Jede vierte Frau in Deutschland wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. "Häusliche Gewalt ist Alltag in Deutschland", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vor Kurzem bei der Vorstellung neuer Zahlen der Kriminalstatistik. Auch in Unterfranken ist häusliche Gewalt noch immer trauriger Alltag: Seit Jahren stellt die Polizei nur leichte Schwankungen bei den Fallzahlen fest.
Laut Polizei durchschnittlich fünf Fälle pro Tag in Unterfranken
Die Zahl der Anzeigen häuslicher Gewalt ist in Unterfranken zuletzt nach Angaben des Polizeipräsidiums mit 1700 bis 2000 Fällen pro Jahr relativ konstant geblieben. Im vergangenen Jahr nahm die Polizei 1874 Anzeigen auf, berichtet Sprecher Enrico Ball: "Somit kommt es in Unterfranken an jedem Tag zu fünf Fällen der häuslichen Gewalt."
Eine strafrechtliche Definition gebe es dabei nicht, sagt Ball: "Grundsätzlich umfasst häusliche Gewalt alle Fälle von physischer und psychischer Gewalt innerhalb von ehelichen oder nichtehelichen Lebensgemeinschaften." Das Paar müsse dabei nicht zwingend zusammen wohnen. Entscheidend sei bei der Einordnung "eine Beziehung von entsprechender Intensität und Dauer".
Beleidigung, Bedrohung, Körperverletzung, Nötigung: Gewalt geht meist von Männern aus
Laut der unterfränkischen Polizeistatistik für 2022 sind die Tatverdächtigen in fast 81 Prozent der Fälle männlich. Über die Hälfte ist zwischen 26 und 45 Jahre alt, mehr als zwei Drittel besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Beleidigung und Bedrohung waren im vergangenen Jahr die am häufigsten festgestellten Straftatbestände, gefolgt von gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, Nötigung und Vergewaltigung. In zehn Fällen haben Personen versucht, ihre (Ex-)Partnerin oder ihren (Ex-)Partner zu töten.
Dass Gewalt in Partnerschaften mehrheitlich von Männern ausgehe, sei auf gesellschaftlich geprägte Geschlechterverhältnisse zurückzuführen, sagt Elisabeth Kirchner vom Verein Wildwasser Würzburg, der sich gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen einsetzt. "Männern wird Macht zugesprochen", sagt Kirchner, "bis heute wird von Jungen erwartet, dass sie stark sind und sagen, was sie wollen und das durchsetzen." Von Mädchen werde Anpassung erwartet: "Sie sollen sich nicht so wichtig nehmen, sollen schön sein und den Männern gefallen."
Beraterin von Wildwasser Würzburg e.V.: Klare gesellschaftliche Haltung gegen Gewalt nötig
Trotz vieler Erfolge, Frauenrechte und das Selbstbewusstsein von Mädchen zu stärken, werde Gewalt gegen Frauen "leider von manchen Menschen nach wie vor noch verharmlost oder gar für gut befunden", sagt Elisabeth Kirchner. Sie fordert eine klare gesellschaftliche Haltung gegen Gewaltausübung: "Wir brauchen einen wertschätzenden Umgang miteinander, der von Respekt und Begegnung auf Augenhöhe geprägt ist." Das beginne bereits in der Erziehung, sagt die Psychologische Psychotherapeutin: "Mädchen und Jungen sollten in ihrer Entwicklung erleben, dass auch Männer, die mal schwach sind oder weinen, Vorbilder sein können."
Auch die Arbeit mit Tätern und Täterinnen sei wichtig: "Wer es nicht schafft, seine Wut und Aggression zu kontrollieren, braucht Hilfe – und sollte sie bekommen."
Angst, Scham, Schuldgefühle: Wo Betroffene Hilfe erhalten
"Wenn es bereits zur Gewaltausübung gekommen ist, ermutigen wir Frauen, sich Hilfe zu holen", sagt Elisabeth Kirchner. Häufig würden sich Betroffene schuldig fühlen, hätten Angst oder würden sich "schämen für das, was ihnen angetan wurde". Das Thema sei unangenehm und vielfach ein Tabu - "gleichzeitig findet es jeden Tag in vielen Wohnungen statt".
Betroffenen rät Kirchner, "ihre Scham und Angst zu überwinden" und bei Wildwasser Würzburg, dem Hilfetelefon oder im Frauenhaus anzurufen. Infos und Kontakt: www.wildwasserwuerzburg.de, Tel. (0931) 13287.
Für betroffene Männer in Unterfranken hat das Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit Nürnberg (ISKA) eine Beratungsstelle in Würzburg eingerichtet. Infos unter www.iska-nuernberg.de/bhgm/ und Tel. (0911) 27 29 98 20.
Eine Anlaufstelle für gewalttätig gewordene Personen ist die Fachstelle Unterfranken "Täter*innenarbeit häusliche Gewalt" der Arbeiterwohlfahrt AWO. Infos und Kontakt: Tel. (0931) 359 20 865, E-Mail: beratungsstelle@awo-unterfranken.de