
Dass Reinhold Dukat vor gut einem Jahr das Gästezimmer zugewiesen bekam, könnte auf eine angespannte Beziehung hindeuten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Damit Gertrud Dukat ihren Mann ab und zu mal zu Gesicht bekommt und der nicht ständig nur im Keller werkelt, durfte der 69-Jährige mit seinem Hobby nach oben in die Wohnung kommen. Eine gute Entscheidung, denn das ehrgeizige Projekt ihres Mannes sollte sich über ein dreiviertel Jahr hinziehen: Der Kitzinger baute die Würzburger Residenz aus Legosteinen nach. An die zwei Millionen Steine waren nötig, bis das Weltkulturerbe im Maßstab von etwa 1:32 das Gästezimmer fast ganz ausfüllte.
Reinhold Dukat hatte Ende der 50er Jahre wie viele andere Kinder in seinem Alter auch einen ganz normalen Lego-Grundbaukasten bekommen. Große Sprünge waren damit nicht möglich, viel mehr als ein paar kleine Häuschen waren nicht drin. Doch es sollte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden. "Das hat mich geprägt", sagt der frühere Diplom-Betriebswirt. Aber erst im etwas vorgerückten Alter von 50 Jahren sollte er so richtig zum glühenden Lego-Fan werden.

Alles fing mit einer Kreuzfahrt an, die ihn so begeisterte, dass er beschloss: So ein tolles Schiff – das muss ich unbedingt mit Legosteinen nachbauen. Stolze vier Meter kamen am Ende dabei heraus. Und weil da jemand auf den Geschmack gekommen war, gab es kein Halten mehr. Das nächste Projekt kam bald schon mit der Royal Clipper, einem opulenten Fünf-Mast-Segelschiff, daher geschwommen.
Zu diesem Zeitpunkt gab es im Leben des gebürtigen Saarländers noch eine große Leidenschaft: seine Märklin-Modelleisenbahn. Und es gab eine neue Liebe: Der Witwer lernte bei einer Städtereise seine Gertrud aus Franken kennen. 2009 wurde geheiratet, das Paar zog in Kitzingen zusammen. Beim Umzug war ein Anhänger alleine mit Legosteinen beladen – verteilt auf 30 Umzugskartons. Nur das mit der Eisenbahn hatte sich mit dem Neustart erledigt: "Die Modelleisenbahn habe ich ihm ganz schnell abgewöhnt", erzählt die 70-Jährige und setzt dabei ihr verschmitztestes Lächeln auf.

Klar war aber auch: Damit rückte das private Legoland noch mehr in den Mittelpunkt. Das neue Kitzinger Domizil samt Mainblick – es entstand schon bald als nachgebaute Lego-Version. Als das Paar bei einer Frankreich-Reise entlang der Loire ein prächtiges Schloss aus Legosteinen entdeckte, machte es bei Reinhold Dukat klick: Plötzlich hatte er die Würzburger Residenz vor Augen. Die Idee, sich an diesem Meisterstück zu versuchen, ließ ihn nicht mehr los.
Und so machte sich der Neu-Kitzinger Ende 2017 ans Werk, am ersten Advent schritt er zur Grundsteinlegung. Danach setzte er seinen Tunnelblick auf und wollte gerade für längere Zeit ein Stockwerk tiefer verschwinden. Weil seine Frau aber schon ahnte, was die nächsten Monate kommen sollte und sie ihren Mann wenigstens ab und zu mal sehen wollte, räumte sie eben noch schnell das Gästezimmer neben der Wohnstube für ihn und sein bisher größtes Vorhaben frei.
1000 Arbeitsstunden steckte Reinhold Dukat in den Nachbau
Gut neun Monate später war es fertig, das Lego-Weltkulturerbe. Wenn man seinen Erbauer nach der Zahl der Arbeitsstunden fragt, steht schnell die 1000 im Raum – was aber noch die vorsichtige Schätzung sein dürfte. Nur schätzen lassen sich auch die verbauten Steine – irgend etwas zwischen 1,5 und zwei Millionen. Etwa 60 Prozent davon hatte der 69-Jährige bereits in einigen der 30 Umzugskartons mitgebracht. Der Rest musste nach und nach – ja nach Baufortschritt – in einschlägigen Internet-Shops zugekauft werden, weil bei Lego direkt nicht bestellt werden kann. Kostenpunkt: Betriebsgeheimnis. Dass es immer der gleiche beige, Sandstein-typische Farbton sein musste, machte die Sache nicht einfacher. Nach und nach aber wuchs das Bauwerk heran. Und der Postbote wunderte sich bald schon über gar nichts mehr: Weder über die vielen Pakete noch über das seltsame Klappern darin.
Was den Nachbau so ungemein schwierig machte: Die Residenz sollte so detailgetreu wie möglich gebaut werden. Immer wieder hatten die Sonntagsausflüge der Dukats nach Würzburg geführt, wo die beiden Kitzinger um die Residenz herumschlichen: Fenster, alles in allem um die 2000, wurden gezählt. Jeder Rundbogen, jede Ecke und jede Kante spähten die Kitzinger aus. Der 69-Jährige ging dabei wie ein Architekt zu Werke: zeichnete, plante, verwarf, versuchte es erneut. An schlaflosen Nächten mangelte es in dieser Zeit nicht. Zu etwa 80 Prozent, so schätzt Reinhold Dukat, reicht seine Residenz an das Original heran. Den Rest gibt selbst Lego einfach nicht her, die viele Wappen, Figuren und so manche Rundung sind im Legoland schlichtweg nicht vorgesehen. Und das, obwohl es der größte Spielzeughersteller der Welt locker auf 30 000 verschiedene Elemente bringt, wie Reinhold Dukat schätzt.
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Dass der Mann im Gästezimmer fast schon versessen genau arbeitete, liegt an einer seiner weiteren Passionen: Im vorgerückten Alter fing er – als Rentner – an, Kunstgeschichte an der Uni in Würzburg zu studieren. Mit allem Pipapo, ob Hausarbeiten schreiben oder Referate halten. Und immer mit der nötigen Akribie: Eine Vorlesung auszulassen ist für den Architektur-Liebhaber undenkbar, gelernt wird jeden Tag. Der Einsatz brachte ihm bereits seinen Bachelor ein, als nächstes geht es um den Master-Abschluss. Wenn dazwischen wider Erwarten noch Zeit ist, geht es im Zweifelsfall wieder auf eine der vielen Kulturreisen durch die ganze Welt.

Als Ende des vergangenen Sommers das Werk vollbracht und die Residenz als Nachbau erschaffen war, ging es auch schon ans nächste Projekt. Der Herr der Legosteine baut schon wieder. Diesmal ist es die Marienburg. Die in Polen liegende frühere preußische Ordensburg ist – die Herausforderungen gehen nicht aus – die größte aus Backstein gebaute Burg in Europa. Der Postbote bleibt also gut beschäftigt, das Klappern der Pakete geht weiter. Verändert hat sich lediglich die Farbe der Steine, statt Sandsteinbeige sieht man im Hause Dukat jetzt verstärkt Backsteinrot.
Dass sie ihren Mann mit Lego und Studium teilt, ist für Gertrud Dukat kein Problem. Sie hält ihm den Rücken frei und freut sich mit ihm, wenn er in seinen Hobbys aufgeht. Zumal sonst keiner behaupten kann, die Würzburger Residenz im Gästezimmer zu beherbergen. Was aus dem Kunstwerk wird, ist noch offen. Auf alle Fälle soll es erhalten bleiben. Und wer weiß: Vielleicht findet sich ja sogar ein Platz im Würzburger Original, dessen Grundsteinlegung sich im Jahr 2020 zum 300. Mal jährt. Bis es so weit ist, müssen die Gäste der Familie nachsichtig sein: Die Schlafcouch für Besucher steht so lange noch im Wohnzimmer.
Generationen von Kindern sind mit Lego aufgewachsen und haben sich in ihren Zimmern eigene Welten mit den bunten Steinen erschaffen. Sie auch? Schreiben Sie Ihre Erinnerungen ans Spielen mit Lego oder Ihre Meinung zur Würzburger Residenz im Miniformat unten in die Kommentare.
Auch hatten wir bereits Gelegenheit dieses Kunstwerk aus der Nähe betrachten zu können.
Die Kinder waren begeistert und sind sehr stolz auf ihren begabten Opa. Sie hoffen noch viele gemeinsame Legobaustunden gemeinsam verbringen zu können, um noch viele Tipps und Tricks vom Baumeister persönlich zu lernen!