Ende Februar: Nach 15 Tagen auf offener See ist endlich wieder Land in Sicht. Doch die Ankunft der Segelcrew auf der karibischen Insel Martinique wird nach dem ersten Jubel von heftigen Regengüssen getrübt. Eigentlich, so berichtet Aussteiger Jens Brambusch, wäre sein Wunsch gewesen, Weihnachten auf dem Atlantik zu verbringen und im Januar die Karibik zu erreichen. Doch daraus wurde nichts, denn vor der Überfahrt mussten im Süden Spaniens noch kleinere Mängel an seiner Moody behoben werden, erzählt er bei einem Telefongespräch mit der Redaktion. Unter anderem hatte sich eine Plastikplane in ein Wellenlager verstrickt.
Der 50-jährige Segler, der viele Jahre in Würzburg gelebt und als Redakteur bei der Main-Post gearbeitet hatte, hatte vor fünf Jahren nach einem Burn-Out seinen damaligen Job als Wirtschaftsjournalist in Berlin gekündigt, seine Wohnung verkauft und war auf ein Segelboot ans Mittelmeer übergesiedelt, genauer nach Kas in der Türkei. Mit der Zeit wuchs auch die Lust darauf, einen größeren, ja viel größeren Segeltörn, zu realisieren. Der Plan nahm Gestalt an, gemeinsam mit seiner deutsch-türkischen Partnerin Arzum Soylu eine Überquerung des Atlantiks zu wagen.
Die Kapverden – das letzte Ziel vor der Überfahrt über den Atlantik
Gesagt, getan. Die 12,70 lange und 4,07 Meter breite Moody namens Dilly-Dally (zu Deutsch: Herumtrödeln) ist nun schon seit Juni vergangenen Jahres unterwegs, über den ersten Teil der Reise hatte die Redaktion im Oktober berichtet. Von Kas aus ging es über Griechenland, Süditalien nach Sardinien und Korsika, weiter auf die Balearen, von dort aus auf die Kanaren bis zum letzten Ziel vor der Überfahrt über den Atlantik: die Kapverden, eine vulkanische Inselgruppe vor der Nordwestküste Afrikas.
Von dort aus, so Brambusch, sei die kürzeste und aus seiner Sicht sichere Überfahrt über das offene Meer in die einst von Kolumbus entdeckte "Neue Welt" möglich – mit etwa 2000 Seemeilen bis zur Insel Barbados. Die sollte eigentlich auch das erste Ziel in der Karibik sein, "kurzfristig haben wir uns dann aufgrund guter Wind-Bedingungen für ein Ankommen auf Martinique entschieden".
"Wir" – das waren neben seiner Partnerin Arzum auch Brambuschs Kumpel Kai-Uwe Eilts, ein Bootsbauer aus Norderney und der erst 19-jährige Carl, ein Tramper aus Berlin, "den wir auf Gran Canaria kennengelernt hatten". Über Letzteren sagt er, man habe sich erst mal beschnuppert und "dann entschieden ihn mitzunehmen". Wie Brambusch erzählt, warteten auf den Kanaren viele Tramper vor allem in den Wintermonaten im Hafen von Las Palmas auf einen Lift – per Anhalter über den Atlantik. "Wir haben Glück gehabt mit unserem Carl, das hat einfach wie die Faust aufs Auge gepasst."
Von den Kapverden nach Martinique in 15 Tagen
Außerdem mit dabei: Hund Cingene, ein ehemaliger Streuner aus der Türkei. Kater Oglus, über den die Redaktion im ersten Bericht über die Segler auch geschrieben hatte, lebt leider nicht mehr. Er kam in Almerimar (Spanien) im Hafen von seinem Morgenspaziergang an Land nicht mehr zurück, wie Brambusch berichtet. Am Nachmittag habe seine Partnerin den Kater tot im Wasser gefunden. "Wir haben ihn dann in Strandnähe begraben", sagt er traurig.
Bevor die Atlantikpassage losging, so Brambusch, seien alle ein wenig aufgeregt gewesen, "schließlich wussten wir ja nicht genau, was auf uns zukommt und wie lange wir auf offener See sein werden". Je nach Wind und Wetter brauche man im Normalfall zwischen zwölf und 20 Tagen für die Überfahrt. In 15 Tagen bei guten Windverhältnissen schaffte es die Crew: "Das Wetter zum Segeln war perfekt, bei 25 bis 30 Knoten mit konstantem Passatwind aus nordöstlicher Richtung begannen wir den Trip". Tiefschwarze Wolken, fliegende Gischt und brechende Wellen seien Alltag gewesen, wirklich kritische oder gefährliche Momente habe es aber nicht gegeben."
Einzig der Watermaker (Anmerk.d.Red.: der aus Salzwasser Trinkwasser macht) hätte zum Problem werden können, dieser habe gegen Ende der Reise etwas gezickt. "Wenn das schief gelaufen wäre, hätten wir kein frisches Trinkwasser mehr gehabt und kein Wasser zum Kochen", so Brambusch. Mentale Stärkung sei gewesen, "dass ich einen erfahrenen Bootsbauer mit an Bord hatte".
Schlafen bei hohem Wellengang
Was das Schlafen angeht, sei dies in den zwei Wochen der Überfahrt richtig schwierig gewesen. "Durch die teils hohen Wellen gerade auch in der Nacht war das Segelboot einem ständigen Schwanken ausgesetzt", erzählt Soylu. Um zu schlafen, habe sie eine Position finden müssen, in der sie sich mit Händen und Füßen an der Wand abstützt, um nicht aus dem Bett geschleudert zu werden.
Da Soylu sich bei den Nachtschichten an Deck nicht wohlfühlte, wurden diese unter den drei Männern aufgeteilt. Dafür habe sie sich überwiegend um die Verpflegung gekümmert. "Auch das Kochen wird bei hohem Wellengang bis zu fünf Metern allerdings zur Herausforderung", so die 50-Jährige. Das Essen selbst habe sie in Plastikschalen gereicht, "weil es unmöglich war, von Tellern zu essen". Was den Proviant angeht, hatte die Crew für drei Wochen geplant. Brot wurde selbst gebacken, in der ersten Woche gab es noch viel frisches Gemüse, "in der zweiten Woche gingen wir mehr zu Dosen-Food über. Obst hatten wir ausreichend eingekauft".
Was, wenn die Langeweile aufkommt?
Wasser, Wolken, Wellen: Was macht man eigentlich 24 Stunden lang auf engstem Raum auf einem Segelboot, ohne dass es anlegt, zumal auch komplett ohne Handy-Empfang? Erstaunlicherweise, so Brambusch, habe jedes Crewmitglied seine eigene Beschäftigung gefunden. So las Kai-Uwe 13 Bücher, Arzum las und kochte gerne und der sportliche Carl, auch begeisterter Breakdancer, sportelte an Deck und schlief ausgiebig.
Er selbst habe immer wieder an seinem Blog geschrieben, Videos zusammengeschnitten oder auch mal Mahi Mahis geangelt, das sind Gemeine Goldmakrelen, die es im Atlantik und Pazifik auf hoher See zu fischen gibt. Und der Hund? "Cingene hat sich super gemacht", berichtet Brambusch. Sie habe keine Anzeichen von Seekrankheit oder Unwohlsein gehabt, "für ihr großes und kleines Geschäft haben wir am Heck ihre Hundewiese aus Plastik ausgebreitet".
Während die Passage von den Kanaren auf die Kapverden noch von Delfinen begleitet war, "haben wir auf dem gesamten Weg in die Karibik außer vereinzelt fliegenden Fischen und den Mahis nicht einen einzigen Meeressäuger gesehen". Auch kein Schiff weit und breit, nicht mal auf dem AIS – dem Funksystem – seien bis auf einmal die kleinen grünen Dreiecke aufgetaucht, so Brambusch.
Martinique: Landgang endlich wieder Normalität
Inzwischen sind um die Moody herum wieder viele Schiffe unterwegs, Landgang ist wieder Normalität geworden und auch Cingene genießt die wiedergewonnene Freiheit. Brambusch und Solyu sind wieder allein auf ihrem Boot und schippern durch die Karibik. Nach Martinique, nach Dominica, nach Guadeloupe. Weitere Ziele sind St. Lucia, Barbados, Grenada, "wir wollen bis zum Beginn der Hurrican-Saison Anfang Juni in Trinidad Tobago sein, denn dort ist es von der Lage her geschützter", erklärt Brambusch.
Doch auch die Suche nach einem sicheren Liegeplatz ist laut Brambusch in der Karibik wichtig, denn es gibt Fälle von Piraterie. Auf der Internetseite Yacht.de wird berichtet, dass laut des Caribbean Safety and Security Net (CSSN) die Fälle von Piraterie nach einem Corona-Tiefstand in 2020 wieder stark angestiegen sind.
Zwischendurch, erklärt Brambusch, wird auf dem Boot gearbeitet, schließlich "muss Geld in die Kasse fließen" – für Überfahrten, Anlegegebühren in den Häfen und auch mal für ein schönes Essen im Restaurant. So betreibt er seinen Blog "Brambusch macht blau", schreibt Artikel fürs Float-Magazin, den Spiegel oder andere Magazine. Auch hat der Journalist mehrere Bücher veröffentlicht, neben seinem Krimi "Die Stalkerin" und "Tausche Büro gegen Boot" auch das Buch "Cingene - vom Straßenstreuner zum Bordhund".
Wenn man Soylu und Brambusch fragt, wie es sich anfühlt, nun die von vielen als "Heldenreise" glorifizierte Atlantiküberquerung gemacht zu haben, verliert es ein wenig an Seefahrerromantik: "Es war eine tolle Erfahrung, viel mehr nicht", so Brambusch und Soylu meint recht überzeugt, sie müsse nicht noch einmal den Atlantik überqueren. Wohin es die Beiden längerfristig verschlägt? "Das fragt uns immer jeder. Aber wir haben noch keinen Plan, was dann irgendwann kommt", sagt Brambusch. Und fügt an: "Das fühlt sich im Moment auch gut an."
Auf dem YouTube-Kanal "Sailing Dilly-Dally" begleitet das Paar seine Reise mit Filmen: www.brambusch-macht-blau.de/dilly-dally/