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Würzburg
"Ich will nicht mehr weiterleben": Mehr Jugendliche mit suizidalen Absichten landen bei der Unipsychiatrie in Würzburg
Gut 550 suizidgefährdete Jugendliche wurden 2022 in der Unipsychiatrie in Würzburg aufgenommen, ein Höchststand. Dort hören sie zuerst: "Gut, dass du gekommen bist."
Suizid ist bei Kindern und Jugendlichen eine der häufigsten Todesursachen. Gedanken und Äußerungen in diese Richtung sollten Erziehungsberechtigte ernst nehmen.
Foto: Getty Images | Suizid ist bei Kindern und Jugendlichen eine der häufigsten Todesursachen. Gedanken und Äußerungen in diese Richtung sollten Erziehungsberechtigte ernst nehmen.
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 15.07.2024 12:41 Uhr

Yannis ist nicht nur Teresas erstes Date, er ist auch ihr erster richtiger Freund. Teresa, 16, kauft sich Lippenstift und enge Tops, geht mit Yannis tanzen, feiern, kuscheln. Es ist die bisher beste Zeit ihres Lebens. Und die große Liebe – für sie.

Für Yannis ist nach zwei Monaten Schluss. "Passt nicht so mit uns", findet er und verschwindet vom Schulpausenhof, wenn er sie kommen sieht. Teresa fällt aus rosa Wolken in den Abgrund. "Ich will nicht mehr weiterleben", textet sie ein paar Tage nach dem Beziehungs-Aus an ihre Freundin. Ihre Freundin erschrickt. Sie weiß, dass Teresa sich während der Pandemie geritzt hat, regelmäßig. Sie fürchtet, dass Teresa sich etwas antut.

550 suizidgefährdete Kinder und Jugendliche wurden 2022 in Würzburg stationär aufgenommen

Teresa, die in Wirklichkeit nicht Teresa heißt, gehört zu den rund 550 suizidgefährdeten Kindern und Jugendlichen, die im Jahr 2022 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Würzburg stationär aufgenommen wurden.

"550 Notaufnahmen wegen akuter Suizidalität –das ist eine enorme Zahl und leider ein neuer, teilweise coronabedingter Höchststand", sagt Professor Marcel Romanos, der Klinikdirektor. Vor der Pandemie habe es pro Jahr rund 400 bis 450 solcher Fälle gegeben. Auch ein hohes Niveau.

Die Corona-Pandemie hat die Wahrscheinlichkeit für jugendliche Suizidalität verstärkt

Aber die Pandemie hat Romanos zufolge die Wahrscheinlichkeit für jugendliche Suizidalität gerade bei Risikogruppen verstärkt; etwa bei emotional vorbelasteten Kindern aus alleinerziehenden oder dysfunktionalen Familien oder bei Kindern von drogenabhängigen oder psychisch kranken Eltern.

Man möge sich, sagt Romanos, eine alleinerziehende Verkäuferin vorstellen, die während der Pandemie durcharbeitet, während ihre Tochter, emotional vorbelastet, mit Tendenz zur Selbstverletzung, die Lockdowns zu Hause isoliert durchlebt und durchleidet.  "Da, wo es schon Probleme gab, wurden die Probleme größer", sagt Romanos.

Dass Teresa an dem Abend, an dem sie erwägt sich umzubringen, in der Jugendpsychiatrie aufgefangen wird, liegt an ihrer Freundin und deren Mutter. "Die Mutter hat die Polizei gerufen und die Polizei hat das Mädchen hergebracht", sagt Professor Timo Vloet, leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Eine bloße Bemerkung oder nur eine Textnachricht, in der suizidale Absichten geäußert werden, reiche manchmal, um eine "Vorstellung in der Psychiatrie" zu erwirken, sagt Vloet. Ist das nicht zu schnell, zu früh, zu übertrieben?

"Es ist gut, dass du gekommen bist", sagt der Oberarzt zu seiner Patientin

"Das ist ein hochsensitives Gebiet", sagt Vloet. Suizid sei neben Verkehrsunfällen die "häufigste Todesursache" bei Kindern und Jugendlichen. Es gebe Fälle, "bei denen sich Kinder wegen einer Kränkung in der Klasse suizidiert haben". Deshalb müsse man solche Aussagen ernst nehmen und schnell handeln.

Vloet: "Wenn das Mädchen in der Klinik vorgestellt wird und sagen würde: 'Quatsch, das hab' ich doch gar nicht so gemeint', dann würde ich sie nicht aufnehmen. Da ist dann nichts verloren." Oft aber sei eine Textnachricht, wie Teresa sie geschrieben hat, in Wahrheit ein Hilfeschrei.

Zeitnah zu Teresa wurden in der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie wegen akuter Suizidalität stationär in der geschlossenen Einheit aufgenommen: Ein achtjähriger Junge, für den das Leben keinen Sinn mehr machte, und ein 18-jähriges Mädchen mit Borderline-Syndrom; nicht zum ersten, sondern zum siebten Mal.

"Es ist gut, dass du gekommen bist", sagt der Oberarzt zu ihnen. Er sagt das auch zu Teresa. Denn Teresa entscheidet sich, dazubleiben.

Aufenthaltszeiten bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie haben sich stark verringert

Verschlossene Türen, Überwachungskameras, gesicherte Fenster: Die geschlossene Kinder- und Jugendpsychiatrie ist kein Wellness-Hotel. Eher ein Ankerplatz in unruhiger See. Junge Menschen in der Krise geben die Verantwortung für sich für eine bestimmte Zeit ab – an Experten, die ihnen helfen, durch ihre Krise hindurch und hoffentlich aus der Krise herauszukommen.

Das Fenster ist aus Sicherheitsglas, an der Wand ist eine  Überwachungskamera installiert: ein Patientenzimmer auf der geschlossenen Einheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Würzburg.
Foto: Gisela Rauch | Das Fenster ist aus Sicherheitsglas, an der Wand ist eine  Überwachungskamera installiert: ein Patientenzimmer auf der geschlossenen Einheit der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni Würzburg.

"Dabei halten wir die Aufenthaltszeit in der stationären Psychiatrie so kurz wie nur möglich", sagt Oberarzt Vloet. Und mit "kurz" meint er wirklich "kurz". Seit 2016 haben sich die Aufenthaltszeiten jugendlicher suizidaler Patienten auf der "stationären Geschlossenen" extrem verringert: von durchschnittlich 17 auf mittlerweile nur zwei sogenannte Liegetage.

Diese Verkürzung ist auch der Änderung des Paragraphen 1631b BGB geschuldet. Der Paragraph regelt die Voraussetzungen für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Minderjährigen. Durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2017 haben sich die Hürden für solche Maßnahmen erhöht.

Neues Konzept setzt auf schnelles Krisenmanagement bei Suizid-Gedanken

Allerdings sind die kürzeren Liegezeiten nicht nur ein Zugeständnis an die Gesetzesänderung. Sie entsprechen einem neuen Konzept, das Oberarzt Vloet aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Aachen mitgebracht hat.

Das Konzept beinhaltet sehr schnelles Krisenmanagement und sieht vor, die jungen Patientinnen und Patienten so zu stärken, dass sie möglichst gut und schnell in ihre Lebensrealität zurückkehren können – mit der Unterstützung der Klinik im Rücken.

"Du hast alles richtig gemacht", sagt der Oberarzt zu Teresa. Er macht und ihr klar, dass sie dadurch, dass sie ihre Krise kommuniziert hat, gezeigt hat, dass sie leben will.

Behandelnde Ärzte machen mit den Jugendlichen Krisenmanagement-Pläne für dunkle Tage

Ein Fall wie der von Teresa könnte sich so entwickeln, dass sie nach einer Nacht in der Psychiatrie sagt: "Danke, Leute, aber von hier aus komme ich selbst klar." Teilten die Therapeuten diesen Eindruck, würde die Uniklinik die Patientin entlassen, würde aber Vloet zufolge den Eltern empfehlen, für die Tochter einen ambulanten Therapeuten zu suchen.

"Gleichzeitig würden wir einen Krisenmanagement-Plan ausarbeiten", sagt Vloet. Auch wenn eine Patientin am Morgen der Entlassung glaubt, gut klarzukommen, könnte doch ein Rückschlag folgen: Etwa, wenn ein Song im Radio läuft, den das Mädchen mit dem früheren Freund verbindet. Oder wenn sie auf dem Handy sein Foto sieht.

"Wir verabreden mit unseren Patientinnen und Patienten, dass sie zurück in die Notaufnahme kommen oder sich dort melden, wann immer sie es brauchen. Rund um die Uhr", sagt Vloet. Komme eine Patientin zehn Minuten nach der Entlassung wieder zurück, sei das auch gut.

Teresa aber braucht mehr als eine Nacht in der Psychiatrie. Sie ritzt sich seit Corona regelmäßig und sagt, dass sie damit nicht aufhören will, weil sie sich sonst nicht spürt. Deshalb sehen die Ärzte bei dem Mädchen ein "erhöhtes Gefährdungspotenzial". Für Teresa ist aktuell ein "ambulantes Setting" in der Klinik ein Weg in ein besseres Leben.

Wenn Sie Gedanken quälen, sich selbst das Leben zu nehmen, dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen können. Wenn Kinder oder Jugendliche in Ihrem Umfeld suizidale Gedanken äußern, erreichen Sie die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Würzburg Tag und Nacht unter der Notfallnummer 0931-20178888.

 
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  • M. S.
    Drei Jahre wurden unsere Kinder und Jugendliche eingesperrt durch zum Großen teil sinnlose Corona Maßnahmen. Die Politiker haben unsere Kinder kaputt gemacht.

    Keine sozialen Kontakte, keine Schule
    (https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/schulschliessungen-wegen-corona-falsch-aber-wer-ist-schuld,TUXCaGe),

    keine Freizeitveranstaltungen, keine Disco (https://www.welt.de/wirtschaft/plus235443096/Clubs-schliessen-Sind-die-neuen-Corona-Regeln-der-Todesstoss.html)

    Dann jeden Tag die Angstmacherei das bald die Erde untergeht (link: alle Medien).

    Ist doch kein Wunder das damit manche Jugendliche nicht zurecht kommen.
    Viele Erwachsene haben schon Probleme damit.

    Warum wollen Jugendliche sich umbringen oder
    warum ermorden 12 Jährige andere Kinder? Das sind alles folgen der sozialen Verwahrlosung
    Dank der Corona Maßnahmen.
    (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-pandemie-folgen-kinder-jugendliche-psychisch-100.html)
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  • M. S.
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  • S. W.
    Man sollte die Ärzte auch mal nach den Auswirkungen von Cannabis auf die Entwicklung des Gehirns bei Jugendlichen fragen.
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  • G. A.
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  • S. W.
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  • R. D.
    Sind die Jugendlichen heute weniger stabil und robust? Oder liegt das an der depressiven Art und Weisse der Medien (die Welt geht unter, Klimakrise, Flüchtlingskrise, Wirtschaftskrise Artensterben,...)?
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Ich denke nicht, dass heutige Jugendliche weniger stabil sind. Früher wären ihre Krisen aber unbeachtet geblieben - und die Suizide womöglich vollbracht worden. Gut, dass es heute wirksame Behandlungen gibt!
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  • D. T.
    Ich denke schon, dass Jugendliche heute weniger stabil sind. Früher haben wir uns auf die Fressen geschlagen, Knie aufgeschürft und hinterher war alles gut. Uns wurden Tugenden wie Disziplin, Fleiß und Ordnung näher gebracht. Heute zählt es schon als Mobbing, wenn ich deine Hose hässlich finde und das auch so sage. Der beste Freund heute ist das Smartphone und das Geschlecht darf man nach Lust und Laune ändern. Die Kids heute erinnern mich irgendwie an Fähnchen im Wind.. oder besser gesagt zarte Pflänzchen im Wind.
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  • S. O.
    Heute wird offener mit psychischen Erkrankungen/ Herausforderungen umgegangen, daher lassen sich auch zunehmend Menschen behandeln, die sich früher mit einer "Augen zu und durch- Mentalität" durchgebissen hätten (oder leider auch nicht).

    Durch diese Öffentlichkeit sinkt für viele die Hemmschwelle sich Hilfe zu holen - die Berichterstattung über andere zeigt einem, dass man mit seinen Problemen nicht alleine ist.

    Und Nichtbetroffenen erhalten durch vermehrte Aufklärung über psychische Erkrankungen gute Handlungsanweisungen, was zu tun ist, wenn sie von der Suizidalität/ den psychischen Problemen eines Mitmenschen erfahren.

    Wahrscheinlich sind Jugendliche heute nicht weniger robust als es früher der Fall war, sondern der Umgang mit ihren Problemen einfach sensibler (oder vlt. ist es auch einfach so, dass jede vorangegangene Generation die Generation, die auf sie folgt/e, für weniger stabil, fauler, dümmer etc. hält/ hielt).
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