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Würzburg
Berliner Bordell: Keine Anklage gegen Würzburger Betreiber
Zwei Jahre nach der Razzia gegen die Würzburger Betreiber des Berliner Bordells „Artemis“ zeigt sich: Die spektakuläre Ermittlung mit 800 Beamten war nur ein Knallbonbon.
Für großes Aufsehen sorgte vor über zwei Jahren die Razzia im Groß-Bordell 'Artemis' in Berlin. Doch nun zeigt sich: Die Vorwürfe gegen die zwei Würzburger Betreiber waren haltlos.
Foto: Paul Zinken, dpa | Für großes Aufsehen sorgte vor über zwei Jahren die Razzia im Groß-Bordell "Artemis" in Berlin. Doch nun zeigt sich: Die Vorwürfe gegen die zwei Würzburger Betreiber waren haltlos.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 03.12.2019 10:54 Uhr

Für die Berliner Ermittler ist es die maximale Blamage: Zweieinhalb Jahre, nachdem 530 Einsatzkräfte das Großbordell „Artemis“ bei einer Razzia gestürmt und die Staatsanwaltschaft den Betreibern anschließend Ausbeutung, Zuhälterei und Beihilfe zum Menschenhandel vorwarf, ist nichts von den Vorwürfen übrig geblieben. Wie diese Redaktion erfuhr, hat das Berliner Landgericht in einem 173 Seiten langen Beschluss jetzt entschieden, nicht einmal die zuletzt übrig gebliebene Anklage wegen Steuerhinterziehung zuzulassen und das Hauptverfahren gar nicht erst zu eröffnen.

Durchsucht wurde 2016 nicht nur in dem Bordell in Berlin-Charlottenburg, sondern auch in Würzburg am Wohnort eines der Betreiber. „Hoffentlich geht der Schuss nicht nach hinten los,“ hatte ein ranghoher Ermittler in Würzburg bereits wenige Tage nach der Razzia gegenüber dieser Redaktion befürchtet. Denn Ermittler im Bereich organisierter Kriminalität in Unterfranken – wo die Brüder S. mit Spielautomaten zuvor jahrelang ihre Geschäfte gemacht hatten – bezweifelten bereits damals dieser Redaktion gegenüber, dass den starken Worten der Staatsanwaltschaft auch Taten folgen. Einer versicherte dieser Redaktion: Die Brüder hätten 2005 ihr Geschäftsmodell bei Finanz- und Ermittlungsbehörden prüfen lassen, ehe das „Artemis“ öffnete. „Wenn die sich an das gehalten haben, was sie vorgelegt haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass man ihnen am Zeug flicken kann,“ urteilte in Unterfranken ein Fachmann , der die Unterlagen kennt.

Zufall? Die Razzia fand unmittelbar vor dem Wahlkampf statt 

Hakki S., der aus Würzburg kommende Betreiber des Unternehmens, spricht jetzt von einem „unsäglichen Skandal, der nun endlich ein Ende hat“. Die Anwälte weisen immer wieder darauf hin: Die Razzia fand im April 2016 statt – kurz vor Beginn des Wahlkampfs um das Abgeordnetenhaus. Laut Berliner „Tagesspiegel“ verfolgte der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) sie direkt vor Ort mehrere Stunden von einem Parkplatz auf der anderen Straßenseite aus. Er stellte sich später auch den Fragen wartender Journalisten.

Die Vorwürfe, die Ermittler damals am Tag danach auch dieser Redaktion gegenüber der Öffentlichkeit präsentierten, waren heftig: Angeblich seien Frauen im Artemis „in Abhängigkeit gehalten und ausgebeutet worden“, der Betrieb basiere auf organisierter Kriminalität. Ein Staatsanwalt zog Vergleiche mit dem US-Gangster Al Capone. Hakki S. und sein Bruder Kenan landeten in Würzburg in Untersuchungshaft.

Erste schwere Zweifel an der Arbeit der Ermittler kamen auf, als das Kammergericht die Betreiber nach vier Monaten auf freien Fuß setzte und einen dringenden Tatverdacht bestritt. Davon wollte die Staatsanwaltschaft nichts wissen, warf ihrerseits dem Gericht grobe Fehler vor. Doch gerade das Artemis hatte laut den Würzburger Anwälten Jan Paulsen und Norman Jacob eng mit den Behörden kooperiert. Sowohl Landeskriminalamt und Zoll als auch Finanzamt und die Experten der „AG Rotlicht“ führten regelmäßige Kontrollen durch.

Freier und Prostituierte zahlten beide Eintritt

In der nach Monaten vorgelegten Anklageschrift war von den Vorwürfen der Ausbeutung und Beihilfe zum Menschenhandel schon nichts mehr zu lesen. Stattdessen beschränkten sich die Ermittler auf den Finanz-Vorwurf: Die im "Artemis" tätigen Prostituierten seien scheinselbstständig gewesen.
Das Modell der Würzburger Unternehmer ist ungewöhnlich im Rotlicht: Sowohl Freier als auch Prostituierte zahlen eine Eintrittsgebühr von 80 Euro, können dafür die Räumlichkeiten nutzen und sich am Büffet bedienen. Für den Sex bezahlt der Freier die Prostituierte direkt, die Betreiber kriegen davon nichts ab.

Der zentrale Punkt: Die Prostituierten arbeiten als Selbstständige, führen ihre Steuern nach dem sogenannten „Düsseldorfer Verfahren“ ab. Die Ankläger behaupten dagegen, den Prostituierten seien Preise, Arbeitszeiten und Sexpraktiken vorgeschrieben worden. Sie seien daher Arbeitnehmer. Allein den Rentenversicherungsträgern sei so ein Schaden von 17 Millionen Euro entstanden. Zudem hätten die Würzburger Betreiber die internen Hausregeln gegenüber den Berliner Behörden absichtlich verschleiert.

"Das Stigma werden wir nie wieder ganz los"
Hakki S., einer der Bordell-Betreiber 

Auch diesen Vorwurf wiesen die Betreiber als „vollkommen absurd“ zurück: „Wir wollten immer größtmögliche Transparenz, haben mit den Behörden zusammengearbeitet, nie gegen sie.“
Dies hatten erst jetzt wieder Kontrollen des Finanzamtes im nach wie vor geöffneten „Artemis“ bestätigt. Außerdem stehen in der Anklageschrift Punkte, die selbst für Nichtjuristen kurios klingen: Beweis für die Verschleierungsabsicht sei etwa, dass sich die Betreiber über den aktuellen Stand der Rechtsprechung im Bereich Selbstständigkeit auf dem Laufenden gehalten hätten – zudem hätten sie ihre Hausregeln stets mit Anwälten abgestimmt.

Die Anwälte der Betreiber sagen nun: Durch die öffentliche Vorverurteilung sei den zwei Unternehmern ein großer Schaden entstanden. Einerseits finanziell, denn viele Geschäftsleute und Prominente hätten sich nicht mehr in den Laden gewagt. Andererseits privat: Ihre Kinder seien in Würzburg an der Schule wie Aussätzige behandelt worden. Eine Menge Freunde und Bekannte hätten sich zurückgezogen. Es werde garantiert „etwas haften bleiben. Das Stigma werden wir nie wieder ganz los,“ sagte Hakki S.

Anwälte kritisieren die Staatsanwaltschaft

In ihrem Beschluss kritisierte die Kammer, dass die Anklage „ungenau“ und „missverständlich“ formuliert worden sei. In der Frage der Selbstständigkeit der Frauen urteilte das Landgericht deutlich: „Das Artemis hat während der ganzen Zeit die sexuellen Dienstleistungen der Prostituierten nicht kontrolliert bzw. nicht überwacht oder erfasst.“ 

Auch zur Frage, wie transparent der Geschaftsbetrieb im "Artemis" ist, stellte das Gericht eindeutig fest: Die zwei Würzburger „vertrauten aufgrund ihrer Kooperation mit den Behörden durchgehend darauf, dass die Prostituierten und Masseure selbstandig und nicht als Arbeitnehmer des Artemis tätig waren“. Die Anwälte der Betreiber machten in einer Presseerklärung zur Entscheidung des Gerichts aus ihrer Genugtuung keinen Hehl: Mit dem Beschluss „wird deutlich, wie voreingenommen, verblendet und - sogar öffentlich - stark vorverurteilend die Staatsanwaltschaft Berlin in ihrem rechtswidrigen und geradezu inquisitorischen Bestreben vorgegangen ist, etwas zu beweisen, was es nie gab. Es wurde maßlos übertrieben, die Öffentlichkeit und teilweise sogar die Gerichte wurden von der Staatsanwaltschaft getäuscht, um die haltlosen Vorwürfe gegen unsere Mandanten so lange wie nur irgend möglich aufrecht zu erhalten“.

Nun drohen der Berliner Justiz neben der Blamage auch finanzielle Folgen. Das Gericht ordnete an: „Die Angeschuldigten sind jeweils für die im Ermittlungsverfahren von ihnen erlittene Freiheitsentziehung und Untersuchungshaft – sowie die beiden Angeschuldigten S. auch für den erlittenen Vermögensarrest – zu entschädigen.“

 
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  • G. K.
    Da hat jemand in seinem Job aber mal so richtig Mist gebaut!

    Man stelle sich vor: In Deutschland muss jemand vier Monate(!) in den Knast – und hinterher wird noch nicht einmal ein Verfahren eröffnet.

    Nur zur Erinnerung: Um vier Monate in Untersuchungshaft bleiben zu müssen, braucht es entsprechend richterliche Prüfungen und Anordnungen. Eben genau das Verfahren, welches im neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz hoch- und allen Kritikern entgegengehalten wird.

    Denn es ist doch gerade in Deutschland undenkbar, dass sich Richter und/oder Strafverfolgungsbehörden irren … (naja, was zu beweisen war).

    Also sollte dieser Fall ein mahnendes Beispiel dafür sein, dass der Rechtsstaat nicht mehr Befugnisse, sondern mehr Kontrolle braucht – denn ein Rechtsstaat ist nichts wert, falls unschuldige Bürger nicht auf den Schutz seiner Mechanismen vertrauen können.

    Und wie sehen die Konsequenzen in diesem Fall aus? Ich vermute mal: keine!

    Das deutsche Behördentum ist ja schließlich unantastbar!
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  • K. S.
    liest denn keiner den Artikel gegen. Ich kann gar nicht genau sagen wie oft statt einem ä, ü oder ö ein a, u oder o verwendet wurde.
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  • A. H.
    scheinbar nicht - wenn man die heutigen geradezuvhilflosen Erklärungsversuchevdes sog. Leseranwaltes liest.....
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  • O. B.
    Ein "v" ist aber auch kein Leerzeichen
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  • A. H.
    Mein Querleser ist unabkömmlich. Deshalb istves beruhigend, dass Sie es bemerkt haben......
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