Infizieren sich nach den drei Corona-Jahren mehr Menschen mit Grippe und anderen Infektionskrankheiten? Durch Lockdowns und Maskenpflicht habe das Immunsystem schließlich verlernt, sich gegen Infektionen zu wehren, heißt es immer wieder. Ist das wirklich so? Nein, glaubt Dr. Joachim Lentzkow, unterfränkischer Vorstandsbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Die Gesellschaft sei inzwischen lediglich stärker für Infektionskrankheiten sensibilisiert. Dass die körpereigenen Abwehrkräfte wegen der Corona-Maßnahmen nicht mehr stark genug seien – ein Mythos.
Aktuell wüte keine Krankheitswelle in Unterfranken, sagt der Mediziner mit Praxis in Goldbach (Lkr. Aschaffenburg). Das sei auch in diesem Frühjahr nicht mehr zu erwarten. Eine "sehr starke Grippe-Welle" habe es im vergangenen Herbst – und damit rund zehn Wochen früher als üblich – gegeben. Kein gutes Timing für Ärzte und Menschen aus Risikogruppen, denn so konnte meist nicht rechtzeitig geimpft werden, erklärt Lentzkow.
Der Höhepunkt der Grippewelle sei in etwa auf den Jahreswechsel gefallen. "Aktuell sind wir eigentlich in einer richtig guten Situation", sagt der Arzt: "Influenza ebbt deutlich ab." Auch das Coronavirus scheine aktuell im Griff zu sein, ergänzt er. In Pflegeeinrichtungen mahnt er allerdings auch weiterhin zur Vorsicht. Weil sich viele Menschen aufgrund von gefallenen Corona-Beschränkungen nicht mehr testen lassen würden, gehe er von höheren Inzidenzwerten aus, als den vom Robert Koch-Institut (RKI) gemessenen.
Menschen sind nicht häufiger krank – sie achten nur stärker darauf
Viele Menschen seien zwar aktuell gesundheitlich angeschlagen, dabei handele es sich laut Lentzkow aber meist um Erkältungen – oder die ersten Anzeichen von Heuschnupfen. Durch Maskenpflicht und Lockdowns sei die Bevölkerung lange Zeit vor Infektionskrankheiten geschützt gewesen, jetzt sei sie stärker dafür sensibilisiert: "Wir hatten weniger Erkrankungen und jetzt ist es nur gefühlt so, dass wir wieder ganz schlimm dran sind." Dafür, dass das Immunsystem durch die Corona-Maßnahmen geschwächt sei, gebe es aber keine validen Daten.
Bei stärkeren Symptomen, wie etwa Fieber oder Schluckbeschwerden, rät der Mediziner dazu, den Hausarzt aufzusuchen. Bei einer Erkältung bedarf es in der Regel ohnehin keiner Medikation, sagt er. Meist reiche es schlicht aus, es sich auf dem Sofa bequem zu machen, die Füße hochzulegen und sich warmzuhalten: "Man sollte sich wirklich einmal für drei Tage ausruhen und dem ganzen Raum geben."
Bei Erkältung sei es übrigens nicht ratsam, ein ausgedehntes Sportprogramm zu absolvieren, sagt Lentzkow. Gegen einen gemütlichen Spaziergang an der Sonne sei aber nichts einzuwenden.