch erklärt Stefan Aust, welche Versäumnisse er im Umgang mit Russland sieht.
Der Hamburger Stefan Aust ist einer der bekanntesten Journalisten in Deutschland. Beim Literaturfestival MainLit in Würzburg stellt er seine Autobiografie vor.
Foto: Marcus Brandt, dpa | Der Hamburger Stefan Aust ist einer der bekanntesten Journalisten in Deutschland. Beim Literaturfestival MainLit in Würzburg stellt er seine Autobiografie vor.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:12 Uhr

Kaum ein Journalist hat die Geschichte der Bundesrepublik in den vergangenen 50 Jahren so hautnah begleitet wie Stefan Aust. Der 75-Jährige, der unter anderem zwölf Jahre "Spiegel"-Chefredakteur war, hat zudem mehrere Bücher veröffentlicht, allen voran den Bestseller "Der Bader-Meinhof-Komplex". Seine Lebensgeschichte erzählt Aust jetzt im Buch "Zeitreise". Darüber spricht er beim Würzburger Literaturfestival "MainLit" am Donnerstag, 17. März, um 19.30 Uhr im Gut Wöllried. Im Gespräch vorab Interview äußert sich der Journalist, der heute "Welt"-Herausgeber ist, auch zum Krieg in der Ukraine.

Frage: Prager Frühling, der deutsche Terror-Herbst, der Fall der Berliner Mauer: Herr Aust, Sie haben als Journalist viele historische Momente begleitet. Überrascht Sie aktuell der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine?

Stefan Aust: Ja, im Endeffekt überrascht er einen doch. Dabei habe ich in den letzten Wochen eine ganze Menge Texte geschrieben, in denen ich die Kriegsgefahr als relativ groß skizziert habe. Aber dass Putin tatsächlich Truppen in die Ukraine einmarschieren lässt, konnte auch ich mir nicht so richtig vorstellen. Ich habe gerade einen Text wiederentdeckt, den ich vor sieben Jahren geschrieben habe. Den hätte man zwei Tage vor dem Einmarsch genauso drucken können.

Da ging es um die Annexion der Krim?

Aust: Das war kurz danach. Historische Vergleiche hinken immer, aber ich habe damals geschrieben: Der Untergang der Sowjetunion wird von Putin und vielen Russen ähnlich als ultimative Niederlage empfunden wie der Versailler Vertrag 1919 von den Deutschen. Und wohin der geführt hat, wissen wir alle…

Hat der Westen Putin unterschätzt, waren wir zu naiv?

Aust: Ich glaube, es ist richtig, wenn man sich politisch einigen will, auch die Sichtweise der anderen Seite nachzuvollziehen. Man sollte versuchen, sie zu verstehen - nicht im Sinne von Verständnis zeigen, sondern im Sinne von kapieren. Nur dann lässt sich entsprechend reagieren.

Was haben wir denn nicht kapiert?

Aust: Ich glaube, man hätte zumindest versuchen müssen, eine Einigung herbeizuführen.

Aber es wurde doch wochenlang verhandelt. Wie hätte man sich denn Ihrer Meinung nach einigen können?

Aust: Eine Einigung wäre auf der Basis des Minsker Abkommens möglich gewesen, das vor allem die Ukraine nicht umgesetzt hat. Zwischen den besetzten Gebieten Luhansk und Donezk sowie der übrigen Ukraine hätte man eine waffenfreie Pufferzone einrichten müssen. Für die Krim hätte man eine ähnliche Lösung wie für das Saarland im Versailler Vertrag finden müssen, also ein Sondergebiet unter Aufsicht der Vereinten Nationen mit der Perspektive, dass die Bevölkerung eines Tages entscheidet, zu welchem Staat sie dazu gehören möchte. Ich weiß nicht, ob das gereicht hätte, den Krieg zu vermeiden, aber man hätte es versuchen müssen.

Handelt die Bundesregierung richtig, wenn sie Waffen an die Ukraine liefert und Wirtschaftsbeziehungen zu Russland kappt?

Aust: Diese Schritte waren notwendig. Ich hoffe aber sehr, dass nicht irgendwer auf den Gedanken kommt, dass wir uns direkt in den Krieg einmischen. Da hat man hoffentlich aus dem Kalten Krieg gelernt. Egal ob Kubakrise oder der Bau der Berliner Mauer: Oberster Grundsatz war, bloß keinen Schritt in das Machtgebiet der anderen Seite zu setzen.

"Im Nebel des Krieges bekommen Sie oft nicht nicht alles mit, was tatsächlich passiert."
Sefan Aust über Reporter im Kriseneinsatz
Sehen Sie etwas, was Journalistinnen und Journalisten in der gegenwärtigen Krise anders oder besser machen könnten?

Aust: Ich bin keiner, der andere Journalisten kritisiert. Wenn ich mir allein die "Welt"-Reporter ansehe, die im ukrainischen Kriegsgebiet oder auch in Moskau vor der Kamera stehen oder schreiben, dann machen die eine sehr gute journalistische Arbeit. Ich bin selbst Reporter im Kriegsgebiet gewesen, das ist mit die größte Herausforderung, die man in diesem Beruf haben kann. Es ist nicht nur gefährlich, dort zu arbeiten. Im Nebel des Krieges bekommen Sie oft nicht alles mit, was tatsächlich passiert.

Wo waren Sie im Kriegseinsatz?

Aust: Ich war im Iran-Irak-Krieg auf der iranischen Seite, als 1982 Chorramschahr zurückerobert worden ist. Ein interessantes Erlebnis, aber das muss man nicht mehrmals haben.

Sie waren bei "konkret", bei den "St. Pauli Nachrichten", Sie waren lange Jahre Reporter beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sind als "Spiegel-TV"-Gründer auch ein Pionier des Privatfernsehens, waren "Spiegel"-Chefredakteur, sind "Welt"-Herausgeber. Das reicht von ziemlich weit links bis konservativ. Haben Sie sich in über 50 Jahren verändert - oder hat sich der Journalismus gewandelt?

Aust: Ich glaube, ich habe meine Position nicht wesentlich verändert. Vielmehr hat sich der Journalismus verändert.

Wie denn?

Aust: Man kann sehen, dass die kritische Betrachtung der Wirklichkeit ein Stück weit dem politischen Aktivismus gewichen ist.

"Ich will mir die eigene Unabhängigkeit bewahren."
Stefan Aust über Journalismus
Zum Beispiel wo?

Aust: Das gilt für verschiedene Themen. Energie, Klima, Migration: Die meisten Medien haben in den vergangenen Jahren meistens die Politik der Regierenden unterstützt. Ich betrachte, was von oben kommt, hingegen immer grundsätzlich erst einmal kritisch. Ich bin beim Schreiben oder Filmen nie von vorneherein auf bestimmte Positionen festgelegt, ich will mir die eigene Unabhängigkeit bewahren.

Gerade in den Anfangsjahren waren sie sehr nah dran, unter anderem an Ulrike Meinhof und der RAF. Sind Sie nie Gefahr gelaufen, sich mit deren Sache gemein zu machen?

Aust: Nein, niemals war ich auch nur annähernd in Gefahr, mich mit der RAF oder anderen irren Organisationen zu solidarisieren. Nicht die Spur. Ich war nah dran, aber immer als Beobachter am Straßenrand.

Karten für den Gesprächsabend mit Stefan Aust am 17. März in Würzburg gibt es unter www.main-lit.de

 
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  • R. A.
    Vielen Dank für den Hinweis, wir haben den fehlenden Buchstaben ergänzt.
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