Arnold Schatzler muss nicht lange überlegen: „Entscheidung vor Morgengrauen“. Von den Filmen, die in der Region gedreht wurden, fände er den am besten. „Hab' ich ein paar Mal gesehen“ sagt er. Auch das Schelmenstück „Vorne ist verdammt weit weg“ des Würzburger Kabarettisten Frank-Markus Barwasser („Erwin Pelzig“) liegt in der regionalen Kino-Hitparade des Würzburgers weit vorne.
Schatzler, der am 12. August 82 wird, hat jahrzehntelang, bis zu seiner Pensionierung, die Programme der früheren Würzburger Kinos Corso und City gestaltet. Seit seiner Jugend „verrückt nach Film und Kino“, engagiert er sich heute in der Genossenschaft des Central-Kinos und ist Mitglied der Filminitiative.
in einem Würzburger Café, bei Kaffee und Sahnetorte, studiert Schatzler eine Liste mit Filmen, die in der Region gedrehten wurden. Ein gutes Dutzend ist seit den 1920er Jahren zusammengekommen, bisweilen komplett, bisweilen nur in einzelnen Szenen in Würzburg und Umgebung gedreht. Vom Horrorstreifen über den Abenteuerfilm bis zur Komödie ist alles vertreten. Bekannt sind vor allem „Das Wirtshaus im Spessart“ (1958) mit Liselotte Pulver und „Vater sein dagegen sehr“ (1957) mit Heinz Rühmann, schon weil sie immer wieder im Fernsehen laufen.
Die zerstörte Stadt
Wenn Arnold Schatzler von „Entscheidung vor Morgengrauen“ erzählt, wird klar, dass Produzenten und Regisseure die Stadt nicht immer wegen des malerischen Ambientes aussuchten. Aus gutem Grund. Schatzler beschreibt die Szene des Films, die an der Alten Mainbrücke spielt. Im Hintergrund ist das stark zerstörte Würzburg zu sehen.
Der Antikriegsfilm von Regisseur Anatole Litvak kam 1951 in die Kinos. Der „beklemmende Spionagefilm“, so schreibt das „Lexikon des Internationalen Films“, spielt Ende 1944, die Niederlage Deutschlands ist absehbar – die Ruinen stehen dafür als Symbol. Neben der damals 26-jährigen Hildegard Knef standen Oskar Werner, Gert Fröbe und Klaus Kinski auf der Besetzungsliste.
Schon drei Jahre vorher war das zerstörte Würzburg – ebenso wie Nürnberg – in einigen Szenen Filmkulisse: Hollywood-Regisseur Fred Zinnemann („High Noon“) thematisierte 1948 in „Die Gezeichneten“ das Schicksal vertriebener Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Hauptrolle eines US-Unteroffiziers spielte Montgomery Clift, der fünf Jahre später durch „Verdammt in alle Ewigkeit“ – auch hier führte Zinnemann Regie – zum Superstar werden sollte. „Die Gezeichneten“ erhielt einen Oscar für die beste Originalgeschichte, eine Kategorie, die es heute nicht mehr gibt.
Rilke auf der Festung Marienberg
Würzburg vor der Zerstörung ist in „Die Räuberbande“ von 1928 nach dem gleichnamigen Roman von Leonhard Frank zu sehen. Eine schöne Seite der Stadt zeigt auch Paul Verhoevens Musikkomödie „Renate im Quartett“ von 1939: den Kaisersaal der Residenz.
Arnold Schatzlers Blick bleibt an dem Titel „Der Cornet – Die Weise von Liebe und Tod“ hängen. „Da haben viele Bereitschaftspolizisten als Statisten mitgespielt“, weiß der Cineast, der selbst nie bei Dreharbeiten zugeschaut hat: „Ich wartete lieber auf den fertigen Film“. Für die Verfilmung der Rilke-Novelle, die 1955 in die Kinos kam, drehte Regisseur Walter Reisch hauptsächlich auf der Festung Marienberg. Szenen entstanden auch im Grafeneckart, in Kloster Himmelspforten und im Guttenberger Forst.
Kritik sei ja nicht so seine Sache. Ob ein Film gefalle oder nicht, „das ist doch immer subjektiv, oder?“, sagt Arnold Schatzler und urteilt vorsichtig: „Als Cineast ist man vom ,Cornet‘ nicht begeistert. Und ich glaube, er war auch nur in Würzburg und Umgebung ein Erfolg . . . “
Sex und Horror
Eher nichts für Cineasten sind auch „Die drei Musketiere“ aus dem Jahr 2011. Regisseur Paul W. S. Anderson bot viele Stars auf: Milla Jovovich, Orlando Bloom, Mads Mikkelsen, Til Schweiger, und Oscargewinner Christoph Waltz spielte Richelieu. Würzburg war mit Residenz, Hofgarten und Alter Mainbrücke präsent, Bamberg mit der Alten Hofhaltung. Das Hollywood-Produkt glänzt mit schönen Bildern. Doch der Film, der Dumas' altehrwürdigen Roman mit Martial-Arts-Einlagen kombiniert, kam bei Zuschauern und Kritikern nicht allzu gut an. Schatzler kommentiert diplomatisch: „Es gibt auch gute ,Musketier‘-Verfilmungen . . .“
Definitiv nichts für Cineasten ist „Die rote Dame“. Als Kulissen dienten der italienischen Produktion 1971 unter anderem der Hofgarten der Würzburger Residenz, das Mainfranken Theater – es wurde als Modehaus ausgegeben –, Schloss Weikersheim und eine Wiese im Taubertal. Würzburg sei damit die Wiege eines neuen Filmgenres, des sogenannten Giallo, titelte damals diese Zeitung. Beim „Giallo“ (abgeleitet von den gelben Umschlägen italienischer Krimi-Groschenhefte) würden Elemente des Horrorfilms mit einer oft abstrusen, sexuell gefärbten Thrillerhandlung verbunden. „Genrekino mit authentischem 70er-Jahre-Flair“, befand diese Zeitung rückblickend im Jahr 2008.
Und Fassbinder?
Arnold Schatzler nimmt einen Schluck Kaffee und denkt lieber über Rainer Werner Fassbinder nach. „Der war ungeheuer fleißig“, sagt der ehemalige Kinoprofi, der 24-mal die Berlinale besuchte, über den Regisseur, der 1982 im Alter von 37 Jahren starb und grübelt. „Was würde der wohl heute für Filme drehen? Hätte er sich mehr dem Publikumsgeschmack angepasst?“ Auch Fassbinder, Ikone des Neuen Deutschen Films, hat in der Region gedreht: „Niklashauser Fart“ kam 1970 heraus. Es geht um den Helmstadter Hans Böhm, der wegen seiner sozialrevolutionären Ideen 1446 in Würzburg auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Fassbinder hat die historische Geschichte als Fernsehfilm gedreht – und TV-Produkte, die in Mainfranken entstanden, sind wieder eine andere Geschichte . . .
Diese Kinofilme wurden in der Region gedreht
Die Räuberbande (1928): nach dem gleichnamigen Roman von Leonhard Frank; Regie: Hans Behrendt
Renate im Quartett (1939): Musikkomödie; Regie: Paul Verhoeven
Die Gezeichneten (1948): Drama um das Schicksal vertriebener Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg; Regie: Fred Zinneman ;
Entscheidung vor Morgengrauen (1951): Spionage am Ende des Zweiten Weltkriegs; Regie: Anatole Litvak
Der Cornet - Die Weise von Liebe und Tod (1955): Literaturverfilmung nach Rainer Maria Rilke; Regie: Walter Reisch
Vater sein dagegen sehr (1957): Melodram um einen Schriftsteller, der unerwartet zu einer Familie kommt; Regie: Kurt Meisel
Das Wirtshaus im Spessart (1958): Musikalische Komödie nach dem Märchen von Wilhelm Hauff; Regie: Kurt Hoffmann
Die Rote Dame (1972): Eigenartiger Horrorfilm; Regie: Emilio Miraglia
Lammbock – Alles in Handarbeit (2001): Schräge Kifferkomödie mit Lucas Gregorowicz und Moritz Bleibtreu; Regie: Christian Zübert
Vorne ist verdammt weit weg (2007): Schelmenstück um Erwin Pelzig; Regie: Thomas Heinemann
Bis aufs Blut -– Brüder auf Bewährung (2010): Jugenddrama über Freundschaft und Hip-Hop als Lebensgefühl; Regie: Oliver Kienle
Die Drei Musketiere (2011): Eigenwillige Verfilmung des Alexandre-Dumas-Romans; Regie: Paul W. S. Anderson
Lommbock (2016): Die „Lammbock“-Kiffer sind älter geworden; Regie: Christian Zübert