Die Erzieherin setzt dem Jungen die Bartagamen-Dame Bella vorsichtig auf den Arm. In Zeitlupe kriecht das Tier bis zu seiner Schulter. "Das macht mir nix, da bin ich ganz entspannt", sagt er cool während sein Freund mit einer Pinzette Heuschrecken in einem Terrarium fängt und an Bellas Echsenkollegen Frederik verfüttert. "Ich kann die Heuschrecken sogar mit der Hand fangen", ruft ein Mädchen und langt in den Glaskasten.
Ein paar Meter dahinter steht Alexandra Unterguggenberger, stellvertretende Einrichtungsleiterin der Kita Gut Heuchelhof und schüttelt sich. "Also für mich ist das nichts", sagt sie. Und fügt hinzu: "Aber das muss es ja auch nicht. Bei uns kann jeder in dem Themenbereich arbeiten, der ihm liegt – das ist eine unserer Besonderheiten."
Warum es die Würzburger Kita in die Top-Ten geschafft hat
Die Kita, die in einem alten Gutshof am Würzburger Heuchelhof untergebracht ist, ist unter den zehn Finalisten des Deutschen Kita-Preises, es gab 750 Bewerbungen. Die Einrichtung mit drei Gruppen und 75 Kindern kann 25 000 Euro Preisgeld hoffen. Doch warum wurde ausgerechnet die Würzburger Kita in die Top-Ten gewählt?
Štěpánka Busuleanu vom Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung erklärt: "Wir bewerten die Kitas nach vier Qualitätsdimensionen. Wir suchen dabei nicht nach Hochglanzkitas!" Zusammen mit Carola Michaelis fertigt sie einen Bericht über alle zehn Finalisten an, eine Jury wählt dann den Gewinner. Sie legt das Augenmerk dabei darauf, wie sehr sich eine Kita an den Kindern, ihrer Lebenswelt, ihren Bedürfnissen ausrichtet. Auch wird bewertet, wie gut sich die Kita am Sozialraum, also lokalen Begebenheiten, orientiert.
Ebenso schaut die Jury nach den Beteiligungsmöglichkeiten, die die Kinder in der Einrichtung haben. Können Sie den Tag mitgestalten? Wird Demokratie gelebt? Zuletzt wirft das Gremium noch einen Blick darauf, ob die Kita auch als "lernende Organisation" funktioniert: Wird die Qualität stetig weiterentwickelt? Hat die Einrichtung Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, Inklusion und Digitalität im Blick?
Viel Engagement ist gefragt
Was abstrakt klingt, wird in der Kita Gut Heuchelhof kunterbunt gelebt. Der Heuchelhof ist einer von Würzburgs sozialen Brennpunkten. Über die Hälfte der Menschen hier haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Gerade in einer Kita braucht es da viel Extra-Engagement. Bunte Schilder begrüßen jeden, der in die Kita kommt, auf unterschiedlichen Sprachen. Die Einrichtung steckt viel Engagement in die Zusammenarbeit mit Eltern, die kein oder wenig Deutsch sprechen, vieles wird übersetzt, die Kita ist im Stadtviertel gut vernetzt.
Auch die Teilhabe der Kinder am Alltag ist ein wichtiger Bestandteil des Konzepts. "Wir entscheiden das meiste mit den Kindern zusammen", sagt Einrichtungsleitung Claudia Reiher. "Seien es neue Anschaffungen oder mit welchen Themen wir uns beschäftigen – das meiste hier entsteht im Dialog mit den Kindern."
Die ganze Einrichtung ist darauf ausgelegt, dass die Kinder sich möglichst selbstständig in ihr bewegen können. "Dazu braucht es eine gute Struktur, in der sie sich gut selbst zurechtfinden", so Reiher. Diese Struktur setzt die Einrichtung mit vielen Bildern kindgerecht um: An jedem Regal und jedem Spielzeug hängt ein Foto, das zeigt, wie das Spiel wieder aufgeräumt wird. Bunte Wochen- und Tagespläne führen durch die Zeit in der Kita. Bildern von Matschhose, Mütze & Co. helfen in der Garderobe, sich selbstständig in der richtigen Reihenfolge anzuziehen.
Verschiedene Themenräume ermöglichen jedem Kind, sich täglich frei zu entscheiden, womit es sich beschäftigen will: Es gibt ein Atelier, ein Farblabor, einen Rollenspiel-Raum, eine Puppenecke und eine Kinderküche, eine Holzwerkstatt, ein Raum, der dem Bauen gewidmet ist, eine Bibliothek, einen Raum, der sich mit dem Planetensystem beschäftigt, ein Forscher-Zimmer, eine Turnhalle, einen Montessori-Raum, ein Kinder-Café. "Wir haben jede Abstellkammer genutzt, um noch mehr Spannendes für die Kinder unterzubringen", sagt Reiher lachend.
Vor allem ein Zimmer ist besonders beliebt: Unter anderem zwei Bartagame, afrikanische Weißbauchigel, Gespenstschnecken und das lebendige Futter der Tiere leben hier. Die sogenannte "tiergestützte Pädagogik" steht wohl exemplarisch dafür, wie engagiert in der Kita Projekte angegangen werden. Bei einem Schneckenprojekt zogen die schleimigen Mitbewohner in die Einrichtung. Schnell hatte die Kita zu vielen Schneckeneier. Doch statt sie zu vernichten, haben Erzieherinnen und Kinder gemeinsam nach einer Lösung gesucht und dabei die Nahrungskette der Schecken erforscht.
"Wir kamen darauf, dass Igel Schneckeneier fressen – also haben wir uns informiert, welche Igel man in einem Gehege halten kann und kamen auf die afrikanischen Weißbauchigel", erzählt Reiher. "Weil die aber nachtaktiv sind, haben wir mit Eltern gemeinsam eine Wildkamera installiert – und jetzt schauen wir einmal die Woche eine Zusammenfassung, was unsere Schützlinge in der Nacht so treiben." Und weil die Tiere natürlich Zeit und Pflege brauchen, haben die Pädagogen einen "Tier-Führerschein" entworfen, bei dem jedes Kind den Umgang mit den Tieren lernen kann – und dann selbst die Verantwortung für Bella, Frederik und Co. mitträgt.
Es ist wohl die Mischung aus guter Struktur, neuen Ideen, Engagement und lokaler Vernetzung, die die Kita ausmacht. Das wird auch bei der Personalsituation deutlich: Während deutschlandweit über Personalmangel an Kitas geklagt wird, gibt es am Gut Heuchelhof keine offenen Stellen. "Wir haben ein Team, das sich gegenseitig trägt und unterstützt", sagt Unterguggenberger. "Jedes Teammitglied kann hier mit seinen Interessen und seinem Können mitgestalten. Wer etwa mit den Tieren nichts anfangen kann, muss nicht mit ihnen arbeiten."
Jetzt kann die Einrichtung auf ein sattes Preisgeld hoffen. Im Mai wird dann die finale Entscheidung getroffen, welche Einrichtung "Kita des Jahres" wird und 25.000 Euro gewinnt. Die Zweit- und Drittplatzierten können sich auf je 10.000 Euro freuen. Und was hat die Würzburger Kita vor, wenn sie gewinnt? Claudia Reiher: "Das entscheiden wir dann natürlich mit den Kindern gemeinsam, ganz klar."