Einen klassischen Sprachführer hat er nicht geschrieben, auch kein Lehrwerk zum Erlernen des fränkischen Dialekts. Was sein "Gräschkurs" dann sein soll? Ein kleiner Wegbegleiter hin zur Sprache einer Region mit all ihren Eigentümlichkeiten, sagt Helmut Haberkamm. Der Mittelfranke, Mundartdichter, Dialektexperte und Lehrer will mit seinem neuen Büchlein den Wert und die Besonderheiten des Fränkischen aufzeigen. Reigschmeckten wie Einheimischen, Muttersprachlern wie Anfängern. Ein Gespräch über Wohlklang, Mentalitäten und Würzwörter.
Helmut Haberkamm: Wir haben ja große Freiheit, es gibt keine Norm! Ich red‘ einfach so, wie mir der Schnabl gwachsn is. Ich maan, mer stellt sich ja a bissla auf des Gegenüber ein. Wenn Sie jetzt Hochdeutsch fragen, schalte ich im Unterbewusstsein a bissla mehr auf Schriftsprache. Wennermi onstreng, kanni nadürlich aa dodal Fränggisch redn, des gehd fei scho aa, gell.
Haberkamm: Er ist ja auch gedacht als Schnelldurchlauf durch die Vorzüge und Eigenheiten des Dialekts. Grad auch für Leute, die ihn däglich hörn im Umfeld, immer wieder mal, aber ned viel drüber wissn. Oder auch für Muddersprachler. Die blaudern Fränggisch, wissen aber aa ned viel drüber.
Fang‘ mer mal bei den Basics an. Jede Sprache hat natürlich einen eigenen Zugang zur Wirklichkeit, zur Welt. Damit stecken auch hinter jeder Sprache ganz eigene Empfindungen, Denkweisen, Haltungen, Einstellungen. Jede Sprache liefert Wortschatz, liefert grammatikalische Phänomene, die von einer Norm abweichen. Was mir am Fränggischn gfällt, is die Abweichung von der Norm.
Nadürlich! Ich würde auch nie behaupten, Fränggisch is jedserd a besonderer Dialegd. Des is ja Bleedsinn. Es ist eine Variante, eine Spielart des Deutschen. Aber eben eine, die auf keinen Fall weniger wert ist oder unkorrekter ist als jede andere.
Das naheliegende ist natürlich der Wortschatz. Wir haben im Dialekt Worte, die wir in der Hochsprache nicht mehr haben oder nie hatten. Zum Beispiel das schöne Adjektiv gäddli.
Das gibt es in ganz Franken und heißt so viel wie passend oder gelegen. Und es ist verwandt mit Gatten, Gattung, Begatten. Zwei Sachen, die zusammenpassen. Dieses Adjektiv gättlig hat es im Mittelhochdeutschen irgendwann mal gegeben, aber ist ausgestorben. Der Dialekt hat es aufbewahrt. Und es ist ein sehr schöner Begriff um auszudrücken, dass etwas passt. Es gibt Momente, wo „passend“ ned bassd! Oder ned so schön klingt. Des kommt mir etz gäddli. Oder, die Verneinung: Du kummst mir etz ganzergoor uugäddli. Oder ein zweites Beispiel, weil heute Regenwetter ist: Das Wort Saacherla. Das kommt vom Seichen, Wasserlassen, Urinieren. Saacherla heißt kleiner Regen. Im Hochdeutschen haben wir keine solche Metapher für einen kleinen Regen, nur den Schauer.
Für weite Teile Frankens zumindest etwa diese sehr typische – nun, wie soll ich’s nennen? Positiv gewendet wäre es Bescheidenheit, negativ gewendet wäre es Gleichgültigkeit. Diese „Bassdscho“-Haltung. Die ist sehr dübbisch für Franggn und die ärgert mich auch a bissla. Bassdscho kann sowohl heißen, es is in Ordnung ...
Ganz genau! Wenn jemand fragt: Und, schmeckt dir das Essen? Und der andere sagt, bassdscho – dann ist das eine Geringschätzung. Wenn mir etwas schmeckt, muss ich nicht sagen bassdscho. Das ist eine Beleidigung in dem Moment! Freude und Begeisterung soll man zeigen und ausdrücken.
Ja, schon, von außen betrachtet. Aber klar, die Unterschiede sind groß, die hört man auch sofort. Vor allem, wenn man dann in die Rhön geht oder in den Frankenwald. Gegenden, die noch amal a bissla mehr abweichn von der Norm. Franken ist brinzibiell hederogen. Viel zergliederter als zum Beispiel der bayerische Sprachraum. Das liegt an der Geschichte. Wir hatten nie ein Zentrum, nie ein einheitliches Herrschaftsgebiet, nie eine einheitliche Konfession nach 1520. Keinen gemeinsamen Herrscher, der seine Mundart pflegte. Die enorme Zersplitterung hat die Sprache jahrhundertelang massiv geprägt.
Wo es schwieriger wird, ist die Rhön. Raue Gegend, die jahrhundertelang sehr abgelegen war. Sehr viel arme Menschen, wenig Mobilität, wenig Austausch, wenig Bildung. Da hat sich der Dialekt bis heute in einer sehr urwüchsigen Form gehalten. „Mr koos gehür un öisgehall“ zum Beispiel. Wortschatz, Satzbau – da muss ich schon aufbassn, wenn ich zuhorch.
Die Frage grieg ich so oft gstellt! Im Anhang vom Buch hab ich einfach mal 25 Lieblingsworte aufgelistet mit Bedeutung und Erklärung. Ich werd so oft danach gfragd und weiß immer ned, was ich soong soll. Sobald ich eins sag, fallen mir noch fünf ein, die viel schöner sind. Aber da hab ich jetzt a boor, die mir unheimlich gud gfalln, z.B. Schoofmaili, kobberneggisch, Lusum …
Ja, Sie in Würzburg haben ja das Lusamgärdla, wo der Walter von der Vogelweide begraben sein soll. Ein altes, in der Hochsprache ausgestorbenes Wort! Das wirkt lateinisch, isses aber gar ned. Das kommt von lussam, also lustsam wörtlich. Es bedeutet so viel wie Freizeit haben, Muße haben, gute Weile. Ein großartiges Wort! Heud hammer Lusam. Sehr schön. Und noch ein Wort, das fremdländisch klingt und weit verbreitet ist: Grawitschgo.
Das heißt so viel wie schlechte Arbeit, schlampige Arbeit, Gerümbel, Grembl. Du mal dei Grawitschgo da wech! Oder: Des hast ja widder auf Grawitschgo gmacht. Also minderwertig gearbeitet. Des dauchd nix, des Grawitschgo da. Es kommt wohl aus dem Slawischen – aber wer es wann wohl von wo nach Franken gebracht hat? Ein wunderschönes Wort. Der Klang drückt schon den Inhalt aus. So ein Grawitschgo!
Ein Abtönungspartikel, ein Würz-Wort! Damit kann ich eine Aussage würzen, ihr Nachdruck verleihen. „Fei“ ist fei allgegenwärtig. Net immer eindeutig. Dass es eigentlich von „fein“ kommt, merkt man ihm kaum noch an.
Nö, damit spiel ich halt a bissla. Ich will einfach nur zeigen, welche Auffälligkeiten und Eigenheiten in der Sprache stecken. Mentalität, Wortschatz, Redensarten – des sollerdmer wissn.
Zum Teil schon. Sie haben es ja schon angedeutet mit dem fei. Sie sagen ja wahrscheinlich auch ned und nix und vielleicht bassdscho und Gschmarri und weng. Auch wenn man keinen Dialekt spricht, nutzt man die regionalsprachlichen Besonderheiten.
Genau darum geht’s mir. Dass man den Dialekt wertschätzt und versteht. Das ist das Ziel: Dass man umschalten kann. So wie ich es jetzt auch mach. Ich red ja jetzt fast a bissla schriftsprachlich. Kennerd obber annersch redn aa, wenns sei misserd. Dass man Dialekt spricht, aber den Dialekt jederzeit verlassen kann, wenn die Situation oder das Gegenüber es erfordert.
Niemals! Scham ist ganz falsch. Man sollte sich nie für eine Sprache schämen, egal welche es ist.
Ach, die Rankings der beliebtesten Dialekte . . . . Das Sächsische ist immer relativ unbeliebt, was ich gar nicht verstehen kann. Ich finde das Sächsische durchaus anheimelnd, nett und lieblich. Ich hab ein großes Herz für Dialekte, für Abweichungen von dem reinen Schriftdeutsch und nüchternen Klang der Tagesschau. Manche sind schwieriger zu verstehen, wie zum Beispiel das Alemannische. In der Schweiz, in Vorarlberg, im Bodenseegebiet muss ich mich echt anstrengen. Aber das ist ja der Reiz, das ist bereichernd und inspirierend. Es gibt so viele Möglichkeiten das gleiche zu sagen, bloß mit anderen Mitteln! Darum geht es mir: die Vielfalt zu erleben, zu erhalten!
Ach, was heißt Angst. Eher Wehmut. Es ist schade. Weil damit Weltwahrnehmung verschwindet, Geisteshaltung, Kultur.
Das ist was Eigenes, da haben Sie recht. Wir verkleinern ja wie jeder Dialekt sehr gerne. Im Bayerischen ist es das Haferl und Schmankerl. Im Fränkischen haben wir Schmankerla, Schmankerle oder Schmankerli. Aber dann haben wir die schöne Besonderheit, dass wir im Fränggischn auch Dinge verkleinern können, die man in der Hochsprache überhaupt nicht verkleinern kann. So was wie „Siehst Du“.
Siggsdersla! Hammers scho! Unheimlich lustig, dass man das verkleinern kann. Oder „so“: soddala! Oder ein Zeitadverb wie „jetzt“ oder „nachher“: edzerdla und nacherdla. Achgoddala!
Genau! Ein La-La-Land der Koseformen. Das finde ich mit das Schönste im Fränkischen: Diese Weichheit, Lieblichkeit, die Aufweichung. Eine Bauerboindbräsendazion mit dem richtigen Daiming ohne Däddlein am Dadschbedd – wunderbar.
Helmut Haberkamm, Jahrgang 1961 und auf dem elterlichen Bauernhof in Dachsbach im Aischgrund aufgewachsen, ist promovierter Anglist, Gymnasiallehrer, Autor ostfränkischer Mundart und Song-Übersetzer aus dem Englischen ins Fränkische. Er hat zahlreiche Gedichtbände, Theaterstücke und Erzählungen verfasst. Seine "Kleine Sammlung fränkischer Dörfer" (ars vivendi) wurde 2019 zum schönsten Regionalbuch Deutschlands gewählt. Haberkamm lebt in Spardorf im mittelfränkischen Landkreis Erlangen-Höchstadt
Buchtipp: "Gräschkurs Fränkisch. Ein Streifzug durch unseren Dialekt in 12 Kapiteln", von Helmut Haberkamm, ars vivendi Verlag, Cadolzburg 2020, 296 Seiten, 18 Euro.