Das war bitter! Genau drei Stunden lang, an einem Samstagvormittag, waren die 105 Werke öffentlich zu sehen gewesen. Dann musste die Gemäldegalerie in der Würzburger Residenz ihre Türen schon wieder schließen - auf nicht absehbare Zeit.
Die Eröffnung der lange geplanten, großen Ausstellung zu Giambattista Tiepolo im 250. Todesjahr des venezianischen Jahrhundertkünstlers hatte Ende Oktober schon ins Netz verlegt werden müssen. Einen Tag später dann war die Schau - mit vielen Stücken aus der Sammlung des Würzburger Universitätsmuseums und internationalen Leihgaben - für spontane und schnelle Kunstinteressierte ganz kurz zu sehen. Einen weiteren Tag später: November-Lockdown, alles dicht.
„Der Schönheit die Arbeit geben - Tiepolo und seine Werkstatt in Würzburg" - es ist eine kleine, aber feine und ambitionierte Ausstellung, die die Kunsthistoriker um Professor Damian Dombrowski im Martin von Wagner-Museum präsentieren. 1770 war der Barockmaler, der drei Jahre in Würzburg gewirkt und in der Fürstbischöflichen Residenz die bedeutenden, bewunderten Fresken geschaffen hatte, gestorben. Im großen Gedenkjahr sollte wenigstens auch hier erzählt werden von seiner Arbeit - so war die Intention. Eine kleine Schau hatten Dombrowski und seine Mitstreiter geplant. Doch sie wuchs sich aus, wurde in Kooperation mit dem Museum für Franken größer, ein umfangreicher Katalog entstand.
Die erste größere Tiepolo-Schau in Würzburg seit einem Vierteljahrhundert
"Seit fast 25 Jahren ist es die erste größere Veranstaltung zu Tiepolo am Ort seines glücklichsten Wirkens", hatte sich das Kuratorenteam gefreut.
Sämtliche seiner Zeichnungen im Besitz des Universitätsmuseums wollte es zeigen - neben einer Reihe von Leihgaben, dazu zahlreiche Blätter aus seinem unmittelbaren Wirkungskreis: Merkskizzen der Söhne Giandomenico und Lorenzo, Pauskopien des wichtigsten Mitarbeiters Georg Anton Urlaub. Das Ziel: zeigen und anschaulich machen, wie in der Würzburger Werkstatt Tiepolos gearbeitet wurde, wie der geniale Venezianer seine Ideen, Einfälle, Entwürfe weitergab.
1750 hatte der Würzburger Fürstbischof Greiffenclau den Maler an den Main gelockt mit dem Versprechen, ihm künstlerische Freiheit zu lassen. Tiepolo sollte, so die Hoffnung Greiffenclaus, „nach seiner gerühmten stärcke der arbeit die schönheit geben“. Das Zitat wurde zum Titel der Ausstellung, diesen Schaffensprozess - von der Arbeit zur Schönheit - sollte die Werkschau über das Medium der Zeichnung ablesbar machen. Dazu kamen - quasi zur Abrundung - Gemälde und Radierungen aus Tiepolos Würzburger Jahren.
Am 31. Januar 2021 ist Schluss
Eine intime Annäherung an die Künstlerpersönlichkeit Tiepolo - nur wie, wenn die Ausstellung nicht besucht werden kann? Wenn die Museumstüren dicht sind? Wenn die Lichter ausbleiben müssen über Wochen, vielleicht Monate? Bis 31. Januar 2021 ist die Tiepolo-Ausstellung angesetzt. Schon bei der Eröffnung war klar, dass sie nicht verlängert werden kann - weil in der Gemäldegalerie für die große Mozartfest-Schau größere Umbauten und Vorbereitungen anstehen werden.
Was tun im Teil-Lockdown, der inzwischen ein harter geworden ist? Das Museumsteam, das ein Jahr auf die Schau hingearbeitet hatte, reagierte. Und setzte alles daran, die Tiepolo-Ausstellung in den digitalen Raum zu tragen: "Nun wird eben über YouTube das Verborgene präsent gehalten", sagt der Direktor der Neuen Abteilung. "Das macht viel Arbeit, aber sie lohnt sich."
Eine Woche nach der Eröffnung wurde es auf dem eigens eingerichteten YouTube-Kanal bereits lebendig. „Tiepolo libero!“ - so viel wie "Tiepolo frei!" - heißt die Serie von Videos, von denen alle zwei bis drei Tage ein neues erscheint. Mit den digitalen Führungen wollen die Kunsthistoriker ihre Ausstellung aus dem Verborgenen, dem Eingesperrtsein befreien. "Freier Tiepolo! Wir wollen damit auch der künstlerischen Freiheit Rechnung tragen, die einen beim Anblick seiner Werke erwartet", sagt Dombrowski.
Alles über Tiepolo und die Lieblingsstücke von Experten
Jetzt kann jedermann von zuhause aus jederzeit die Gemäldegalerie besuchen - und bekommt sehr persönlich eine Führung. Die Videos führen in die Ausstellung ein oder widmen sich einzelnen Abschnitten. Die Würzburger Spezialisten diskutieren darin übergreifende Aspekte Tiepolos, wie sein Verhältnis zur Aufklärung oder die Arbeitsabläufe zwischen Meister und Werkstatt. Und in der Rubrik „Lieblingsstücke“ stellen sie einzelne Kunstwerke vor. Die drei Kuratoren Damian Dombrowski, Dr. Markus Josef Maier und Aylin Ulucam erklären und präsentieren - aber auch externe Fachleute. Das Tolle für den Besucher: bei Verweisen auf andere Werke, werden die gleich eingeblendet. Und am heimischen Bildschirm kann man an Zeichnungen ziemlich nah ran.
„Ohne unser sehr junges Team hätten wir den Sprung in die Digitalität nicht geschafft und vermutlich nicht einmal gewagt“, sagt Dombrowski. Und verweist auf Institutsfotograf und Kameramann André Mischke, Mitkuratorin Aylin Ulucam und Helfer Caro Koch. Das Trio konzipiert und entwickelt die digitale Ausstellung fortwährend weiter.
„Normalerweise ist eine Ausstellung in dem Moment gelaufen, wenn sie eröffnet wird“, sagt der Museumsdirektor: „Jetzt ist es ein permanentes Projekt, das uns zeitlich viel abverlangt.“ Doch die Alternative wäre, die Ausstellung in abgedunkelten Räumen sich selbst zu überlassen. „Das wollten wir nicht. Das Museum setzt darauf, dass die Videos einen umso größeren Appetit auf die Begegnung mit den Originalen wecken.“
"Sternstunde" auf Youtube
Zwei Höhepunkte der Videoserie sollen noch kommen und in den kommenden Wochen hochgeladen werden: Die Erläuterungen von Dr. Markus Maier, dem Kurator der Neueren Abteilung, zu den technischen Aspekten von Tiepolos Radierungen, von denen zahlreiche in der Ausstellung zu sehen sind. Und dann wird es in einem Beitrag um einen Überraschungsgast gehen, sagt Dombrowski: "Eine nahezu identische Version von Tiepolos 'Kopf eines Orientalen', die just zu Ausstellungsbeginn in Privatbesitz aufgetaucht ist." Die Gegenüberstellung der Zwillingsbilder sei "eine Sternstunde der Stilkritik“ gewesen. Durch das Video wird sich der Museumsbesucher von zuhause aus selbst ein Urteil bilden können.