Geld ist das eine, die Psyche das andere. So geht es Erhard und Rita Schneider in Goßmannsdorf (Lkr. Würzburg). Wenn sie aus dem Fenster ihres Wohnzimmers schauen, dann sehen sie den Grund für jenes Übel, das ihnen in der Nacht zum 30. Mai zugefügt wurde. Und das sie bis heute beschäftigt.
Schafbach ist sonst ein harmloses Rinnsal
Der Grund des Übels ist der Schafbach. Meistens ein knöcheltiefes Rinnsal, in dem man normalerweise gefahrlos Kinder planschen lassen kann und das eigentlich nicht der Rede wert ist. Der Bach kommt von den weiten Feldern des Ochsenfurter Gaus herunter und mündet in Goßmannsdorf in den Main. In jener Nacht im Mai jedoch wurde der Schafbach zu einem Monster, das mit meterhohen Fluten durch den Goßmannsdorfer Altort donnerte und dort in Dutzende Häuser Tonnen von Schlamm drückte.
Wasser schoss ungezügelt in die Höfe
Obwohl Erhard Schneiders Haus direkt an dem Bach liegt, hatte ihm nach eigener Aussage dessen Wasser bis dato nie Probleme gemacht. Doch vor genau einem halben Jahr waren die braunen Fluten so mächtig, dass keiner der sechs Durchlässe unter den Brücken im Ort groß genug waren. So schoss das Wasser ungezügelt auch durch die beiden Gassen, die den Bach durch den Ort hindurch begleiten.
Mit der Folge, dass es diesmal auch Erhard Schneiders Haus erwischte – das erste Mal seit Jahrzehnten. In den beiden Gewölbekellern, die zusammen so groß sind wie ein kleines Hallenbad, stand das Wasser nach Darstellung des 68-Jährigen einen Meter hoch. Mehrere Nebenräume in dem Anwesen aus dem 16. Jahrhundert wurden verwüstet.
Spuren des Schlamms sind bis heute zu sehen
Noch heute sind dort Spuren des Unwetters zu sehen. Und das, obwohl die Familie Schneider wochenlang Schlamm weggeschleppt, Wände abgespritzt und Gegenstände abgewaschen hat. Einen Monat habe es gedauert, erinnert sich Rita Schneider, bis das Gröbste geschafft war. Noch heute sind die Böden der beiden Gewölbekeller mit der braunen Kruste vom Schlamm bedeckt, die Luft ist modrig. „Das kriegst du nicht mehr raus“, sagt Erhard Schneider. „Das sind für mich jetzt tote Keller.“
Geräte landeten haufenweise auf dem Müll
Vorher waren sie das nicht. Denn aus der Zeit, in der in Goßmannsdorf noch Wein angebaut wurde, stammten die Holzfässer und Butten, die in den Gewölbekellern lagen. Alles zerstört, alles auf dem Müll. Mit diesem Erbe seien viele Erinnerungen verbunden gewesen, so Erhard Schneider.
Bange Blicke zum Bach - bis heute
Mehr als dieser Verlust schmerzt ihn aber bis heute der Gedanke an jene pure Hilflosigkeit in der Nacht zum 30. Mai. „Das hab' ich noch nicht weggelegt“, sagt Schneider. Man merkt ihm an, dass er bei diesen Worten um Fassung ringt.
Diese Ergriffenheit sitzt bei ihm und seiner Frau tief. Jedes Mal, wenn nun heftiger Regen oder gar ein Unwetter angekündigt wird, wird dem Ehepaar angst und bange. Dann schauen sie häufiger als sonst aus dem Wohnzimmerfenster auf den Bach vor ihrem Haus. Und 25 Sandsäcke haben sie jetzt auch: Griffbereit liegen sie in einem Nebenraum, um im Fall der Fälle Kanaldeckel und das Hoftor abdichten zu können.
Viele blieben auf Tausenden Euro Schaden sitzen
Die Fluten des unscheinbaren Schafbaches hatten den Schneiders vor einem halben Jahr nicht nur einen gehörigen Schrecken, sondern auch einen empfindlichen Schaden eingebrockt. So war zum Beispiel ein neu eingerichteter Fitnessraum mit einem halben Dutzend Geräte hernach nur noch ein Fall für den Sperrmüll. Zwei Gefriertruhen, Motorsägen und sonstiges Werkzeug ebenfalls. Glück im Unglück: Die ebenfalls unterspülte Heizanlage sei nach dem Unwetter wieder angesprungen, erinnert sich Erhard Schneider.
Seine Frau Rita hat die Schäden auf einem DIN-A4-Blatt zusammengefasst. 9600 Euro steht unterm Summenstrich. Zieht man die Soforthilfe vom Landratsamt ab, so blieben etwa 8000 Euro übrig, die die Familie selber tragen musste. Eine Versicherung für so was habe er nicht, sagt Erhard Schneider.
Bauer Kraft: „So etwas vergisst du nie mehr“
Noch schlimmer hat es den Landwirt Christian Kraft getroffen. Sein Hof liegt 150 Meter weiter bachabwärts vom Haus der Schneiders. 30 000 Euro Schaden habe es bei ihm gegeben, sagt Kraft. 20 000 Euro blieben an ihm hängen. Versicherung? Ebenfalls Fehlanzeige.
Am schlimmsten sei gewesen, dass die Pellets-Heizanlage in Folge des Unwetters zerstört wurde, sagt Kraft. Auch bei ihm hat sich die Nacht zum 30. Mai tief ins Gedächtnis gegraben: „So etwas vergisst du nie mehr.“
Ähnlich sieht man das in Darstadt und Eßfeld. Die Dörfer liegen nur wenige Kilometer bachaufwärts von Goßmannsdorf entfernt. Auf eine Million Euro ist der Unwetterschaden Ende Mai allein in Eßfeld geschätzt worden. Hart getroffen hat es dort unter anderem Sieglinde Bösl. Ihre Töpferei wurde vom Schlamm zerstört, der Betrieb stand vier Monate lang still. Schaden: 100 000 Euro, den Ausfall nicht mitgerechnet. Ein Viertel dieser Summe wurde ihr ersetzt. „Das Unwetter ist für viele noch immer eine große finanzielle Belastung“, spricht Bösl für sich und einige Mitbewohner im Dorf.
Ochsenfurt: Schäden sind noch lange nicht behoben
Das Landratsamt Würzburg hat nach eigener Darstellung eine Million Euro als Soforthilfe an Betroffene ausgezahlt. Die Stadt Ochsenfurt, wozu Goßmannsdorf gehört, zum Beispiel gab bis heute 160 000 Euro an etwa 90 Unwettergeschädigte aus. Noch bis Ende des Jahres würden Anträge auf Hilfe bearbeitet, sagte auf Anfrage Wolfgang Duscher, der Verwaltungsleiter im Rathaus.
Die Sache sei noch lange nicht erledigt. Schon deswegen nicht, weil die Schäden im Stadtgebiet „zum Großteil noch nicht behoben sind“. Er schätzt, dass sich auch in Ochsenfurt der Schaden auf eine Million Euro summiert.
Stimmung in Goßmannsdorf hat sich gewandelt
Die Stadt wird in die Rücklagen greifen müssen, um das bezahlen zu können. Nein, so etwas wie Hass auf den Schafbach habe er nicht, sagt Erhard Schneider ein halbes Jahr nach dem Unwetter. Nur eben manchmal ein mulmiges Gefühl. Zumindest in einer Hinsicht hat sich in Goßmannsdorf die Sensibilität für das kleine Gewässer verändert: Im Rahmen der laufenden Dorferneuerung sollte der Bachlauf ein neues Gesicht bekommen. Das haben die Verantwortlichen jetzt mit Blick auf die Befindlichkeiten nach dem Unwetter erst einmal ad acta gelegt.
Ein Schild sagt alles: „Danke!“
Indes haben sich unter all die schlimmen Erinnerungen an die Unwetternacht auch gute gemischt. So tauchten in den Tagen nach dem Unwetter bei der Familie Schneider Nachbarn zum Helfen auf, mit denen sie sonst kaum was zu tun hatten. Über Tage hinweg herrschte im Dorf ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl.
Sogar aus dem gut 30 Kilometer entfernten Grünsfeld habe sich ein Helfer gemeldet, freut sich Rita Schneider noch heute. Und ein Bekannter aus Bochum habe sich damals spontan drei Tage frei genommen, um nach Goßmannsdorf zu fahren und bei den Schneiders Schlamm aus dem Hof zu schleppen.
Ähnlich die Situation bei Bauer Kraft: Noch Wochen nach dem Unglück hing an seinem Hoftor ein Schild mit den Namen von etwa 40 Helfern – und ein groß geschriebenes Wort: „Danke.“ Mitarbeit: Thomas Fritz