Dabei begann alles so schön. Sie kam als Christkindl am Weihnachtsabend des Jahres 1837 in der Stadtresidenz der Familie, in der Ludwigstrasse in München, zur Welt. Ihr schien alles in die Wiege gelegt zu sein, denn bei der Geburt war in ihrem Mund bereits ein Zahn, was die Menschen damals als Glückssymbol deuteten.
Die Eltern waren Ludovika, eine Halbschwester des Bayernkönigs Ludwig I., und ihr Vetter, der Wittelsbacher Maximilian, Herzog von Bayern. Heiraten unter Blutsverwandten waren im katholischen Europa die Regel. Und der Papst gab ohne Zögern seine Zustimmung, wenn es darum ging, ihm wohlgesonnene Dynastien zu unterstützen. Derlei Ehen mögen ein Grund für die vielen Geisteskranken an den Kaiser- und Königshöfen in ganz Europa gewesen sein. "Das sind doch allesamt Irrenhäuser", urteilten kritische Zeitgenossen.
Die Kinderzeit im 30 Kilometer von München entfernten Possenhofen am Starnberger See war die schönste in Sisis Leben. Sie eiferte in allem ihrem Vater nach, im Reiten, Wandern und Klettern und der Liebe zur Natur. Er war übrigens ein merkwürdiger Geselle, dieser Herzog Max, der seiner Familie immer wieder entfloh, uneheliche Kinder zeugte und durch die Welt reiste. Mit der Zither über der Schulter kletterte er eines Tages gar auf die Cheopspyramide bei Kairo und sang dort oben original bayerische Gstanzerl. Die arabischen Fremdenführer schüttelten die Köpfe, und was sie dachten, ist leicht zu erraten: Der ist entweder verrückt oder hat zuviel getrunken. Von beidem stimmt sicherlich etwas.
Die acht Kinder von Ludovika und Max sahen ihren Vater selten. Aber wenn er vorbei schaute, waren es Festtage. Er wünschte sich eine auf den Wiesen fröhlich herumhüpfende Schar, die es im Sprung mit den Gämsen aufnehmen sollte.
Einmal verirrte sich Sisi mit ihrem Vater in ein Dorf, wo sie niemand kannte. Dort spielte Max in einer Schänke zum Tanz auf, und die Bürger schenkten dem Mädchen mit den schönen langen Zöpfen einige Münzen, weil es auf dem Tisch tanzte. Dieses Geld zeigte sie manchmal den Wiener Hofdamen mit den Worten: "Das ist das Einzige, das ich in meinem Leben wirklich verdient habe."
Sisis unbekümmerte Jugend änderte sich schlagartig, als sie an einem Sommertag des Jahres 1853 mit ihrer Mutter und der älteren Schwester Helene nach Ischl fuhr. Die beiden Schwestern Ludovika und die Erzherzogin Sophie, Mutter von Kaiser Franz Joseph, hatten Heiratspläne für den liebesfreudigen Sohn, der schon das eine oder andere nicht standesgemäße Abenteuer hinter sich gebracht hatte. Grund genug, ihn endlich in die festen Hände seiner Cousine Helene zu bringen.
Es kam alles ganz anders. Franz Joseph verliebte sich in die gerade 15-jährige Sisi, was für reichlich Verwirrung am Wiener Hof sorgte. Sisi soll gesagt haben: "Ich hab ihn ja so lieb, wenn er nur kein Kaiser wäre." Ob nach den Gefühlen dieses Kindes je gefragt wurde, ist unbekannt. Nur von Mutter Ludovika ist überliefert: "Dem Kaiser von Österreich gibt man keinen Korb."
Jahre später kommt Sisi in ihrem Tagebuch auf die Situation von Ischl zurück: "Die Ehe ist eine widersinnige Einrichtung. Als fünfzehnjähriges Kind wird man verkauft und tut einen Schwur, den man nicht versteht und dann 30 Jahre oder länger bereut und nicht mehr lösen kann."
Nach der Verlobung mit Kaiser Franz Joseph wird sich Sisi bewusst, dass sie nicht nur von den Eltern, der Familie und ihrem Land, sondern auch von ihrer Kindheit Abschied nehmen muss. Papst Pius IX. hat ihrer Ehe zugestimmt, obwohl sie Vetter und Kusine waren. Doch niemand wagte es, auf die bereits bekannten Gefahren der Inzucht hinzuweisen, weder die Kirche noch die Ärzte.
An sich selbst bemerkt sie in späteren Jahren Anzeichen der Gemütskrankheit, von der auch ihr Sohn Rudolf nicht verschont blieb. Die Katastrophe im Jagdschloss von Mayerling bei Baden am 31. Januar 1889, bei der der 31-jährige erst seine Geliebte Mary und dann sich selbst erschoss, hatte allerdings weniger mit geistiger Umnachtung zu tun. Rudolf war unheilbar krank, und zudem verzweifelte er an der monarchischen Welt, in der er nicht mehr leben wollte.
Sisi und Franz Joseph - es war ein selten schönes Paar, das sich am 8. Mai 1854 in der mit rotem Samt drapierten Augustinerkirche zusammenfand. Der Erzbischof von Wien, Kardinal Rauscher, nahm die Trauung unter Assistenz von mehr als 70 Bischöfen vor. Als nach dem Ringwechsel Kanonendonner ausbrach, war aus dem Wildfang von Bayern die Kaiserin Österreichs geworden. Aber schon 14 Tage danach schreibt sie in ihr Tagebuch: "Ich bin erwacht in einem Kerker, und Fesseln sind an meiner Hand. Und meine Sehnsucht immer stärker - und Freiheit! Du, mir abgewandt."
Kein Zweifel - sie fühlte sich gefangen, ungeliebt von ihrer Tante und jetzigen Schwiegermutter Sophie, der es nur um die Wahrung der kaiserlichen Würde ging, von der Sisi keine Ahnung hatte und haben wollte. Auch mit der Trennung vom Volk kam sie nicht zurecht. Die Diskrepanz zwischen einem turbulenten, aber liebevollen Treiben in Possenhofen und dem Leben als kaiserliche Majestät war für sie unüberbrückbar. Mehr und mehr hasste sie den Hof, den sie in ihren letzten Jahren ganz und gar mied.
Als in ihr, dem 16-jährigen Kind, das erste Kind heranwuchs, nötigte ihre Schwiegermutter sie, der Öffentlichkeit ihren Bauch zu zeigen. Dabei wollte die Schwangere viel lieber allein sein, um zu weinen: Sie hatte Heimweh nach Possenhofen. Derweilen traf Sophie alle Vorbereitungen, um die Kindskammer von den kaiserlichen Gemächern abzutrennen. Die Erziehung sollte allein ihr, der Erzherzogin, obliegen. Vielleicht ein Grund mit, warum Sisi zu ihren vier Kindern, mit Ausnahme des Nesthäkchens Marie Valerie, nie eine innige Beziehung aufbauen konnte. Zwei Jahre nach der Geburt der ersten Tochter Sophie verschaffte sich der Tod Zutritt in die Ehe von Sisi und Franz Joseph. Auf einer Reise nach Ungarn starb die Erstgeborene. Die Mutter war untröstlich und ihr Seelenzustand gab neben der schlechten körperlichen Verfassung Grund zur Sorge.
Der endlosen Streitigkeiten zwischen den beiden Frauen, der Erzherzogin und seinem Sisi-Engel, müde geworden, holte sich nach nur sechs Ehejahren Franz Joseph anderswo Trost. In dieser Zeit waren Liebesaffären durchaus üblich. Die Ehefrauen wussten dies und nahmen es hin, denn sie sonnten sich in ihrer hohen gesellschaftlichen Stellung. Sisi aber hatte das Unglück ihrer elterlichen Ehe miterlebt, in der es jahrzehntelange Demütigungen der Mutter durch die vielen Liebschaften des Vaters gab. Ein so jammervolles Schicksal wollte sie nicht. Nach den ersten Affären ihres Mannes, der viele folgen sollten, war der Familienfrieden zwischen Sisi und Franz Joseph für immer gestört.
Sisis Gesundheitszustand wurde beständig schlechter. Die Art der Krankheit ist bis heute unklar. So gesund sie als Kind war, so sehr kränkelte sie vom ersten Tag ihrer Ehe an. Durch die hartnäckige Weigerung, Nahrung zu sich zu nehmen, litt sie an Blutarmut und später auch an Hungerödemen. Von dem sie 1897 und 1898 in Bad Kissingen behandelnden Hofrat Dr. Alfred Sotier ist überliefert, dass er ihr gesagt hat: "Majestät, ich behandle Sie nicht mehr, wenn Sie nicht täglich 100 Gramm Fleisch essen." Sisi hatte den aufstrebenden Kurort an der Saale schon zuvor einige Male aufgesucht, 1862, 1863, 1864 und 1865 jeweils für mehrere Wochen. Stets erholte sie sich prächtig.
Überschwänglich lobte sie damals die Kuranwendungen, das Heilwasser, das ausgezeichnete Hotel (das heutige Victoria), die gute Luft, die Schönheiten der Landschaft und die höfliche Zurückhaltung der Einwohner, die den prominenten Gast nur aus gebührender Entfernung bewunderten. Aber sie hatte noch einen anderen Grund, Bad Kissingen zu lieben: den Medizinalrat Dr. Sotier, dem sie bedingungslos vertraute und dessen Ratschläge sie folgte. Die Stadtoberen taten alles, um es dem hohen Gast so komfortabel wie möglich zu machen. Sisi war ein Tourismusmagnet, der gekrönte und adelige Häupter nach Bad Kissingen zog, wo, wie es hieß, Europa von der Badewanne aus regiert wurde.
Sisi versuchte, ihr Leben zu leben, als Individuum, in völliger Unabhängigkeit vom Wiener Hof. Die Liebe zu Franz Joseph, so sie je bestand, war längst erloschen. Nur aus diesem Grund ist es verständlich, dass sie seinen Liebschaften nicht nur zusah, sondern sie sogar förderte. Je mehr sie beispielsweise die Burgschauspielerin Katharina Schratt als ihre Freundin in der Wiener Öffentlichkeit zeigte, um so mehr konnte sie dem Tratsch und Klatsch die Spitze nehmen.
Nach neuesten historischen Untersuchungen ist übrigens nicht der geringste Beweis erbracht, dass Franz Joseph mit der Schratt ein sexuelles Verhältnis hatte. Auch wenn er während Sisis letzten beiden Kissinger Kuren immer mit seiner Freundin Katharina anreiste, wohnten alle drei in getrennten Hotels.
Was ist von Sisi geblieben? Die Erinnerung an eine unruhige Kaiserin, die monate- und manchmal sogar jahrelang dem Wiener Hof entfloh, keine gute Mutter, keine liebend-ergebene Ehefrau und schon gar nicht die erste Repräsentantin eines Riesenreiches. Sie war im Herzen eine Republikanerin und bezeichnete die Monarchie als "vergangner Pracht Skelett". Ihr grosses Verdienst: Die ihrem Mann abgetrotzte Aussöhnung mit Ungarn, das wieder seine Autonomie und sogar mit Gyula Andrássy einen österreich-ungarischen Außenminister erhielt.
Sie lebte ihre Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf ihre Familie oder den Wiener Hof rücksichtslos aus, war aber nie richtig glücklich, blieb eine tragische Figur. Ihre Verschwendungssucht kannte keine Grenzen. Sie reiste per Bahn oder Schiff um die halbe Welt. Sie kaufte oder baute Schlösser in Irland und Griechenland, ließ dort wie an der Hofburg in Wien Turnzimmer einrichten, wo sie bis zu drei Stunden täglich ihren Körper stählte. Und schließlich nahm sie gar ihre Lieblingskühe, Schafe und Pferde mit auf Reisen, weil es vor Ort nichts Standesgemäßes gab.
Nach dem Selbstmord ihres Sohnes Rudolf ging sie nur noch in Schwarz und verdeckte ihr Gesicht mit einem Fächer. So auch bei den letzten beiden Kuraufenthalten in Bad Kissingen, wo sie zu dieser Zeit häufig voller Sehnsucht vom Tod sprach. Am 10. September 1898 erdolchte sie in Genf der italienische Anarchist Luigi Lucheni mit einer Feile. Der wollte eigentlich einen anderen Vertreter des europäischen Hochadels umbringen - den Thronpräsidenten von Frankreich, doch als der nicht nach Genf kam, wurde die Kaiserin von Österreich sein Opfer.
Literatur:
Avril, Nicole: Sissi, Knaur, Mün-
chen, 1998;
Hamann, Brigitte: Elisabeth, Piper-
Verlag, München, 1998;
Thiele, Johannes: Sisi, Ueberreut-
her, Wien, 1998;
Wellmann, Jutta: Sisis kaiserliches
Schönheits- und Gesundheitsbuch,
Tau&Tau Type, Bad Sauerbrunn.