
Jahresberichte enthalten üblicherweise viel Zahlenwerk. So auch bei der Würzburger Fachberatungsstelle Wildwasser, Verein gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen. Doch hinter jeder Zahl steht eine Geschichte, ein Schicksal, sagt Geschäftsführerin Antje Sinn bei der Vorstellung des Berichts für das Jahr 2022.
Betroffene stellen oft keine Strafanzeige
Seit über 30 Jahren arbeitet das Team im Bereich Kinderschutz und Frauenberatung. Die Frauen sind Ansprechpartnerinnen bei sexuellem Missbrauch, psychischer und körperlicher Gewalt oder bei Vergewaltigung. Meist kämen die Täter aus dem sozialen Nahraum - wie bei der sogenannten häuslichen Gewalt. Diese habe sich in 2022 erhöht. Und oft stellten die Betroffenen keine Strafanzeige. Wenn es zu einem Strafprozess kommt, werden sie umfassend psychosozial begleitet.
Zum Angebot gehört auch eine angeleitete Selbsthilfegruppe für Frauen, die in ihrer Kindheit sexuellen Missbrauch erlebt haben, präventive Angebote in Kindergärten und Schulen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Dazu Fortbildungen und Öffentlichkeitsarbeit. Insgesamt viel Engagement für das Team aus haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Und die Anfragen werden immer mehr.

621 Erstanfragen gab es im vergangenen Jahr - meist von Betroffenen. 2021 waren es 515. Weitere Anfragen stellten Fachkräfte aus der Sozialarbeit (Kindergärten, Schulen, Förder- oder Heimeinrichtungen); sie kamen jedoch auch aus den Bereichen Polizei und Justiz. Bei den Beratungsgesprächen verzeichnet Wildwasser ebenfalls einen Anstieg: von 430 in 2021 auf 578 in 2022. Insgesamt nahm das Team über 3000 Termine wahr.
Geschäftsführerin Sinn und Sozialarbeiterin Jona Sicheneder verweisen rückblickend auch auf die beiden Veranstaltungen im Matthias-Ehrenfried-Haus in Würzburg, jeweils ein Fachtag in 2021 und 2022. Möglich waren diese Fortbildungen durch Gelder aus dem Bundesinnovationsprogramm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen". Beide stießen auf großes Interesse. Ziel war, die Versorgung von Frauen und Mädchen nach schweren und komplexen Gewalterfahrungen zu verbessern.
Barrierearmer Zugang in die Beratungsstelle von Wildwasser
In den 18 Monaten des Förderzeittraums (April 2021 bis Dezember 2022) konnte das Wildwasser-Team das eigene Angebot ausweiten. In dieser Zeit haben sich nach Angaben von Geschäftsführerin Sinn 98 komplex-traumatisierte Frauen an den Verein gewandt. "Das ist immens", so Sinn, "gerade weil Therapieplätze rar sind und die Weitervermittlung schwierig ist". Laut Jona Sichenender konnte das Hilfenetzwerk gestärkt werden.
Weitere Gelder kamen durch das Bundesinvestitionsprogramm "Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen". Durch diese Mittel konnte der barrierearme Zugang zur Beratungsstelle in der Theresienstraße realisiert werden und eine barrierefreie Toilette. Nicht nur ein niederschwelliges Angebot sei wichtig, sondern auch der Abbau räumlicher Hemmschwellen, heißt es im Jahresbericht.
Auch in Zukunft braucht der Verein Gelder beziehungsweise öffentliche Zuschüsse. Sie kommen von Stadt und Landkreis Würzburg, vom bayerischen Familienministerium, aber auch von den Landkreisen Kitzingen, Main-Spessart und Main-Tauber. Darüber hinaus gab es Zuweisungen durch Gerichte (Bußgelder), Honorare für Fortbildungen - und auch viele kleine Spenden, "auf die wir weiterhin angewiesen sind", sagt Antje Sinn.
Weitere Informationen, auch den Bericht zum Projekt "Hilfe für Frauen mit komplexen Gewalterfahrungen" 2021/2022 gibt es im Internet: www.wildwasserwuerzburg.de