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BERLIN/WÜRZBURG
Kommt die Rente mit 70?
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:38 Uhr

Für viele Bürger hört es sich wie eine Zumutung an: die Rente mit 70. Führende Ökonomen sehen das anders. Für die neue Bundesregierung sehen sie in Sachen Rente dringenden Handlungsbedarf. „Die Rentenversicherung ist derzeit noch recht gut aufgestellt. Doch nach sieben relativ fetten Jahren, werden dann magere Jahre folgen“, warnt Peter Haan, Rentenexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Längere Lebenszeit - späteres Renteneintrittsalter

Was das für das Renteneintrittsalter bedeutet, ist klar: „Wegen der demografischen Entwicklung, vor allem wegen der verlängerten Lebenszeit, sollte das Renteneintrittsalter als ein Reformbaustein weiter angehoben werden. Anders wird es schwierig das System zu finanzieren“, sagt Haan.

Daher sei es wichtig, die Reform jetzt zu beginnen. „Die neue Bundesregierung sollte weitere Hemmschuhe für freiwilliges längeres Arbeiten beseitigen“, sagt ein Sprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Andernfalls könnte die Flexirente nur eine begrenzte Wirkung auf die Beschäftigung Älterer haben. Der BDA wünscht sich eine „deutlichere Lockerung und Vereinfachung der Hinzuverdienstgrenzen sowie die Beseitigung von arbeitsrechtlichen Hemmnissen bei der erneuten Beschäftigung von ehemaligen Mitarbeitern im Rentenalter“.

Rücklagen gibt es keine

Das System der gesetzlichen Rentenversicherung beruht in Deutschland auf dem Prinzip des Umlageverfahrens. Die Jüngeren zahlen Beiträge ein, von denen umgehend die Renten der aktuellen Rentner-Generation bezahlt werden. Rücklagen gibt es quasi nicht. Die aktuellen Ausgaben sind gleich der aktuellen Einnahmen.

Doch das System leidet unter dem Wandel der Bevölkerungsstruktur in Deutschland. Die Zahl der Geburten ist gesunken, damit stehen in Zukunft immer weniger Arbeitskräfte – und damit Beitragszahler – zur Verfügung. Zudem steigt die Lebenserwartung älterer Menschen: In den Sechzigerjahren hatte ein 65-jähriger Mann im Schnitt noch rund zwölf Jahre zu leben, heute sind es 18 Jahre.

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Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Eckpunkte des jetzigen Rentensystems spätestens 2030 Makulatur sind, wenn die Generation der Babyboomer in Rente geht. „Besser als starre Regeln sind flexible Möglichkeiten, um aus dem Arbeitsleben auszuscheiden“, sagt Rentenexperte Haan. Denn nicht jeder kann oder will bis ins hohe Alter weiterarbeiten. „Die Erhöhung des Renteneintrittsalters könnte ein Baustein einer Rentenreform sein.

Ein weiterer wäre mehr Flexibilisierung auch vor Erreichen der Regelaltersgrenze“, erklärt Haan. Diesen Baustein gebe es heute schon, er heißt Flexirente.

Wie stark die Flexirente genutzt wird, ist noch unklar

Die Flexirente, die seit 1. Januar 2017 in Anspruch genommen werden kann, war ein Reformschritt der Großen Koalition, um das Rentensystem zu stabilisieren. Wie stark dieses Modell genutzt wird ist noch unklar. Verlässliche Zahlen gibt es laut Rentenversicherung Bund erst Anfang nächsten Jahres. „Vor allem die Hinzuverdienstgrenzen vor der Regelsaltergrenze sind recht komplex und nicht wirklich flexibel. Dazu kommt, dass nicht bekannt ist, wie viele Arbeitgeber einer Flexirente zustimmen“, erklärt der Rentenexperte. „Wenn wir in den kommenden Jahren feststellen, dass es von Firmen zu wenig Zustimmung für Flexirenten auch vor der Regelaltersgrenze gibt, sollten wir über ein Recht auf Teilzeit-Rente nachdenken“, schlägt Haan vor.

Aktuell gehen nur acht Prozent der 64-Jährigen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, weiß Frank Firsching, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Unterfranken. „Wie soll jemand bis 70 arbeiten, der mit 64 keinen Job mehr hat? Hier zeigt sich: Es geht nur um Rentenkürzungen. Und die Altersarmut steigt.“

In Österreich wird die Rente auch aus Steuermitteln finanziert

Firsching sieht das Rentensystem keineswegs in Gefahr. „Wir können uns ein vernünftiges Rentensystem leisten, wenn wir ähnlich wie in Österreich mehr Steuermittel für die Rente verwenden.“ Von der neuen Bundesregierung wünscht sich der Gewerkschaftsmann die Renten ab 65 Jahren zurück und fordert das Rentenniveau wieder auf über 50 Prozent anzuheben (derzeit beträgt es 48 Prozent und soll weiter gesenkt werden).

Die Flexirente hätte nur einen geringeren Effekt auf die Arbeitsmarktteilnahme Älterer als die angedachte Rente mit 70. „Die Flexibilisierung ist da eher ein Zuckerbrot im Vergleich zur Peitsche längere allgemeine Lebensarbeitszeit, die Nachteile für diejenigen Älteren mit sich bringt, die aus gesundheitlichen oder Arbeitsmarkt-Gründen nicht mehr arbeiten können“, sagt Professor Thomas Zwick, Inhaber des Lehrstuhls für Personal und Organisation an der Universität Würzburg. Er wertet derzeit eine umfangreiche Studie zu flexiblen Übergängen in die Rente aus.

Das sagen Experten

Holger Balodis, Rentenexperte und Buchautor:

Holger Balodis, Rentenexperte und Buchautor „Die Vorsorgelüge“, „Die große Rentenlüge“
Foto: Dagfmar Hühne | Holger Balodis, Rentenexperte und Buchautor „Die Vorsorgelüge“, „Die große Rentenlüge“

„Am wichtigsten wäre die Einführung einer Mindestrente, damit all jene, denen demnächst eine Minirente droht, der Weg in die Altersarmut erspart bleibt. Allerdings fürchte ich, dass dies in einer Jamaika-Koalition wenig Chancen hat. Lediglich die Grünen fordern eine solche Garantierente, doch die werden sie wohl kaum durchsetzen können. Unterm Strich erwarte ich also, dass Jamaika für die heutigen und vor allem für die künftigen Rentner keine Verbesserungen bringen wird.“  

Professor Dr. Thomas Zwick:

Professor Thomas Zwick, Volkswirt und Lehrstuhlinhaber für Personal und Organisation an der Uni Würzburg
Foto: Jürgen Haug-Peichl | Professor Thomas Zwick, Volkswirt und Lehrstuhlinhaber für Personal und Organisation an der Uni Würzburg

„Die Flexirente erleichtert fitten Älteren die Entscheidung, neben ihrer Rente noch zu arbeiten – gut für die ungebrochene Nachfrage nach erfahrenen Fachkräften, gut für die Älteren, die sich etwas hinzuverdienen können ohne große Abschläge und gut für die Sozialversicherungen, da sich der Anteil der Erwerbstätigen über 50 Jahren mit der Maßnahme wohl zusätzlich erhöhen dürfte und damit Beschäftigte später in Rente gehen und nun auch nach Rentenbezug noch weiter in die Rentenkasse einzahlen.“

Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands:

Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland
Foto: Verband | Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland

„Die neue Regierungskoalition muss das Thema Altersarmut auf die Agenda setzen. Denn hier herrscht der größte Handlungsbedarf, wenn es um die Rente geht. Nötig sind insbesondere der Ausbau von Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Erwerbsphase sowie ergänzende Regelungen im Rentenrecht. Zudem müssen Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner erfolgen, denn für sie ist das Risiko von Altersarmut besonders hoch.“

Kristina Vaillant, Journalistin und Buchautorin:

Kristina Vaillant, Journalistin und Buchautorin („Die verratenen Mütter“) und Bloggerin
Foto: Christel Kuke | Kristina Vaillant, Journalistin und Buchautorin („Die verratenen Mütter“) und Bloggerin

„Von der neuen Bundesregierung wünsche ich mir einfach nur einen dritten Rentenpunkt für Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind. Eine Aufstockung der Mütterrente wie es CDU/CSU wollen, reicht jedenfalls nicht als Antwort auf die massiv zunehmende Altersarmut aus. Die wichtigste Maßnahme müsste aus meiner Sicht die Einführung einer Mindestrente sein, damit Versicherte am Ende ihres Arbeitslebens endlich nicht mehr zum Sozialfall gemacht werden. Eine solche Bremse nach unten steht allerdings nur bei den Grünen im Programm.“

 

 
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  • T. P.
    Ist doch klar, dass deutsche Arbeiter und Angestellte immer länger arbeiten und Steuern bezahlen müssen. Wer soll den sonst für das Heer der, immer mehr werdenden, Politiker und Ausländer bezahlen! Also auf, weiter so. Arbeiten bis zum Sarg! Wer sich Den dann noch leisten kann.
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