Geduld gehört nicht zu den Stärken des Häftlings Josef B. in der JVA Würzburg. Ende 2017 , kaum verurteilt, bereitet der Betrüger aus dem Knast heraus bald neue Geschäfte vor - obwohl er noch einen Großteil seiner Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren abzusitzen hat.
Dafür ist ein Handy nützlich. Was scheren ihn und andere "Knackis" da, dass Mobiltelefone hinter Gittern verboten sind? B. schweigt dazu. Aber drei Insassen der JVA Würzburg versichern: Das sei nur eine Frage des Preises für Häftlinge, die sich nach Frau und Kindern sehnen, für ihren bevorstehenden Prozess Zeugen beeinflussen wollen oder deren Geschäfte "draußen" weiterlaufen sollen.
Bei B. funktioniert das offenbar: Während er das erste Jahr seiner Strafe absitzt, wird bereits im Internet die Gründung einer neuen Firma in Frankfurt unter seiner Mitwirkung verkündet. Selbstbewusst schickt der verurteilte Betrüger aus der Zelle heraus den alten Versprechen - die seine Geschäftspartner Millionen gekostet haben - neue hinterher: "Bei mir ist die Hoffnung groß, dass die Zeit hier im kommenden Jahr ihr Ende finden wird", schreibt er optimistisch in Briefen an Gläubiger. Er werde bald wieder Geschäfte machen – in Frankfurt, "wo alle Vorbereitungen schon getroffen sind".
Doch im Sommer 2018 passiert ausgerechnet dem Mann mit den geschickten Händen ein Missgeschick: Bei ihm wird eine der winzigen SIM-Karten gefunden, deren Besitz nur Sinn macht, wenn man dazu ein Handy hat. Die JVA-Bediensteten schlagen Alarm. Bei Durchsuchungen wird das dazu gehörende Handy gefunden. Insider erzählen, es sei in einer Lampe versteckt gewesen.
Die Ermittler fürchten: Wenn sogar ein Haftneuling wie B. ein Handy hat, dürften langjährige Knast-Profis längst welche haben. Der Verdacht bestätigt sich. Die Käufer illegaler Handys werden intensiv verhört, manche fünf- oder sechsmal, erzählt der Brandstifter von Estenfeld Ende Februar seinem Anwalt Peter Möckesch. Ermittler versuchen ihn zu locken: Für Informationen würden sie bei seinem Prozess ein gutes Wort einlegen. Doch das bleibt nicht geheim. Als "Verräter" wird er von Mitgefangenen misshandelt, muss in die JVA Schweinfurt verlegt werden.
Ermittlung der Schmuggelrouten
Ein Bediensteter, der beim Schmuggel geholfen haben soll, kommt in Haft. Ein Profi, der wegen Drogenhandel mehr als zehn Jahre absitzen muss, soll einer der Drahtzieher des Handy-Handels sein. Die Ermittlungen laufen noch.
Ein Insider sagt zum Schmuggel verbotener Waren:Zeitweise habe das Personal jeden Morgen die Innenhöfe des Gefängnisses abgesucht. Offenbar ging man davon aus, dass über Nacht Päckchen über die Mauer geworfen wurden. Die Schilderungen eines Angeklagten vor Gericht lassen auch den Schluss zu, dass Angehörige von Gefangenen bei ihren Besuchen versteckte Päckchen mitbrachten. Andere Gefangene erzählen, dass Drogen und andere begehrte Waren - versteckt in Duschgeltuben, Getränkepackungen und Körperöffnungen von Häftlingen auf Urlaub - ihren Weg in die Zellen finden.
Hilfe durch bestechliche JVA-Bedienstete
Und immer wieder versuchten Kriminelle, die nicht gerade üppig bezahlten JVA-Bediensteten zu rekrutieren - entweder mit Bestechung oder(wie zuletzt in Aschaffenburg) mit Drohungen organisierter Krimineller gegen deren Familien. Dort wurden zwischen August 2014 und Februar 2015 insgesamt 43 Handys sichergestellt.
Auch in Heilbronn sitzt jetzt ein Aufpasser in einer jener Zellen, die er sonst für andere verschloss. Er wurde Anfang März 2019 zu drei Jahren Haft verurteilt. Denn seit vergangenem Sommer hat auch die Anstaltsleitung in Heilbronn ihr Handygate. Zu der Zeit, als in Würzburg Josef B. seine SIM-Karte aus der Kleidung fällt, wird im Heilbronner Knast ein Vollzugsbeamter nach Dienstantritt festgenommen. Ermittler finden einen präparierten Tetrapack mit Drogen. Sechs weitere JVA-Bedienstete werden suspendiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere Häftlinge, ehemalige Haftinsassen und Personen aus ihrem Umfeld.
Tausende Handys in deutschen Knästen
"Mobiltelefone wurden immer mehr zum Problem in den Gefängnissen", sagen JVA-Mitarbeiter quer durch Deutschland. In den Berliner Haftanstalten wurden binnen fünf Jahren 4000 Handys gefunden, in den sechs Hamburger Gefängnissen allein im vergangenen Jahr 42 Messer und Klingen, 147 Handys und USB-Sticks, dazu jede Menge Drogen. In Gefängnissen in Nordrhein-Westfalen wurden 2018 annähernd 2000 Mobilfunkgeräte entdeckt, räumt Justizminister Peter Biesenbach (CDU) gegenüber dem Rechtsausschuss in Düsseldorf ein.
Die Gefängnisleitungen versuchen zu reagieren: mit überraschenden Kontrollen, mit Störsendern gegen Handyempfang und Fangnetzen gegen Würfe über die Mauer. Auch mit Spürhunden, die darauf abgerichtet sind, Mobiltelefone in ihren Verstecken zu erschnuppern.
In Würzburg laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Was Burkhard Pöpperl, Chef der Staatsanwaltschaft, wohl vor allem ärgert: Dass mutmaßliche Straftäter per Handy noch aus der Zelle heraus Einfluss nehmen könnten auf ihr laufendes Strafverfahren, Zeugen zu bestimmten Aussagen zu zwingen oder Versionen miteinander abstimmen. Dem will er einen Riegel vorschieben
Auf monatelange Nachforschungen folgten mehrere Festnahmen kurz vor Weihnachten und im Januar eine Razzia im Block der U-Häftlinge des Würzburger Gefängnisses. Eine ganze Kompanie von Ermittlern riegelte den Block ab, filzte die Zellen - und wurde dem Vernehmen nach fündig.
Der JVA-Bedienstete, der seinen Verdienst aufgebessert haben soll, wird zum eigenen Schutz in einer auswärtigen JVA eingesperrt. Er soll den Schmuggel teilweise gestanden haben. "Derzeit gibt es keine Anhaltspunkte für eine Beteiligung weiterer JVA-Bediensteter", sagt Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach. Auch Betrüger Josef B. gehört zu den Beschuldigten – genauso wie ein zu zehneinhalb Jahren verurteilter Rauschgifthändler, der eine Schlüsselfigur der Handyschmuggler sein soll.
Ob die Anstrengungen der Ermittler helfen? Trotz aller Bemühungen sind in einem Drittel der 36 Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen 2018 sogar mehr Handys gefunden worden als zuvor, sagt Justizminister Biesenbach. Er gesteht: Trotz zahlreicher Kontrollmaßnahmen werde es auch künftig nicht ganz zu vermeiden sein, dass Handys in Gefängnisse eingeschmuggelt werden.