4,5 Meter auf 4,5 Meter. Viel mehr Platz ist im Wohnzimmer von Markus Grimm nicht. Und auch in keinem der anderen Zimmer. Denn Grimm ist gemeinsam mit seiner Frau vor etwas mehr als einem Jahr in den sogenannten Flurersturm in Sommerhausen eingezogen. Altes Gemäuer, rote Dachziegeln und eine schmale Holztreppe, die zur Eingangstüre im ersten Stock führt – der Turm aus dem 16. Jahrhundert fügt sich beinahe nahtlos in das malerische Ortsbild.
Ein Platzwunder ist das Gebäude allerdings nicht gerade. "Wir mussten uns radikal verschlanken", sagt Grimm. Das sei durchaus eine Herausforderung des Umzugs gewesen. "Wir haben uns auf das Nötigste reduziert", sagt er. Längst nicht alle Möbel hätten einen Platz gefunden. Und statt eines Gästezimmers gebe es nun ein kleines Matratzenlager, das über eine Leiter im Flur zu erreichen ist.
Nach Sommerhausen geführt hat den gebürtigen Mannheimer ein außergewöhnlicher Job. Markus Grimm ist Autor, Schauspieler, promovierter Theologe, Texter, Youtuber. Und seit knapp fünf Jahren ist er Stadtschreiber der kleinen Gemeinde am Main. Was früher der Posten des Chronisten war, sei heute ein literarisches Amt, das von einigen Städten und Gemeinden an Schriftsteller vergeben werde, erklärt Grimm.
Sommerhausens Bürgermeister sieht eine Win-win-Situation
Für ihn beinhalte dieses Amt, nicht nur zu schreiben, sondern auch kulturelle Veranstaltungen rund um das Thema Literatur zu organisieren, betont der 56-Jährige. Und genau das hat er bereits getan. Da waren etwa die Sommerhäuser Literaturtage 2019 oder auch der monatliche Literarische Saloon in einer Sommerhäuser Vinothek, dazu kommen Lesungen und Einmanntheater-Stücke.
Für sich entdeckt habe er Sommerhausen im Rahmen eines Projekts 2014, sagt Grimm. "Da habe ich festgestellt, dass Sommerhausen ein toller Ort ist", sagt der Autor. Prompt bewarb er sich nicht nur für den frei gewordenen Flurersturm, sondern wendete sich zeitgleich auch mit einer Bewerbung für einen Posten als Stadtschreiber an die Gemeinde – ein Amt, das es vorher noch gar nicht gab.
Damit ist er in der Gemeinde auf offene Ohren gestoßen. "Anders als bildende oder darstellende Kunst war Literatur bei uns einfach noch nicht so vertreten", sagt Sommerhausens Bürgermeister Wilfried Saak. Er sehe die Zusammenarbeit mit dem Stadtschreiber als eine Art Win-win-Situation. "Ich denke, Künstler haben Sommerhausen bekannt gemacht, wurden gleichzeitig aber auch durch die Verortung selbst bekannter."
Für die erste Veranstaltung gab es eine Anschubfinanzierung von der Gemeinde
Zu Beginn gab es für die erste Veranstaltung des Stadtschreibers eine Anschubfinanzierung von der Gemeinde. Mittlerweile arbeite er allerdings freiberuflich, so Markus Grimm. Unterstützung vonseiten der Gemeinde bekomme er unter anderem dadurch, dass ihm kostenlos Veranstaltungsräume zur Verfügung gestellt würden.
Zugegebenermaßen habe Corona seinen Plänen in mancher Hinsicht einen Strich durch die Rechnung gemacht und auch seine Einstellung, "einfach mal loszulegen", etwas ausgebremst, sagt Grimm. "Und nach Corona ist nicht vor Corona." Heute sei es viel schwieriger einzuschätzen, wie viele Menschen zu einer Lesung oder anderen kulturellen Veranstaltungen kommen, meint der Stadtschreiber. "Das zieht oft nicht mehr so."
Zufrieden sei er trotzdem, sagt Grimm. Sein Fokus liege aktuell eben etwas mehr auf dem Schreiben. Vorrangig geht es dabei um lokalhistorische Themen. Mal um den ersten deutschen Amerika-Auswanderer, mal um namhafte Persönlichkeiten wie Balthasar Neumann, mal Kriege und Revolutionen. Immer gibt es einen Bezug zur Region. Erst im vergangenen Jahr hat der Autor zwei Bücher veröffentlicht. Eins zur Stadtgeschichte von Rothenburg ob der Tauber, eins zur Revolution von 1848.
"Das Schöne ist: Ich lerne selbst was dabei", beschreibt Grimm seine Faszination für die Lokalgeschichte. "Es ist jedes Mal eine Entdeckungsreise." Da sei etwa der 1866er-Krieg, der die historische Kulisse für Grimms Buch "Der Friede von Eisingen" von 2016 bietet. "Ich wusste vorher nichts über diesen Krieg. Und dann habe ich nach und nach die Geschichten von Menschen entdeckt, die damals gelebt haben", sagt der Stadtschreiber.
Grimm plant bereits ein neues lokalhistorisches Buch
Dabei habe er sich lange viel mehr als Schauspieler, denn als Autor gesehen. Heute verbindet er beide Tätigkeiten und inszeniert die Themen seiner Bücher auch als Solotheater-Stücke. "Die Idee dahinter ist, wie am Lagerfeuer vor 20.000 Jahren Geschichten zu erzählen", erklärt er. "Dafür braucht es kein Klimbim." Stattdessen bringe er seine Protagonisten allein mit Mimik, Gestik und Stimme auf die Bühne.
Auch als Autor wird Grimm wohl nicht langweilig. In Kürze wolle er mit der Recherche für ein neues Buch beginnen, sagt der Schriftsteller. Worum es gehen soll, will er vorerst noch nicht verraten. Darüber hinaus habe er aktuell keine konkreten Projekte für die Zukunft geplant, sagt Grimm. Allerdings habe sich seine Biografie immer wieder in überraschende Richtungen entwickelt. "Plötzlich macht man Sachen, mit denen man zehn Jahre vorher noch nicht gerechnet hätte", sagt er mit einem Augenzwinkern. Der Gemeinde Sommerhausen will der Künstler allerdings erst einmal treu bleiben. "Immerhin habe ich den Turm für 30 Jahre gepachtet."