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Würzburg
Günther Beckstein: Atomares Endlager kann für einen Standort auch Vorteile bieten
Wohin mit dem hochradioaktiven Müll? Die Standortsuche beginnt. Warum der Ministerpräsident a.D., der den Prozess begleitet, überall das "Sankt-Florian-Prinzip" sieht.
Als Endlager heftig umstritten - wie wohl jeder potenzielle Standort: das Erkundungsbergwerk Gorleben auf einer Archivaufnahme. Tatsache ist: Das Land braucht eine Lagermöglichkeit für hochradioaktiven Müll.
Foto: Philipp Schulze | Als Endlager heftig umstritten - wie wohl jeder potenzielle Standort: das Erkundungsbergwerk Gorleben auf einer Archivaufnahme. Tatsache ist: Das Land braucht eine Lagermöglichkeit für hochradioaktiven Müll.
Martin Sage
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:39 Uhr

Liegt es an der Corona-Pandemie? Im Herbst 2020 hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BEG) bekannt gegeben, dass im Prinzip mehr als die Hälfte der Republik für ein atomares Endlager in Frage kommt. Doch die Nachrichten darüber gingen fast unter. Das dürfte sich bald ändern: Jetzt beginnt die Suche nach den Standortregionen, konkrete Landstriche rücken in den Fokus. Das Nationale Begleitgremium (NBG) aus zwölf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die von Bundestag und Bundesrat gewählt wurden, sowie sechs Bürgervertreterinnen und -vertreter soll die Endlagersuche transparent begleiten. Günther Beckstein, von 1993 bis 2007 bayerischer Innenminister und dann bis 2008 erster evangelischer Ministerpräsident im Freistaat, gehört dem unabhängigen Gremium an. Im Gespräch berichtet der 77-jährige CSU-Politiker, wie er die Befindlichkeiten im Land wahrnimmt bei der Frage, wohin der Atommüll irgendwann soll.

Herr Beckstein, haben Sie den Eindruck, dass die Suche nach dem Endlager die Menschen im Lande wirklich beschäftigt?

Günther Beckstein: Im September sind 54 Prozent des Bundesgebietes als mögliches Endlager ausgewiesen worden. Inzwischen haben zwei der drei Fachkonferenzen stattgefunden. Hier können sich Bürger, Wissenschaftler und Kommunen mit den Teilgebieten auseinandersetzen. Die Teilnehmerzahl lag zwischen 800 und 1500. Das ist in Anbetracht der 80 Millionen Menschen, die in Deutschland leben, sehr wenig. Die Teilgebiete sind noch zu groß gefasst, als dass es auf lokaler Ebene große Betroffenheit geben könnte. Das ist mancherorts allerdings anders: Der Landkreis Wunsiedel hat sogar eine eigene Stelle eingerichtet, die den Vorgang begleitet. Denn Wunsiedel und das Fichtelgebirge werden immer wieder als Standort genannt. Aber auch meine Heimatstadt Nürnberg ist Teilgebiet. Wenn ich da meinen Freunden sage, wir könnten ein atomares Endlager bekommen, dann zweifeln die an meinem Verstand.

In Bayern sind viele Bürger wohl eh der Meinung, das atomare Endlager kommt nicht in den Freistaat, weil die Staatsregierung das so vehement ablehnt…

Beckstein: Im Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern ist festgehalten, dass Bayern kein Standort für ein Endlager sein wird. Das ist aus der Sicht des Findungsprozesses unerheblich, denn das Standortauswahlgesetz – ein Bundesgesetz - sagt eindeutig, ganz Deutschland ist ein weißer Fleck und es wird dort gesucht, wo der günstigste Standort ist. Da ist Bayern dabei und sogar mit relativ großen Flächen. Viele in Deutschland würden in Schadenfreude schwelgen, wenn das Endlager nach Bayern käme. Weil sie sagen, in Bayern hat man die Kernkraft intensiv genutzt und jetzt sollen sie sich auch um den Dreck kümmern, der von dieser Nutzung herkommt. Kriterium ist aber ausschließlich die Frage: Wo ist der geeignetste Standort in Deutschland? Er wird in einem transparenten, wissenschaftsbasierten und lernenden Verfahren gesucht. Das Nationale Begleitgremium hat die Aufgabe zu kontrollieren, dass das tatsächlich nur nach diesen wissenschaftlichen und objektiven Kriterien geschieht.

"Viele in Deutschland würden in Schadenfreude schwelgen, wenn das Endlager nach Bayern käme."
Günther Beckstein, ehemaliger Ministerpräsident und Mitglied im Nationalen Begleitgremium 
Das Gremium hat gefordert, jüngere Menschen stärker in den Begleitprozess einzubeziehen. Haben Sie da auch an die Fridays-for-Future-Bewegung gedacht?

Beckstein: Hintergrund ist, dass das Bundesverfassungsgericht beim Klima ausdrücklich die Rechte der jungen Generation betont und die bisherigen Gesetze für nicht ausreichend erklärt hat. Das war für uns im NBG der Anlass zu sagen, es müssen von Anfang an die Rechte der jüngeren Generation gewahrt werden. Schließlich soll das Lager ja erst 2050 in Betrieb gehen. Bisher haben sich aber keine jungen Menschen selber beteiligt mit Ausnahme derer, die ausdrücklich ins Gremium berufen wurden.

Günther Beckstein, hier auf einem Archivbild von 2018, gehört dem Nationalen Begleitgremium für die Endlagersuche in Deutschland an. 
Foto: Andreas Stöckinger | Günther Beckstein, hier auf einem Archivbild von 2018, gehört dem Nationalen Begleitgremium für die Endlagersuche in Deutschland an. 
Angesichts der Tatsache, dass viele junge Menschen umwelt- und klimabewusst sind, ist das doch erstaunlich, oder?

Beckstein: Für junge Menschen ist die Frage der Endlagersuche noch viel weiter weg als für uns ältere. Wir erinnern uns noch an Gorleben und die Nutzung der Kernenergie, während das für Jüngere schon fast Geschichte ist.

Die möglichen Teilgebiete umfassen mehr als die Hälfte der Bundesrepublik. Hat Sie das überrascht?

Beckstein: Das hat mich völlig überrascht. Wir hatten erwartet, dass 60 bis 90 Teilgebiete genannt werden, die vielleicht 5 oder 10 Prozent der Fläche Deutschlands ausmachen.

Im Prinzip ist ganz Unterfranken Teilgebiet. Ab Sommer soll es darum gehen, Gebiete mit besonderer Eignung, die Standortregionen, zu finden. Haben Sie Informationen, ob Unterfranken oder Franken insgesamt da mit einbezogen wird?

Beckstein: Da kann im Moment niemand etwas sagen, noch nicht mal die Bundesgesellschaft für Endlagerung. Sie muss jetzt erst überlegen, nach welchen Kriterien sie von den 54 Prozent Landesfläche auf 10 Prozent reduziert. Die Kriterien werden frühestens im Frühjahr 2022 vorliegen. Jetzt sind die Experten intensiv damit beschäftigt, die Mitteilungen der Geologischen Landesämter zu bearbeiten. Und auch die Anfragen aus den Fachkonferenzen. Wir als NBG fordern eine öffentliche Beteiligung beim Prozess, wie man zu den Standortregionen kommt. Diese ist zugesagt, aber noch nicht, in welcher Form sie erfolgt.

"Im Moment gibt es noch nirgends eine Bereitschaft, selber ernsthaft zu erwägen, dass ein Standort auch Vorteile bieten kann."
Günther Beckstein über die Möglichkeit, dass sich eine Region freiwillig für das Endlager meldet
Geht es deutschlandweit jeder Teilregion, jedem potenziellen Standort, nur darum, das Endlager nicht zu bekommen? Oder spüren Sie die Haltung, dass man gemeinsam die beste Lösung findet?

Beckstein: Bisher haben sich nur solche Regionen gemeldet, die sagen, das soll überall hin, aber nicht zu uns. Der Heilige Sankt Florian ist im Moment der beliebteste Heilige in der Endlagersuche. Es gibt Kommunen wie Ebersberg oder Wunsiedel, die beschlossen haben, nicht Standort werden zu können. Das hat nach dem Freistaat Bayern jetzt auch Mecklenburg-Vorpommern getan. Im Moment gibt es noch nirgends eine Bereitschaft, selber ernsthaft zu erwägen, dass ein Standort – offen gesagt – auch Vorteile bieten kann. Da werden ja Milliarden investiert – und die Gefahren für die Allgemeinheit sind aus meiner Sicht absolut minimal.

September 2020: Steffen Kanitz (links) und Stefan Studt, Mitglied und Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), zeigen eine Karte der Landstriche, die grundsätzlich für ein Endlager in Frage kommen.
Foto: Kay Nietfeld, dpa | September 2020: Steffen Kanitz (links) und Stefan Studt, Mitglied und Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), zeigen eine Karte der Landstriche, die grundsätzlich für ein ...
2031 soll die endgültige Entscheidung über das Endlager fallen. Angesichts der Klagemöglichkeiten und der Erfahrungen aus anderen Großprojekten: Ist das nicht ein völlig utopisches Ziel?

Beckstein: Die Klagemöglichkeiten sind sehr eingeschränkt. Von daher ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass dieser Zeitplan eingehalten wird. Nebenbei gesagt: die Schweiz sucht auch ein Endlager, aber die Eidgenossen nehmen sich dafür rund zehn Jahre mehr Zeit. In der Schweiz und auch in Finnland war die Situation völlig anders als in Deutschland: Dort haben sich mehrere Landkreise um das Endlager beworben, weil große Ausgleichszahlungen gemacht werden. Wo ein Endlager hinkommt, gibt es gleichzeitig neue Schulen, Schwimmhallen oder Freizeiteinrichtungen.

Dann zum Schluss: Halten Sie den Atomausstieg angesichts der schwierigen Suche nach einem Endlager und der Problematik mit dem Müll für richtig?

Beckstein: Wir brauchen das Endlager völlig unabhängig davon, ob wir aus der Kernenergie aussteigen oder nicht. Auch wenn wir Kernenergie weiter betrieben, bräuchten wir ein Endlager. Auch ich hätte nie mehr ein Kernkraftwerk in Deutschland gebaut. Allerdings erscheint es mir nicht völlig überzeugend, dass wir unsere Kernkraftwerke 2022 abschalten, aber dann ein großer Nutzer der Kernenergie der Franzosen oder der Tschechen sind, weil wir auf Importe angewiesen sind.

Die Endlagersuche und das Nationale Begleitgremium

Wie die Suche nach dem Standort eines Endlagers für hochradioaktiven Müll ablaufen soll, ist im Standortauswahlgesetz von 2017 beschrieben. Die Endlagersuche befindet sich am Ende der ersten von drei Phasen. Bis zum Jahr 2031 will Deutschland einen Standort finden, ab 2050 soll das Endlager gebaut werden. Die Standortsuche ist gesetzliche Aufgabe der Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE). Zuständige Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde ist während des gesamten Verfahrens das Bundesamt für die Sicherheit nuklearer Entsorgung (BASE). Beide gehören zum Geschäftsbereich des Bundesumweltministeriums. 
Phase 1:  Im September 2020 hat die BGE erstmals und anhand der geologischen Daten aus den einzelnen Bundesländern potentielle Standortregionen für ein Endlager genannt, die Teilgebiete. In drei "Fachkonferenzen Teilgebiete" konnten bzw. können Bürger, Wissenschaftler oder Kommunen dazu Stellung nehmen. Die letzte Runde findet im August statt. Unter Einbeziehung der Ergebnisse dieser Konferenzen macht die BEG Vorschläge für Standortregionen, die übertägig erkundet werden sollen. Die Öffentlichkeit wird unter anderem in Regionalkonferenzen in die Standortauswahl einbezogen, über die schließlich Bundestag und Bundesrat entscheiden.
Phase 2: Mit übertätigen Erkundungen (Bohrungen, seismische Messungen) und Analysen, welche Auswirkung ein Endlagerbau auf eine Region hätte, werden Standorte ermittelt und dann durch Bundesgesetz bestimmt, in denen unterirdische Erkundungen stattfinden soll. 
Phase 3: Aus der untertägigen Erkundung geht der Standortvorschlag für das Endlager hervor. Am Ende entscheiden Bundestag und Bundesrat über den Standortvorschlag der Bundesregierung.
Das Nationale Begleitgremium (NBG) begleitet alle Phasen der Endlagersuche als gegenüber Behörden, Parlament, beteiligten Unternehmen und Experten-Einrichtungen unabhängige gesellschaftliche Instanz. Das NBG möchte den Prozess der Standortauswahl transparent machen, aber auch zwischen den Akteuren schlichten und damit zu einem fairen Auswahlverfahren für den bestmöglichen Endlagerstandort beitragen.   
Quelle: Nationales Begleitgremium / www.nationales-begleitgremium.de
 
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  • D. E.
    Hr. Beckstein engagierem Sie sich für das Endlager an ihrem Wohnort - Nürnberg - das Sie möglichst viel von den Vorteilen genießen können. Mit etwas Mühe sollten Sie die Nürnberger leicht überzeugen können. Bei Ihrem Nachbarn Hr. Söder können Sie gleich loslegen.
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  • M. M.
    Wir könnten Anreize setzen. Z.B. könnte die Einkommensteuer für Anwohner in einem bestimmten Radius um das Endlager um x% gesenkt werden. Wetten es gäbe Bewerbungen?
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  • D. E.
    Warum wollen Sie Gutverdiener mit niedrigeren Einkommensteuern privilegieren? Niedriglöhner, Studenten, Kinder, Rentner haben nichts davon und können sich nicht mal einen Umzug leisten.
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  • E. V.
    Das kommt dabei raus, wenn man solche Entscheidungen 77 Jahre alten Leuten überlässt. Aber für St. Florian sollten wir alle heute abend eine Kerze anzünden.
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  • H. S.
    "Da werden ja Milliarden investiert – und die Gefahren für die Allgemeinheit sind aus meiner Sicht absolut minimal."
    Jawoll Herr Beckstein, in der Asse da werden bald sogar schon zum 2. mal Milliarden investiert - um die undichten, absaufenden Fässer wieder zurückzuholen. Am besten Herr Beckstein hilft mit bei der Rückholaktion, die Risiken sind ja minimal...
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  • R. A.
    Es stimmt doch, dass das Floriansprinzip gerne angewendet wird. Wobei mir persönlich das eigentlich egal ist, wo es hinkommt. Wenn ein regionaler Standort geeignet ist, muss man eben auch das Solidarprinzip gelten lassen. Wobei die Endlagerstätten ja Steuertechnisch schon Vorteile geniessen werden, denn die Gewerbesteuer wird durch die Betreibergesellschaften steigen müssen. Sieht man nach Grafenrheinfeld, die sind in der Gewerbesteuer fast ersoffen und jetzt jammern sie rum, weil die massivst fehlt.
    Von nix kommt nix.
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  • L. W.
    @ tricktricktrack

    Zu den Zeiten als Grafenrheinfeld noch in der Gewerbesteuer fast
    "ersoffen" ist, wie sie es ausdrücken, da gab es noch die Gewerbekapitalsteuer. Die ist aber schon einige Jahre abgeschafft.

    Zur Zeit richtet sich die Gewerbesteuer nur nach dem Ertrag und von daher wird nicht so viel für die betroffenen Gemeinden "abfallen".

    Denn nur die Verwahrung von Atommüll ist vermutlich kein extrem gewinnbringendes Geschäft.
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  • G. K.
    Mit dem hier gebotenen Ernst kann ich nur sagen: vielleicht hat Herr Beckstein in seinem Keller ja noch ein Plätzchen frei für ein paar Fässer...
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