19 mal 32 Meter, durch die Wölbung 677 Quadratmeter insgesamt – wie muss das Giambattista Tieopolo gereizt haben! Auf solch großer, dazu ungeteilter Fläche ein Fresko zu schaffen – ausgestattet mit aller künstlerischen Freiheit. Würzburgs Fürstbischof wollte den begehrten Maler aus Venedig unbedingt in seiner Residenz haben und lockte mit nicht weniger als dem größten zusammenhängenden Deckenfresko der Welt. Und so ging der berühmte Meister nicht nach Paris oder Stockholm oder sonst ein europäisches Königshaus, wo er mit seinen opulenten Gemälden Repräsentationskunst und herrschaftliche Propaganda hätte schaffen sollen. Sondern kam mit seinen beiden Söhnen 1750 an den Main, um das gewaltige Treppenhaus mit einem Großgemälde zu vollenden.
Der geniale Venezianer, so die Hoffnung von Karl Philipp von Greiffenclau, solle „nach seiner gerühmten stärcke der arbeit die schönheit geben“. Und Tiepolo gab, in dreijähriger Schaffenszeit, dem Würzburger Fürstbischof nicht weniger als eine seiner bedeutendsten Schöpfungen überhaupt. Und wie sehr diese Kunst, das Entstehen des Schönen, mit unablässiger Arbeit, mit enormer Produktivität, gewaltigen Anstrengungen verbunden war – genau dies will am Ende des 250. Todesjahres Tiepolos jetzt eine große Ausstellung in der Residenz zeigen.
Das Kuratorenteam hat sich von Tiepolo mitreißen lassen
„Der Arbeit die Schönheit geben“ – so hat das Kuratorenteam des Martin von Wagner Museums der Universität die Schau betitelt. „Die erste größere Veranstaltung zu dem Jahrhundertkünstler am Ort seines glücklichen Wirkens seit fast 25 Jahren“, wie Museumsdirektor Professor Damian Dombrowski sagt. Eigentlich hatte das Unimuseum im Tiepolo-Jahr ja nur einen kleinen Einblick in die eigenen reichen Zeichnungsbestände geben wollen, sagt Dombrowski. Hatte in direkter Nachbarschaft zum weltberühmten Fresko einige Blätter aus dem Inventar zeigen und dazu eine kleine Broschüre machen wollen. Doch dann, so der Museumsleiter, „haben wir uns selbst von Tiepolo mitreißen lassen“.
Es ist eine große Ausstellung mitsamt stattlichem 300-Seiten-Katalog geworden, die auf besondere Weise eben nicht nur bedeutende Werke des Barockmeisters zeigt. Sondern die von der Umtriebigkeit und Produktivität der Werkstatt erzählt, die der Italiener da 1750 unter dem Dach des neuen Schlossgebäudes eingerichtet hatte. „Es wurde gezeichnet, gezeichnet, gezeichnet“, sagt Dombrowski. Reine Tuschezeichnungen, Rötelzeichnungen, lavierte Federzeichnungen – die vielen erhaltenen Blätter zeugen von der koordinierten Arbeitsweise Tiepolos und seiner Mitarbeiter.
Als einsames Genie hätte der 54-jährige Meister, wenngleich bei der Ankunft in Würzburg auf dem Gipfel seiner schöpferischen Kräfte, wohl nie dem Großprojekt in Treppenhaus, Kaisersaal und Hofkirche zu Verwirklichung verhelfen können, so Dombrowski. „Vielmehr sorgte er dafür, dass für wenige Jahre so etwas sie eine Würzburger ‚industry of art‘ entstand.“
Würzburg sei ein Musenhof gewesen, sagt der Kunsthistoriker. Tiepolos Kunst sei hier, sei vom Fürstbischof so bewundert worden – „er konnte machen was er wollte“. Und er verstand es, die Arbeitslast zu verteilen. Die Mitarbeiter seiner Werkstatt – allen voran Sohn Giovanni Domenico und der Thüngersheimer Maler Georg Anton Urlaub – machte er „quasi zur verlängerten Hand“. Perfekt abgestimmt muss das Schaffen und Umsetzen in der Residenz gewesen sein. Der Meister selbst konnte sich auf die ästhetische Seite der Fresken und Gemälde – die Stimmigkeit von Komposition und Kolorit, um Lichtverhältnisse und Wohlgestalt der einzelnen Figuren – konzentrieren.
Auf den Arbeitsblättern ist zu sehen, wie der Schönheit die Arbeit vorausgeht
105 Werke haben Dombrowski und Museumskurator Dr. Markus Maier zusammengetragen – aus den eigenen Beständen, ergänzt durch internationale Leihgaben. Präsentiert werden Zeichnungen, Radierungen und Gemälde Tiepolos und zahlreiche Blätter aus seinem unmittelbaren Wirkungskreis: Merkskizzen seiner Söhne Giandomenico und Lorenzo ebenso wie Pauskopien seines wichtigsten Mitarbeiters Georg Anton Urlaub.
Jetzt ist – eben auf den zunächst unspektakulär und schlicht wirkenden „Arbeitsblättern“ – zu sehen, wie der Schönheit die Arbeit vorausgeht, wie der Ästhetik das Handwerk zugrunde liegt und wie das Funktionieren einer Werkstatt Voraussetzung ist für das Gelingen eines perfekten Kunstwerks. „Vor allem wird deutlich, wie sehr das Zeichnerische die Malerei Tiepolos beherrscht, in den Fresken genauso wie in den Staffeleibildern kleineren Formats“, sagt Projektmitarbeiterin Aylin Uluçam.
Jetzt ist zu sehen? Natürlich nicht. . . Die Würzburger Tiepolo-Ausstellung trifft das Schicksal des Corona-Lockdowns auf besondere Weise. Am Donnerstag, dem Tag vor der Eröffnung, war bekannt gegeben worden, dass alle Schließungen – anders als im Kulturland Italien – auch die Museen betreffen. „Wir eröffnen trotzdem“, beschlossen die Kuratoren und sagten die bereits geplante publikumslose, dafür digitale Auftaktveranstaltung per Livestreamam Freitagabend nicht ab.
Die Ausstellung ist also eröffnet – und tatsächlich in der Residenz erst einmal nur an diesem Samstagvormittag, 31. Oktober, zu sehen. Für gerade mal dreieinhalb Stunden. Denn am Sonntag ist planmäßig nicht die Gemäldegalerie, sondern die Antikensammlung geöffnet. Und ab Montag ist. . . zu.
Doch Tiepolo soll zu sehen sein – auch im November! Das junge Ausstellungsteam wird kurze digitale Themenführungen anbieten, wird Online-Führungen machen – live, dass der „Besucher“ von daheim aus Fragen stellen kann. Und einen Podcast soll es geben, mit Tiepolo-Experten. Vielleicht kommt man auf den zwangsweisen Wegen dem Genie des Venezianers, dem Meisterzeichner und seiner technischen Virtuosität, stilistischen Bandbreite und voraussetzungslosen Freiheit ja sogar besonders nahe.
"Der Arbeit die Schönheit geben -Tiepolo und seine Werkstatt in Würzburg" – bis 31. Januar 2021 in der Gemäldegalerie des Martin von Wagner Museums in der Würzburger Residenz. Aufgrund der Zwangspause zunächst nur an diesem Samstag, 31. Oktober, von 10 bis 13.30 Uhr.
Ab 9. November ist der umfangreiche Katalog zur Ausstellung im Buchhandel, herausgebracht vom Deutschen Kunstverlag. 314 Seiten, 330 farbige Abbildungen, 39,90 Euro.