
Mit Hand- und Fußfesseln wird der junge Mann in den Gerichtssaal am Landgericht geführt. Er wirkt sichtlich aufgewühlt und weint. Der Vorwurf: Versuchter Totschlag. Er wolle sich beim Opfer entschuldigen, Schmerzensgeld zahlen, die Tat tue ihm unendlich leid, sagt der 31-Jährige aus dem Landkreis Würzburg. Und fährt schluchzend fort: "Ich wollte ihn zu keinem Zeitpunkt töten." Man glaubt es ihm.
"Es geht in diesem Verfahren nicht um Schuld und Sie werden nicht im Gefängnis landen", sagt der Vorsitzende Richter Thomas Schuster in Richtung des Anfang 30-Jährigen und weist damit auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten hin, der bei der Tat unter einer Psychose litt, die wahrscheinlich auf seine seit vielen Jahren bestehende Cannabis-Sucht zurückgeht.
Vorgeworfen wird dem Mann, an einem Samstagabend im April 2024, einen ehemaligen Arbeitskollegen tätlich angegriffen, ihn gewürgt und mit einer Hantel geschlagen zu haben, so lange bis dieser fast bewusstlos war. Das Opfer, ein 33-Jähriger, konnte mit letzter Kraft aus der Wohnung flüchten, die Nachbarn des Angeklagten rufen und ärztliche Hilfe aufsuchen. Der Tatverdächtige wurde nach einer Fahndung festgenommen. Er befand sich zunächst in U-Haft, wurde dann aber in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.
Statt zwei Tage Prozess zügig durchgezogen
Was den Ablauf der Tat angeht, räumt der Angeklagte von Anfang an weitestgehend ein, dass es sich so zugetragen hat. Anhand von Fotos und einer Sachverständigen, die die Verletzungen des Opfers einordnet, äußert sich der Geschädigte im Zeugenstand zum Angriff. Er sei - wie schon zweimal zuvor - in der Wohnung des Angeklagten gewesen. Dieser hatte ihm in Aussicht gestellt, das Appartement anmieten zu können, sobald er und seine Freundin auszögen.
An dem Tag der Tat habe er nur kurz vorbeikommen wollen. Der Bekannte sei "anders" gewesen, es habe in der Wohnung nach Cannabis gerochen, schildert der Geschädigte. Als er dem Tatverdächtigen ein Glas Wasser holen wollte, habe dieser plötzlich angefangen zu schreien, ihn angegriffen, gewürgt, in den Schwitzkasten genommen und seinen Kopf gegen eine Metallhantel geschlagen. "Er wollte, dass ich bewusstlos werde." Zur Verteidigung habe er den Angeklagten gebissen.
Einblutungen in Mundschleimhäuten und hinter den Ohren
Schädelprellung, Einblutungen in den Mundschleimhäuten, hinter den Ohren und sogar im Auge - die Verletzungen des Geschädigten decken sich mit dem Tathergang, wie die sachverständige Medizinerin ausführt. Es sei nur Glück, so bescheinigt der vorsitzende Richter Thomas Schuster, dass nicht mehr passiert sei. Nach dem Angriff habe sich der Tatverdächtige vor ihn hingekniet, geschluchzt und um Verzeihung gebeten, erzählt der Geschädigte. Drei Wochen habe er nicht arbeiten gehen können, vier Monate an starken Kopfschmerzen gelitten. Noch heute leide er immer wieder an Schwindel.
Auf Nachfrage des Richters zu seinem Zustand während der Tat, erklärt der Angeklagte, er sei nicht mehr er selbst gewesen, habe sich verfolgt gefühlt. Seit 13 Jahren konsumiere er Cannabis, habe des Öfteren versucht aufzuhören. Das Abitur auf der Abendschule habe er zweimal abgebrochen, auch eine Lehre zum Schreiner nicht beendet. Mit Mini-Jobs und als Pflegehelfer habe er sich über Wasser gehalten. Einige Psychosen, die sich aber nie gegen Fremde gerichtet haben, habe der Angeklagte in den letzten Jahren erlebt - das beschreiben er und auch seine Freundin, mit der er zum Tatzeitpunkt die Wohnung gemeinsam bewohnte.
Just an dem Wochenende war die Studentin aber nicht in Würzburg. Sie beschreibt ihren Freund, mit dem sie auch weiterhin zusammen ist, als liebenswürdigen und hilfsbereiten Menschen, "der keiner Fliege etwas zuleide tun kann". Sie benennt aber auch seine Sucht nach Cannabis.
Mehrmalige stationäre Behandlung
Mehrere Male sei er aufgrund psychischer Probleme stationär behandelt worden, habe 2019 auch einen Betreuer zugewiesen bekommen, schildert der Angeklagte selbst. Auch dieser beschreibt den Anfang 30-Jährigen als "immer freundlich" und "jemanden, der Perspektiven aufzeigen kann".
Einige Wochen vor der Tat, so schildert seine Freundin vor Gericht, habe der Tatverdächtige LSD probiert, "weil er gelesen hat, dass es gegen Ängste und Depressionen helfen soll". Seine Medikamente habe er zuletzt unregelmäßig eingenommen und bis zu acht Joints täglich geraucht.
Ein toxikologisches Gutachten bestätigt die Cannabis-Einnahme. Unisono sagen die Polizeibeamtinnen - und Beamten, mit denen er kurz nach der Tat zu tun hatte, dass der Angeklagte einen verwirrten Eindruck gemacht habe, Selbstgespräche führte und sich verfolgt gefühlt habe.
Psychosen wahrscheinlich drogenindiziert, aber Risiko bleibt
Wie ein psychiatrischer Gutachter beschreibt, müsse vom derzeitigen Standpunkt aus von einer drogenindizierten Psychose ausgegangen werden. Eine Schizophrenie oder eine schizoaffektive Erkrankung könne er aber nicht ausschließen, da diese zuverlässig erst nach längerer Zeit der Drogenabstinenz zu diagnostizieren wäre. Eine ambulante Therapie halte er aufgrund des Risikos nicht für sinnvoll.
So fordert die Staatsanwaltschaft die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach Paragraf 64. Die Verteidigung indes plädiert dafür, die Unterbringung auf Bewährung auszusetzen und hohe Auflagen mitzugeben. "Ich versichere, ich werde nie wieder Cannabis rauchen. Ich will eine Therapie und Entziehungskur machen. Aber bitte ambulant, ich brauche meine Familie und Freunde", wendet sich der Angeklagte sichtlich bewegt an das Gericht.
Urteil fällt nicht so aus, wie es sich der Angeklagt erhofft hat
Er wird enttäuscht. "Es ist nicht Ihr Wunschurteil. Das weiß ich. Aber wir sind auch nicht da, um Wünsche zu erfüllen", beginnt der Vorsitzende seine Urteilbegründung. Vielmehr "ist es unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass die Menschen in unserem Land sicher leben". Er weist darauf hin, dass er den Angeklagten für einen intelligenten, liebenswerten Menschen halte, der sich aber in einer Psychose-Situation nicht unter Kontrolle habe.
Das Risiko sei derzeit zu hoch. "Sie müssen die Cannabissucht in den Griff bekommen, nehmen Sie es als Chance, arbeiten Sie an sich", wendet sich der Vorsitzende an den Mann, der wieder weint. "Gut möglich, dass Sie 'nur' eine Suchterkrankung haben, aber vielleicht leiden Sie doch unter einer schizophrenen Erkrankung." Dies müsse das Gericht berücksichtigen.
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