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Würzburg/Berlin
Berliner LKA hielt Bordell „Artemis“ für unbedenklich
Razzia im Groß-Bordell       -  Einsatzkräfte von Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Zoll durchsuchen am 13.04.2016 ein  Groß-Bordell in der Nähe des Funkturms in Berlin Charlottenburg. Dem Betreiber des Bordells wird vorgeworfen, Sozialversicherungsbeiträge veruntreut zu haben.   Foto: Paul Zinken/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Foto: Paul Zinken (dpa) | Einsatzkräfte von Polizei, Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung und Zoll durchsuchen am 13.04.2016 ein Groß-Bordell in der Nähe des Funkturms in Berlin Charlottenburg.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:56 Uhr

War die Razzia im Berliner Bordell „Artemis“ mit 900 Beamten nur eine Wahlkampfshow des Berliner Innensenators, um Stärke zu zeigen? Das LKA kannte seit zehn Jahren das Geschäftsmodell zweier Würzburger Brüder – wurde aber vor der Razzia offenbar nicht gefragt.

Durchsucht wurde nicht nur in dem Bordell in Berlin-Charlottenburg, sondern auch in Würzburg am Wohnort eines der Betreiber. Als die Berliner Polizei am 14. April mit einer kleinen Armee von 900 Mann ins „Artemis“ einrückte, war das Staunen groß - in der Hauptstadt und im kleinen Würzburg, aus dem die zwei Betreiber Haki und Kenan S. kommen: Innensenator Frank Henkel, im gerade laufenden Wahlkampf - die Wahl zum Berliner Abgeordentenhaus findet am 18. September statt -  der kommende Mann der CDU, genoss das Scheinwerferlicht und den Applaus der Berliner über die zweite spektakuläre Razzia binnen 24 Stunden.

„Wir haben ein deutliches Signal gesetzt, dass wir die kriminelle Unterwelt bekämpfen“, hatte er schon zuvor bei Ermittlungen gegen Mitglieder arabischstämmiger Großfamilien wissen lassen. Als im „Artemis“ die zwei türkischstämmigen Betreiber aus Würzburg abgeführt wurden und die Polizei über 200 Freier und Huren kontrollierte, war das ein hollywoodreifer Auftritt: Eine Abfahrt am Autobahndreieck Funkturm wurde gesperrt, die Zufahrtsstraße war weiträumig abgeriegelt. Und Henkel - der Regierender Bürgermeister werden will - schaute auf dem Nachhauseweg von einem Empfang am Einsatzort vorbei.

Heiße Luft
Doch fünf Monate später bringt den Innensenator die klammheimlich in Gang gesetzte Ermittlung im Sauna- und FKK-Club gehörig ins Schwitzen: Das „Artemis“ blieb - allen lautstarken Ankündigungen zum Trotz - keinen Tag geschlossen, weil sich keine rechtliche Grundlage dafür fand. Ein neuer Betreiber aus Güntersleben (Lkr. Würzburg) führte seit Mai die Geschäfte der Inhaftierten weiter. Vom lautstark vermuteten Verdacht der Organisierten Kriminalität im Verbund mit kriminellen Hells-Angels-Rockern blieb ebenso wenig übrig wie von Menschenhandel oder Steuerhinterziehung in zweistelliger Millionenhöhe.

Die zwei Betreiber und vier festgenommene „Hausdamen“ sind wieder auf freiem Fuß. Berliner Gerichte sahen zuletzt die Vorwürfe als Luftnummern, denen jeder dringende Tatverdacht fehlte. Im Abgeordnetenhaus forderte der Linken-Abgeordnete Hakan Tas umfassende Aufklärung darüber, wo die Staatsanwaltschaft vermeintliche Erkenntnisse her hatte, die Grundlage der Durchsuchungsbeschlüsse in Berlin und Bayern waren.

Triumphgeheul
Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), dem die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaft obliegt, ist fein raus. Er war in die Ermittlungen offenbar nicht eingebunden. Dennoch muss auch er sich mitten im Wahlkampf wie Innensenator Henkel den Vorwurf gefallen lassen, auf fragwürdiger Grundlage zu einem spektakulären Einsatz geblasen zu haben.

Dazu kam, dass die Staatsanwaltschaft am Tag nach der „Artemis“-Razzia in einer Pressekonferenzmit unüblichem Triumphgeheul völlig übers Ziel hinaus schoss und die zwei Würzburger Haki und Kenan S. mit dem Chicagoer Gangster Al Capone verglich. „Hoffentlich geht der Schuss nicht nach hinten los,“ hatte ein ranghoher Ermittler in Würzburg bereits wenige Tage nach der Razzia gegenüber dieser Redaktion befürchtet.
Ermittler in Unterfranken – wo die Brüder S. mit Spielautomaten zuvor jahrelang ihre Geschäfte gemacht – bezweifelten dieser Redaktion gegenüber bereits im April, dass den starken Worten der Staatsanwalt auch Taten folgen. Einer versicherte: Die Brüder hatten 2005 ihr Geschäftsmodell bei Finanz- und Ermittlungsbehörden prüfen lassen, ehe das „Artemis“ öffnete. „Wenn die sich an das gehalten haben, was sie vorgelegt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass man ihnen am Zeug flicken kann,“ urteilte damals ein Fachmann , der die Unterlagen kennt.

Jetzt zeigen Recherchen des „Spiegel“, dass er mit der Einschätzung wohl richtig lag – und hinter der aufwändigen Durchsuchungsaktion noch mehr Fragezeichen stehen. Auch dem Berliner Landeskriminalamt (LKA) und den Finanzbehörden sollen die Geschäftspraktiken von Berlins größtem Bordell im Stadtteil Charlottenburg, seit Jahren bekannt gewesen und von ihnen gebilligt worden sein. "Der Spiegel" berief sich jetzt auf interne Unterlagen der Polizei sowie der Justiz.

Demnach sollen die beiden Betreiber schon vor Inbetriebnahme ihres Bordells vor mehr als zehn Jahren den Kontakt zu den Behörden aufgenommen haben, um möglichen Ärger aus dem Weg zu gehen. Nach eigenen Angaben haben sie seit der Eröffnung Steuern in Höhe von 35 Millionen Euro gezahlt.
Das "Artemis" eröffnete 2005 in einem mehrgeschossigen früheren Lagerhaus im Westen Berlins an der Autobahn nahe dem Messegelände. Es ist das größte Bordell in Berlin und eines der größten in Deutschland. Die Betreiber sprechen von einem FKK-Sauna-Club oder von einem Wellnessbordell.

Der Betrieb mit Saunen und Swimmingpool wirbt offensiv in der Öffentlichkeit, offenbar um sich von dem Schmuddelimage klassischer Bordelle abzusetzen. Es gab Reklame auf Taxis und auch einige Jahre lang auf den Bussen der Berliner Verkehrsbetriebe.

Besucher zahlen eine Pauschale von 80 Euro für Nutzung der Wellnesseinrichtungen; Bademantel, Handtuch und Frühstücksbuffet sind inklusive. Sex kostet extra. Auch die Prostituierten zahlen den Angaben des "Artemis" und Veröffentlichungen zufolge eine Pauschale an den Betreiber und arbeiten dann auf eigene Rechnung.

Schadenersatzklage
Durch die LKA-Kontakte müsste die Polizei sowie die Steuerfahndung vor dem öffentlichkeitswirksamen Großeinsatz Kenntnis darüber gehabt haben, dass LKA und Finanzamt das "Artemis" regelmäßig geprüft haben - und weder Sozialversicherungsbetrug noch Ausbeutung der Mitarbeiter vermuteten. Die Behörden hätten keine Einwände gegen das Geschäftsmodell gehabt und anstandslos gebilligt. Offenbar wurde der bevorstehende Einsatz im April vor ihnen geheim gehalten.

Dem Land Berlin droht nun eine Schadenersatzklage. Laut Medienberichten wollen die "Artemis"-Betreiber nicht nur für ihre mehrwöchige Haftzeit und die dadurch entstandenen Einnahmeverluste entschädigt werden, sondern auch wegen Rufschädigung.

Alles offengelegt
Die Brüder, die zuvor in Würzburg jahrelang ein völlig unauffälliges Leben führten, wollen sich nicht zu dem Fall äußern. Ganz überraschend kamen aber auch die Enthüllungen des „Spiegel“ jetzt nicht. Schon vor zehn Jahren hatte Kenan S. kurz nach der Eröffnung des „Artemis“ in einem Interview in Berlin erklärt: „Uns wurde hier nichts geschenkt. Wenn andere eine Auflage erfüllen mussten, dann mussten wir zwei erfüllen. Rund 1,5 Jahren haben wir gebraucht, bis alle Genehmigungen erteilt waren“, so S. „Sowohl dem Finanzamt als auch dem Landeskriminalamt musste er alle Papiere offenlegen. Jeder Investor wurde benannt,“ hieß es damals in einer Berliner Zeitung.

 
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