
Wer heute vom Würzburger Dom über die Hofstraße auf dieses prächtige Schloss zugeht, dem weitet sich die Perspektive Schritt für Schritt. Als die Residenz erbaut wurde, sah das noch ganz anders aus. Man ging auf die mittelalterliche Stadtmauer zu, auf einen schmalen Durchlass. Sobald man den durchschritt, lag das enge Gassengewimmel urplötzlich hinter einem. Man betrat den unerhörten Freiraum des Vorplatzes – auch wenn der Ehrenhof um den Frankoniabrunnen herum mit einem Ziergitter abgetrennt und der Raum dadurch wieder etwas dividiert wurde. Aber der Residenz-Neubau sprang den Zeitgenossen in seiner unbekannten Dimension förmlich an.
Napoleon nannte die Residenz den "schönsten Pfarrhof Europas"
Das heißt, so war es, wenn der Betrachter keine internationalen Maßstäbe mitbrachte. Über die verfügte allerdings der prominenteste Gast, der je in der Residenz übernachtete. Napoleon Bonaparte lobte das prächtige Bauwerk bei seinem Würzburger Aufenthalt 1812 – da hatte er die Fürstbischöfe freilich schon entmachtet – als den "schönsten Pfarrhof Europas". Als Maßstab nahm der französische Kaiser wohl sein Schloss Versailles, dessen Gartenfassade immerhin 570 Meter misst – bei der Würzburger Residenz sind es dagegen nur 168 Meter.
Als Baumeister Balthasar Neumann zur Vorbereitung des Residenz-Baus auf Kosten des Würzburger Fürstbischofs seine Fortbildungsreise durch Frankreich unternahm, war Versailles noch neu. Und prägte den Besucher nachhaltig. Wobei Neumanns eigentliche Leistung daran lag, auf begrenztem Raum alles unterzubringen, was ein Hofstaat und eine Regierung zum Leben, Repräsentieren, Regieren und Verwalten brauchte. Um den französischen Spott positiv zu wenden: Balthasar Neumann konstruierte in Würzburg die Residenz der Kompaktklasse.

Relativ bald in der langen Bauzeit wurden die Kaiserzimmer fertiggestellt, in den frühen 1740er Jahren. Schließlich galt es hohen Besuch zufriedenzustellen. Äußerst festlich ging es den Überlieferungen nach zu, als 1745 Maria Theresia hier eintraf. Ein Zwischenstopp auf ihrer auf Reise nach Frankfurt, wo ihr Gemahl Franz Stephan zum Kaiser gekrönt wurde.
Im Unterschied zu manch anderem Herrschaftssitz war die Würzburger Residenz ein kompletter Neubau. Hier mussten keine Renaissance- oder gar Mittelalter-Schlösser in die Anlage integriert werden. Zwar gab es Modeströmungen, die während der sechs Jahrzehnte bis zur Komplettierung des Innenausbaus wechselten, aber insgesamt tritt die Residenz dem Besucher als recht geschlossenes Ensemble vor Augen. So konnte sich der Begriff Würzburger Rokoko ausprägen.
Das politische Zentrum des Hochstifts
Im Alltag wurde die Residenz belebt von den Ämtern und Amtsinhabern des Hofstaats - als da gewesen wären: das Oberhofmarschallamt mit Hofmarschall, Hausvogt, Haushofmeister und Oberkämmerer; Hofküchen-, Hofsilberamt und Hofsilberkammer, Hofkeller- und -furieramt, Hofmusik, Garden und Edelknaben, Oberjägermeister-, Oberstallmeister-, Hofkammerbau- und Hofkammerfutteramt sowie einige Erbämter.
In der Residenz lag das politische Zentrum des Hochstifts, also der weltlichen Seite des Fürstbistums. Das war zwar nur in etwa so groß wie das heutige Unterfranken, trotzdem verkehrten in der Zentrale Gesandte anderer Mächte, oft mächtigerer Mächte, und die wollten untergebracht sein. Dazu ließen die mainfränkischen Fürsten den Gesandtenbau errichten, in dem heute eine öffentliche Verzehranstalt auftischt. Natürlich musste am Regierungssitz für die auswärtigen Diplomaten gekocht und anderweitig gesorgt werden – Alltag in der Residenz.

Ranghohe Politiker empfing der Fürstbischof, indem er ihnen entgegenging, bestenfalls bis ins Erdgeschoss, wo die Kutschen vorfuhren. Niedere Chargen mussten sich, um ihr Anliegen vorzutragen, allein das Treppenhaus hinaufbequemen. Spätestens in der Hälfte, auf dem Treppenabsatz bei einer 180-Grad-Kehre, blickten sie dann nach oben und sahen beim Weitersteigen, wie sich über ihnen Stufe für Stufe die ganze Erde erstreckte – als sichtliches Einflussgebiet der Person, der sie gleich unter die Augen treten sollten, nämlich des Würzburger Fürstbischofs.
Carl Philipp von Greiffenclau hatte die Treppenhaus-Decke nämlich vom besten Fresko-Künstler des damaligen Europa, von Giovanni Battista Tiepolo, nach einem etwas angeberischen Bildprogramm ausmalen lassen. Die Darstellung der vier damals bekannten Erdteile ist das größte zusammenhängende Deckenfresko der Welt.

Das Gemälde und auch der zweite Tiepolo des Hauses, der ausgemalte Kaisersaal, krönen die weiteren künstlerischen Glanzstücke in der Residenz. Denn für die Innenausstattung hatte Greiffenclaus Vorvorgänger Friedrich Carl von Schönborn bereits internationale Meister wie den Stukkateur Antonio Bossi akquiriert. An seiner Hofkirche wirkte Lucas von Hildebrandt mit, der während der ersten Residenzbaujahre Schloss Belvedere in Wien errichtete. Auch das Spiegelkabinett datiert auf diesen Schönborn, den jüngeren Bruder des Grundsteinlegers Johann Philipp Franz von Schönborn.
Übrigens waren die meisten Würzburger Fürstbischöfe der sogenannten Schönbornzeit miteinander verwandt. Der Name Vetternwirtschaft hält sich bis heute. Dass die sechs Bauherren der Würzburger Residenz aber groß dachten, das hat sich nicht als typisch fränkisch durchgesetzt. Man kann aber davon lernen.