Obwohl sich zahlreiche Menschen im engen Empfangsraum drängen, herrscht eine fast schon gespenstische Stille. Gebannt beobachten die Besucher eine blonde Frau mittleren Alters, die wild mit ihren Händen gestikuliert und dabei dramatisch das Gesicht verzieht. Irgendwann weichen ihre Gesichtszüge auf, ihre Augen funkeln und sie verzieht das Gesicht zu einem breiten Lächeln, als sei nun die Pointe erreicht. Kurz bleibt es still, dann erhebt eine andere Frau ihre Stimme und sagt: "Es geht heute darum, zu erleben, wie diese Welt für uns Gehörlose ist und dass das schon trotzdem alles gut gehen kann."
Ihr Name ist Angela Hornung, sie ist staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin und heute dafür da, die Worte von Viola Kunkel, Veranstalterin des Events, für die hörenden Gäste zu übersetzen. Viola Kunkel ist die Leiterin des Würzburger DGS-Cafés, der ersten Gebärdensprachschule Unterfrankens und gehörlos. DGS ist die Abkürzung für die Deutsche Gebärdensprache. "Wir wollen Hörende in unsere Welt mit einzubeziehen und auf die Situation der Gehörlosen aufmerksam zu machen", sagt sie.
Etwa 30 Besucher sind heute gekommen, die meisten sind Hörende. Einige haben gehörlose Familienmitglieder, andere haben beruflich mit Gehörlosen zu tun. Von Viola Kunkel lassen sie sich heute deren Welt erklären.
Es geht darum, Möglichkeiten des Miteinanders aufzuzeigen
Zwei Begriffe verwendet Kunkel dabei besonders häufig: "Audismus" und "Deafhood". Als Audismus wird eine bevormundende und somit diskriminierende Geisteshaltung von Hörenden gegenüber Tauben bezeichnet. Hören und Sprechen würden überbewertet und Gehörlosenkultur somit abgewertet. Als "Deafhood" wird wiederum die Gegenbewegung bezeichnet, die Gehörlosen dabei helfen soll, ihre Verfasstheit als etwas Positives zu begreifen.
Es geht am heutigen Tag also nicht darum, Lösungen für vermeintliche Probleme zu finden, sondern Möglichkeiten des Miteinanders aufzuzeigen. So berichtet Viola Kunkel den Besuchern beispielhaft von ihr bekannten Familien, in denen etwa hörende Eltern gleich zwei taube Kinder bekommen hatten. Nach anfänglichen Sorgen und dem Wunsch nach medizinischen Eingriffen haben die Eltern sich stattdessen dazu entschieden, Gebärdensprache zu lernen und würden seitdem sehr positiv vom gemeinsamen Miteinander berichten.
Familiäre Einbindung tauber Kinder oft schwierig
Trotz solcher Beispiele sieht Viola Kunkel viele Schwierigkeiten, die taube Menschen im alltäglichen Leben bewältigen müssten. Die familiäre Einbindung tauber Kinder sei oft schwierig, weil die Eltern nicht gut auf die Situation vorbereitet seien. Auch Schulen seien oft nicht sensibilisiert für die Situation tauber Menschen. Lob gebe es etwa für gutes Sprechen, dies sollte jedoch nicht das vorrangige Ziel für taube Kinder sein, die schließlich ihre eigene Sprache hätten.
Eine, die weiß, wie kompliziert so ein Leben sein kann, ist Friederike Baudach. Sie ist Mitglied des Vereinsvorstandes und wurde mit dem sogenannten Usher-Syndrom geboren, der häufigsten Ursache für erbliche Taubblindheit. Von Geburt an war sie gehörlos, im Laufe der Jahre kam erst eine Farbblindheit und dann eine starke Einschränkung ihres Sichtfeldes dazu. "Wenn ich auf öffentliche Veranstaltungen gehe, brauche ich einen Taubblindenassistenten, aber das Sozialamt übernimmt hierfür nicht immer die Kosten", sagt Friederike Baudach. Ihre Lebensqualität sei eingeschränkt, trotzdem sehe sie ihr Taubsein nicht als Makel. Tage wie heute seien wichtig, um die Öffentlichkeit auf die Situation gehörloser Menschen aufmerksam zu machen.