Der Krieg in der Ukraine erreicht auch sie: Junge Menschen aus dem Land, die derzeit in Unterfranken studieren. Ebenso Studierende aus Russland, die nicht mehr zurück können oder wollen. Viele von ihnen kämpfen jetzt ums finanzielle Überleben – dazu kommen Sorgen um ihre Familien in der Heimat. 73 Studierende aus der Ukraine und 78 aus Russland sind derzeit an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität eingeschrieben. Bei Bedarf hilft ihnen der Verein zur Unterstützung internationaler Studierender, die unverschuldet in Not geraten sind.
Die bayerische Staatsregierung hat kurzfristig einen Notfonds "Ukraine-Krise" für Studium und Forschung eingerichtet. Betroffene können sich direkt an ihre Hochschulen wenden, diese rufen dann Mittel über das Wissenschaftsministerium ab. Allerdings sind Abwicklung und Summen noch nicht klar. Bei einem Treffen der bayerischen Hochschulen an diesem Montag soll es mehr Informationen geben.
In welche Schwierigkeiten die Studierenden jetzt geraten
An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) erfährt Nataliya Kudelya direkt von den Nöten der aktuell 70 Studierenden aus der Ukraine und 94 aus Russland. Die Regionalmanagerin ist im International Office der FH zuständig für Osteuropa. Sie stammt selbst aus der Ukraine und bangt um ihre Familie in Dnipro. Die Millionenstadt wurde am Freitag erstmals mit russischen Raketen angegriffen.
Ihrer Familie kann sie im Moment kaum helfen – wohl aber Studierenden, die in Würzburg und Schweinfurt gestrandet sind. Da sind die Austauschleute, die über das Erasmus-Programm eigentlich nur das Wintersemester in Unterfranken absolvieren wollten und nun wegen des Krieges nicht zurück in ihre Heimat können. Ihnen hilft die FHWS unbürokratisch: Sie können ein zweites Semester anhängen. Gleichzeitig bemüht sich die Hochschule um eine finanzielle Unterstützung, wo nötig.
Und dann sind da Studierende in der Ukraine, die früher bereits an der FHWS waren: Etliche fragen laut Kudelya jetzt an, ob sie zurückkommen und ihr Studium in Würzburg bzw. Schweinfurt fortsetzen können. Dies sei grundsätzlich möglich, sie können sich für das nächste Wintersemester bewerben – müssen allerdings hinreichende Deutsch-Kenntnisse nachweisen, und auch die Finanzierung muss gesichert sein. Hier bedarf es offenbar noch einiger Klärung: Werden sie trotz Studium behandelt wie andere Bürgerkriegsflüchtlinge und haben Anspruch auf Sozialleistungen? "Noch ist uns keine Lösung bekannt", sagt Kudelya.
Falschinformationen über russische Kanäle unterwegs
Auch Studierende aus Russland trifft der Krieg schwer. Viele seien verunsichert, erklärt Daniel Wimmer, Leiter des International Office an der FHWS. Teilweise erhielten sie Falschinformationen über russische Medien oder Soziale Netzwerke, wonach jetzt alle russischen Studierenden an deutschen Hochschulen exmatrikuliert würden. "Das entspricht natürlich nicht der Wahrheit und wir beraten und informieren unsere Studierenden entsprechend."
Verstärkt fragen Studierende aus Russland nach einer Aufenthaltsverlängerung nach. Kudelya berichtet vom Fall eines jungen Russen mit besonderer Prüfungsangst: Sollte er die Wiederholungsprüfung nicht bestehen, müsste er die Hochschule verlassen. Und dann zurück nach Russland, zwangsweise zum Militär und in die Ukraine geschickt werden? "Die meisten wollen hier studieren und hier bleiben. Sie sehen keine Zukunft in Russland", ist die Ukrainerin überzeugt, "das war schon vor dem Krieg so."
Durch die Sanktionen wird es für die jungen Leute in Deutschland noch schwieriger, sie sind von der finanziellen Unterstützung aus der Heimat abgeschnitten. Und doch zögern offenbar noch viele, sich hilfesuchend an die Hochschule zu wenden. Ein Grund könnte die Scham über einen Krieg sein, den "ihr" Land gerade in der Ukraine führt. Zum anderen haben wir "sehr anständige und bodenständige Studenten", sagt Kudelya. "Sie versuchen es irgendwie selbst zu schaffen" und sich mit Jobs durchzuschlagen.
Anastasiia, 27 Jahre, Studentin der Logistik im 8. Semester an der FHWS
So wie die 27-jährige Anastasiia, die ihren Nachnamen lieber nicht in der Zeitung lesen will – eben weil sie ansonsten kein Blatt vor den Mund nimmt. Die Juristin aus der Nähe von Moskau hat 2018 ein Zweitstudium der Logistik an der FHWS aufgenommen, steht im achten Semester kurz vor dem Abschluss. "Der Krieg", sagt sie" hat mein Leben verändert." Alle Pläne sind gerade hinfällig, zu groß ist die Ungewissheit.
Wann sie ihre Familie wiedersieht? "Ich weiß es nicht." Aktuell könne sie nicht nach Russland zurück. Zum einen fehlt es am Geld, weil keinerlei Überweisungen durch ihre Familie mehr möglich sind. Das Konto ist gesperrt – und der Rubel nichts mehr wert. Zum anderen fühlt sie sich in ihrer Heimat nicht sicher: "Die Regierung will alle Leute zum Schweigen bringen, die die Wahrheit sagen." Auch Anastasiia hat Angst vor Repressionen. Angst, "dass sie uns einsperren." Viele Russen seien gegen den Krieg, aber die Leute trauten sich das nicht laut zu sagen.
Dieses Sommersemester absolviert die Russin als Betriebspraktikum bei einer großen Firma in Nürnberg. Hier verdient sie wenigstens ein paar Euro, Freunde unterstützen sie. Damit kann sie im Moment überleben. Ob sie wieder nach Schweinfurt zurückkehrt? Das hängt vom Job ab, den sie danach suchen muss. Jobben und gleichzeitig Bachelorarbeit schreiben – sie hofft, dass es klappt.
Und dann würde sie mit der richtigen Stelle auch in Deutschland bleiben, in jedem Fall aber "in einem demokratischen Land, in dem ich mich sicher fühle". Russland ist das für sie nicht. Anastasiia appelliert an alle jungen Leute, auch in Deutschland, "den Mut nicht zu verlieren". Der Hass müsse aufhören. Unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Religion gelte es, dem Krieg entgegenzutreten und solidarisch zu sein mit der Ukraine. Die Ukraine, das Land ihrer besten Freundin.
Valeriia Mirza, 31 Jahre, Studentin der Logistik im 8. Semester an der FHWS
Die beiden kennen sich seit vier Jahren, als sie gleichzeitig in Schweinfurt ihr Logistik-Studium an der FHWS aufgenommen haben. Hier Anastasiia aus Russland, dort Valeriia Mirza aus der Ukraine. Die 31-Jährige hatte schon einiges an Berufserfahrung gesammelt, ehe sie zum Studium nach Unterfranken kam. Nach einem Erststudium war sie als Projektmanagerin für Werbung und Marketing tätig, dann mehrere Jahre in der Logistik. Ihr großer Traum: Im riesigen Rotterdamer Hafen zu arbeiten. Aber was zählen schon Träume in diesen Tagen.
Mirza lebt in Poppenhausen (Lkr. Schweinfurt), jobbt nebenbei in einem Büro und in einer Gaststätte, sonst würde das Geld nicht reichen. Das war in den letzten Jahren schon so. Jetzt wird es noch härter, ihr Vater kann keine Unterstützung mehr schicken. Er lebt mit seiner zweiten Familie im bombardierten Charkiw, konnte sich zwischenzeitlich an einen anderen Ort in Sicherheit bringen.
Ihre Mutter harrt zusammen mit ihrem Bruder (12) in Dnipro aus, die meiste Zeit im Keller. Ihr Bruder ist Autist, eine Flucht für ihn noch problematischer. "Sie werden das Haus erst im letzten Moment verlassen." Tagelang habe sie nachts kaum ein Auge zugedrückt, berichtet Mirza. Groß sei die Angst um ihre Familie. Sie nach Deutschland holen? "Ich kann ihnen keine Unterkunft versprechen, dann die Sprachschwierigkeiten..." Natürlich wolle sie helfen mit allem, was ihr möglich ist.
So konnte sie die freie Wohnung eines Bekannten im Landkreis Schweinfurt bereits an eine Mutter mit kleiner Tochter aus Odessa vermitteln. Die Studentin kümmert sich um die Geflüchteten, hilft als Übersetzerin bei Formalitäten auf den Ämtern. Ihre eigene Zukunft steht in den Sternen. Der sehnlichste Wunsch: "Dass die Diplomaten eine Lösung finden und der Krieg bald aufhört. Ich will nicht, dass meine Mutter und mein Bruder im Keller sitzen."
Der Verbindung der beiden Studentinnen aus der Ukraine und Russland hat der Krieg übrigens keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, wie Anastasiia sagt: "Wir stehen täglich in Kontakt, unterstützen uns gegenseitig. Unsere Freundschaft ist sogar noch stärker geworden."