Besuch beim Restaurator: Der dunkle Firnis ist herunter, die historischen Szenen leuchten und strahlen. Für seine große Tiepolo-Schau hat das Martin von Wagner-Museum ein bekanntes Bild-Paar restaurieren lassen. Wie Georg F. R. Pracher die Schönheit ans Licht brachte.
Ob es Tiepolo sehr eilig hatte? Mit wie viel Schwung und Verve er vor der Palette, ganz nah am Gemälde, wohl die Farbe anrührte? Als Georg F. R. Pracher Millimeter für Millimeter den dunklen, braungelb gewordenen Firnis abnahm, da waren sie plötzlich zu sehen, die kleinen Spritzer. Die winzigen Farbkleckser und originalen Sprenkel, die auf die Leinwand gerieten, weil Giambattista Tiepolo vor 270 Jahren so schnell arbeitete, so zügig und dynamisch malte. „Hier, sehen Sie?“, der Restaurator zeigt mit dem Pinselstiel Richtung felsigen Boden vor Mucius Scaevola. „Hier unten, Spritzer vom Himmel.“
Apropos Himmel. Wie hell er wieder ist! Wie strahlend frisch und klar und nordisch fast. Weg sind die dunklen Schatten, die gewittrig-gräulichen Wolken. Weg ist die drückende Abendstimmung. „Mucius Scaevola vor Porsenna“, dieses Ölgemälde aus den Jahren 1750/53, sei „kühler geworden“, sagt Damian Dombrowski so fasziniert wie verblüfft. „Eine Kühle, die nicht kalt ist. Die elegant ist!“ Nun ist es nicht so, dass man den Kunstgeschichte-Professor und Leiter der Neueren Abteilung des Martin von Wagner-Museums in Würzburg noch überraschen könnte mit der Farbkunst eines Tiepolo.
„Tiepolo“, sagt Dombrowski, „war ein großer Kolorist!“ Aber wie jetzt hier im 103 auf 122 Zentimeter großen Historiengemälde aus den Schmutzfarben des Hintergrunds die Trias Gelb, Rot, Blau strahlt. Wie alles klar ist und leuchtet um den Römer Gaius Mucius, dessen Anschlag auf die feindlichen etruskischen Belagerer misslang und der im Tiepolo-Werk – gefangen und von Folter bedroht – vor König Lars Porsenna gerade seine Hand in ein Feuer legt, um seine Furchtlosigkeit zu zeigen. Doch, das nötigt Dombrowksi eine gehörige Portion Begeisterung und Lobpreis ab. „Eine kleine Sensation“, sagt der Kunsthistoriker.
„Die Farbwirkung ist jetzt wieder von einer Frische, als käme das Bild direkt aus Tiepolos Werkstatt!“ Doch es kommt direkt aus der Werkstatt von Georg F. R. Pracher. Ebenso wie das Pendant-Bild „Die Frauen Roms vor Coriolan“. Ende Oktober werden die beiden Gemälde wieder im Martin von Wagner-Museum zu sehen sein, dann neu präsentiert in einer großen Tiepolo-Schau. Und über das, was der Diplom-Restaurator in den Sommerwochen aus dem berühmten Bild-Paar machte, schwärmt Dombrowski fast so wie über die Kunstfertigkeit und Farbgewalt des bedeutenden venezianischen Barockmalers. „Der Arbeit die Schönheit geben“ ist die Ausstellung betitelt, die mal als kleiner Einblick in den eigenen Bestand gedacht war und sich zum Großprojekt mit internationalen Leihgaben und großem Katalog ausgewachsen hat. Dem Jahrhundertkünstler anlässlich des 250. Todesjahres gewidmet, ist die Schau in der Würzburger Residenz – „am Ort seines glücklichsten Wirkens“, wie Dombrowski sagt – tatsächlich die erste größere Veranstaltung zu Tiepolo seit fast 25 Jahren.
Sämtliche Zeichnungen aus seinem Besitz zeigt das Universitätsmuseum ab 31. Oktober, dazu zahlreiche Blätter aus Tiepolos Würzburger Werkstatt: Merkskizzen seiner Söhne Giandomenico und Lorenzo, Pauskopien seines wichtigsten Mitarbeiters Georg Anton Urlaub. Tiepolo solle, so hatte es Fürstbischof und Auftraggeber Karl Philipp von Greiffenclau 1750 für die Residenz gewünscht, „nach seiner gerühmten stärcke der arbeit die schönheit geben“. Eben diesen Prozess wollen die Ausstellungsmacher ablesbar, nachvollziehbar machen.
Über Zeichnungen vor allem, über Radierungen. Und eben über die beiden Historiengemälde, denen Georg F. R. Pracher in vielen Arbeitsstunden die Schönheit wieder zurückgab. Ja, doch, „sehr eingegilbt“ seien sie gewesen, sagt der Restaurator nur. Der transparente Schutzfilm auf der Farbe war braun geworden, die Ölfarbe selbst war gealtert, Relikte von historischen Restaurierungsmaßnahmen taten ein trübendes Übriges. „Die gewollte Farbigkeit war nicht mehr zu erkennen.“ Pracher tränkte winzige Wattefetzen in Lösungsmittel und wippte und rollte sie auf einem Bambusstäbchen stundenlang, wochenlang auf der Staffelei über die gealterten Schichten.
Mit trainiert ruhiger Hand – und schwarzem Handschuh, ohne störende Reflexion, mit extremer Konzentration und Kopflupe trug er den Firnis ab, den Schmutz und Staub, die Harzschichten. Manchmal saß Pracher sechs, sieben Stunden vor dem Gemälde. Den Erfolg seines Tuns konnte er am Abend ablesen neben der Staffelei: „An der gelblichen Watte.“ Der Würzburger Restaurator hat schon einige bedeutende Kunstwerke konserviert und „behandelt“. Das Bild-Paar des barocken Großmeisters aus der Würzburger Residenz über Wochen im eigenen Atelier zu haben, war aber auch für Pracher etwas Besonderes.
Wieder und wieder staunte er während der Feinarbeit mit Lösungsmittel und wattiertem Stäbchen über die Eigenart und die Qualität der Malerei. Ein einfacher, schneller Pinselzug, ein dünner schwarzer Strich – schon hat eine Frauenfigur eine Schleife im Haar. „Das zeigt, was für ein Genie Tiepolo war!“ Man spüre und sehe in beiden Gemälden „den Drang des schnellen Malens“, sagt Pracher und zeigt weitere feine Farbspritzer, die die Oberfläche des Pendant-Gemäldes übersprenkeln. Bislang habe er ja „den Mucius lieber gemocht“, sagt Damian Dombrowski. Jetzt, nach der Schönheitskur im Restauratorenatelier, begeistern ihn „Die Frauen Roms vor Coriolan“.
„Gesichter und Gewänder in einem fast übernatürlichen Licht, ein Akkord aus Zitronengelb, Zinnoberrot und Blautürkis“, sagt der Direktor der Gemäldegalerie. Das Bild versammle „die Stileigenschaften des reifen Tiepolo in geradezu idealtypischer Weise“. Die überaus freie Pinselführung, das ungestüme Auftragen der Farbe, der fast skizzenhafte Duktus – „all das hat die jüngste Restaurierung vollends an den Tag gebracht“.
Was die Entstehung des Bildpaars zum historischen Stoff aus der römischen Frühzeit betrifft: Der Empfänger beider Gemälde sei Balthasar Neumann, der Residenz-Baumeister, gewesen, mit dem sich Tiepolo für die Ausmalung des Treppenhauses eng abgestimmt haben muss. „Ob diese Kompositionen ein Freundschaftsgeschenk waren oder per Auftrag zustande kamen, wissen wir nicht“, sagt Dombrowski. Die Tatsache, dass sie militärische Begebenheiten zeigen, könnte sich auf Neumanns Offizierslaufbahn beziehen lassen. Aus dem Besitz von Tiepolos Erben waren die Bilder 1834 in das „Ästhetische Attribut“, die Gemäldesammlung der Würzburger Universität übergegangen.
Die Helden sind einmal auf der rechten Seite – die Frauen – , einmal auf der linken Seite – Mucius – angeordnet. „Um sie hervorzuheben, fällt das Licht hier von links, dort von rechts ein“, sagt der Kunsthistoriker. Häufig habe Tiepolo seine Kompositionen auf die reale Beleuchtungssituation abgestimmt. Vielleicht also ein Hinweis, „dass die Gemälde in der Wohnung Balthasar Neumanns für eine Hängung an gegenüberliegenden Wänden bestimmt waren“. Ab 31. Oktober werden sie jedenfalls – 250 Jahre nach Tiepolos Tod und fast wie frisch gemalt – in der Residenz gegenüber hängen.