
Der Kniefall von Willy Brandt in Warschau oder die jubelnden Menschenmassen beim Mauerfall: Bislang waren Fotos oft Zeitzeugnisse, denen Beweiskraft zugesprochen wird. Mit künstlicher Intelligenz (KI) lassen sich Bilder jedoch leicht und täuschend echt fälschen. Das macht es schwer, dem "Bildmaterial in Zukunft Glauben zu schenken", warnt Prof. Marc Latoschik. Im Interview erklärt der Inhaber des Lehrstuhls für Mensch-Computer-Interaktion an der Universität Würzburg, wie man KI-generierte Bilder erkennt, womit sich echte Fotos schützen lassen und warum Fälschungen die Demokratie bedrohen.
Prof. Marc Latoschik: Ich persönlich vertraue deutlich eher redaktionell aufgearbeiteten Nachrichten von seriösen Quellen. Informationen aus unkontrollierten Quellen, wie etwa von selbst ausgerufenen Youtube-Stars, bringe ich wenig bis kein Vertrauen entgegen. Leider wird im Internet enorm viel gepostet, um unsere Meinung zu beeinflussen und vieles ist nicht real.
Latoschik: Bei heute mit KI erstellten Bildern, gerade wenn sie Personen zeigen, gibt es ein paar klassische Fehler. Noch. Oft betrifft das Körpergliedmaßen: Ellbogen stehen zum Beispiel in einem Winkel ab, bei dem das Gelenk brechen würde. Manchmal sind auch die Füße verdreht oder die Fingeranzahl ist falsch. Das liegt daran, dass die KI-Systeme beim Generieren von Bildern im Prinzip Ähnlichkeiten sammeln und diese miteinander kombinieren. So entstehen teils unrealistische Dinge.
Latoschik: Man muss im Bild danach suchen. Auf den ersten Blick werden solche Fehler durchrutschen. Und natürlich wird daran gearbeitet, die Fehler zu minimieren. Das wird es uns sehr schwer machen, Bildmaterial in Zukunft Glauben zu schenken. Gefaktes Bildmaterial war schon vor der KI-Zeit im Internet zu finden, nur in einem viel geringeren Maße. Fälschungen von Hand anzufertigen ist ein eher sehr aufwendiger Prozess. Mit einer KI lassen sich gefakte Bilder von jedem, überall und in großer Stückzahl produzieren – das ist das Dilemma.
Latoschik: Das ist eine gute Frage. In manchen Magazinen, Modezeitschriften zum Beispiel, werden die abgebildeten Personen mithilfe von Filtern als nahezu perfekt dargestellt. Ist das dann noch ein echtes Foto oder ein Scheinbild? Es mag vielleicht ein Supermodel als Vorlage gegeben haben – aber gedruckt wird kein akkurates Abbild der Realität, sondern eine massiv überarbeitete Version. Aus meiner Sicht ist das schon Fake.

Latoschik: Wenn man ein Foto bei schlechter Lichtqualität aufgenommen hat und versucht, den Kontrast nachträglich zu verbessern, würde ich das nicht als Fake betrachten. Es ist ein Versuch, die Bildfehler zu reduzieren und nicht die Bildinhalte zu manipulieren. Das ist ein großer Unterschied. Es ist in Ordnung, den technischen Prozess des Abbildens zu optimieren – aber nicht, durch Filter eine alternative Realität zu schaffen.
Latoschik: Für alte Aufnahmen gilt das nicht so sehr, für neue Fotos leider schon. Die Beweiskraft von Bildern und Videos hat massiv abgenommen. Es ist deshalb wichtig, dass wir einen Prozess finden, um die Authentizität dieser Medien sicherzustellen. Gerade Medienschaffende, Journalisten, müssen darauf achten, jede Verwendung von KI zu kennzeichnen.
Latoschik: Grundsätzlich lassen sich historische Bilder täuschend echt fälschen. Aber alte Fotografien, die seit Jahrzehnten publiziert worden sind, haben einen gewissen Verbreitungsgrad. Das heißt, wenn man zum Beispiel eine Aufnahme von Adolf Hitler bei seiner Rede vor dem Reichstag 1933 fälschen würde, existiert das Original überall in so vielen Varianten, dass man den Vergleich ziehen kann. Um der Fälschung zum Durchbruch zu verhelfen, müsste man alle Erscheinungen des echten Bildes rückgängig machen und das ist kaum möglich. Die weite Verbreitung des Originals ist ein Schutz gegen Fälschungen bei historischen Bildern. Aber: In Zukunft werden wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie wir digitale Originale auch als solche kennzeichnen.
Latoschik: Im Prinzip schon. Sie können in jedem Fall nicht mehr aufgrund des Bildes und des Bildinhaltes feststellen, ob eine Aufnahme echt ist. Wir brauchen also Schutzmechanismen, um die Verifikationsmöglichkeit für Bilder wiederherzustellen.
Latoschik: Dem würde ich entschieden widersprechen. Wir müssen jetzt agieren und das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn unser Handeln als Gesellschaft beruht auf den Informationen, die wir haben. Und es muss für uns höchste Priorität haben, die Verlässlichkeit und Freiheit dieser Informationen zu sichern. Andernfalls sind wir als Gesellschaft handlungsunfähig und der demokratische Prozess ist massiv gefährdet. Im US-Wahlkampf sieht man das aktuell deutlich: Dort findet eine Art Propagandakrieg statt, es wird gelogen, ohne dass es Konsequenzen hat und Fake News bleiben unwidersprochen stehen. Die Integrität der Informationen ist eines der höchsten Güter, die wir haben. Und es ist eine Notwendigkeit für eine Demokratie, dieses mit allen Mitteln zu schützen.