
Würzburg hat am 16. März 1945 das erlebt, was in diesen Tagen viele Millionen Menschen in der Ukraine erleben – Flucht und Vertreibung aus der Heimatstadt als Folge des Kriegs. Beim Gedächtnislauf, mit dem etwa 350 Läuferinnen und Läufer am Samstag an die Verstorbenen des zerstörten Würzburg vor 77 Jahren erinnert haben, waren die Gedanken auch bei den Menschen, die zurzeit in der Ukraine in Bunkern sitzen oder vor dem russischen Angriffskrieg aus dem Land fliehen müssen.
An Stelle einer Startnummer das Gesicht von Marina Ovsyannikova
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer trafen sich bei sonnigem und kühlem Frühlingswetter um kurz vor 11 Uhr im Rathaus-Innenhof, wo seit vielen Jahren der Start zum Gedächtnislauf erfolgt. Mit dabei war Birgit Schech aus Karlstadt, die wie ihre Begleiter an Stelle einer Startnummer das Gesicht von Marina Ovsyannikova, die in der vergangenen Woche in einer Nachrichtensendung des russischen Staatsfernsehens gegen den Krieg in der Ukraine protestiert hatte, auf der Brust trug. Der TV-Journalistin drohen deshalb bis zu 15 Jahre Haft: "Der Mut dieser Frau fasziniert mich. Sie hat es verdient, dass wir für sie laufen", sagt Birgit Schech.

Ganz in den ukrainischen Farben blau-gelb gingen ein gutes Dutzend Läuferinnen und Läufer des ETSV Lauda an den Start. Einer von ihnen war Wendelin Bopp aus Werbach: "Ich bin der Meinung, dass das ukrainische Volk auch unsere Interessen gegen jede Art von Diktatur verteidigt. Deswegen will ich ein Zeichen setzen."
Eine Schweigeminute vor dem Start für die Opfer des Kriegs
Historischer Hintergrund des Gedächtnislaufs mit seinen Zielorten Margetshöchheim (10 Kilometer), Himmelstadt (21 Kilometer), Karlstadt (28 Kilometer) und Gemünden(44 Kilometer) ist seit 1995 die Flucht der Würzburger Bevölkerung in die umliegenden Gemeinden nach dem britischen Bombenangriff, bei dem rund 3600 Menschen ums Leben kamen und die Innenstadt innerhalb von nur 20 Minuten nahezu vollständig zerstört wurde.
Der Mediziner Dieter Feitsch, der zum Aufwärmen vor dem Start aus Margetshöchheim nach Würzburg gelaufen war, ist schon seit vielen Jahren am Start: "Es ist mir ein wichtiges Anliegen, immer wieder an diese fürchterliche Zeit zurückzudenken", betont der Mediziner: "Ich finde es eine sehr positive Entwicklung, dass der Gedächtnislauf inzwischen ohne Zeitnahme stattfindet. Dadurch steht mehr im Mittelpunkt, worum es hier eigentlich geht."
Das ist auch Günter Herrmann vom Würzburger Stadtmarathon-Verein sehr wichtig, der den Gedächtnislauf zusammen mit Kolping Mainfranken und der Johanniter Unfallhilfe seit einigen Jahren organisiert. Auch er erinnerte an den Krieg in der Ukraine und bat die Läuferinnen und Läufer vor dem Start um eine Schweigeminute für die Opfer des Kriegs damals und heute. "Zwei Flugstunden von uns entfernt spielen sich Tragödien ab. Soldaten schießen aufeinander, Zivilisten sterben, und am Ende wird keiner gewinnen", sagte Herrmann.
Die Erinnerung an den 16. März 1945 sei aufgrund des Kriegs in der Ukraine aktueller denn je, betonte auch Würzburgs 2. Bürgermeisterin Judith Jörg kurz vor dem Start: "Dieser Lauf ist eine ganz besondere Form des Gedenkens. Ich bedanke mich dafür bei allen Teilnehmern und bei den Organisatoren."