
Nach sechs Verhandlungstagen setzt sich in diesem Mordprozess allmählich ein bizarres Puzzle zusammen: Vor dem Landgericht Würzburg wird eine fremde Parallelwelt innerhalb der türkischen Gemeinschaft in der Region sichtbar, von der kaum jemand - ob deutsch oder türkisch - weiß.
Im Verfahren um die Ermordung von Edip Saraç im Jahr 1999 geht es um Zocker, die nachts heimlich um schwindelerregende Beträge spielen. Um Geschäfte, die plötzlich den Inhaber wechseln, und Besitzer protziger Limousinen, die zu Bettlern werden. Es geht um Kredite aus dubiosen Quellen und rabiate Methoden des Geldeintreibens. Und mittendrin: der türkische Gastwirt, der den Kopf hinhält für Schulden eines Landsmannes. Und der vor den Augen seiner Gäste mitten im Lokal erschossen wird, als soll ein Exempel statuiert werden.
Verdächtigungen, Spekulationen, Gerüchte: Eine Parallelwelt tut sich auf
Gut 26 Jahre später sind manche tot, die einiges über den Fall sagen könnten. Zeugen haben verdächtig große Gedächtnislücken. Und doch werden im Laufe der Verhandlung am Landgericht Würzburg Verflechtungen sichtbar, die man kaum für möglich halten würde. Es wird über Rauschgift und Kontakte zur radikalen kurdischen Terrororganisation PKK getuschelt. Und über eine Familie, die angeblich von Sozialhilfe leben, aber bündelweise Geld verleihen und dann drohend zurückfordern soll.
Geheimnisvolle Zuträger, die zu ihrem Schutz vor Gericht nur VP 263 heißen, geben der Polizei offenbar bruchstückhaft Einblicke in die Szene, von Entführung und Folter im Wald ist die Rede. Zeugen zufolge soll Gastwirt Edip Saraç zuletzt in ständiger Angst gelebt haben. Und nach Drohungen soll der 55-Jährige seiner Familie gegenüber die Namen von drei Bekannten genannt haben, denen er einen Mord zutraute.
Geldverleiher und sein Sohn des gemeinschaftlichen Mordes angeklagt
Ein Vierteljahrhundert später sitzen ein 67-jähriger Landsmann und sein heute 49 Jahre alter Sohn wegen gemeinschaftlichen Mordes auf der Anklagebank. Zeugen sagen, der Geldverleiher habe monatelang immer stärker Druck auf den Wirt ausgeübt, weil ein Schuldner einen Kredit nicht zurückzahlte, für den Saraç gebürgt hatte. Am Ende standen laut Anklage die tödlichen Schüsse.
Den Verteidigern ist die These der Staatsanwaltschaft nicht einsichtig. Der bedrängte Wirt soll damals sogar erwogen haben, sein Ferienhaus in der Türkei zu verkaufen, um für die Schulden seines Freundes geradezustehen, sagen Zeugen. Jetzt gibt seine Witwe vor Gericht zu: Der Geldverleiher habe ihr damals sein Beileid ausgesprochen und versichert, er habe den "den Mord nicht befohlen".
Gericht geht nicht auf Entlastungsversuch des Angeklagten ein
Sein als Schütze angeklagter Sohn hat vor Gericht im Streit mit der Familie des Wirts unvermittelt den Namen eines Landsmanns genannt. Ein Ablenkungsmanöver? Das Gericht reagiert auffallend gelassen. Man sehe keinen Anlass, dieser Spur nachzugehen, sagt der Vorsitzende Richter Thomas Schuster. Er weiß aus den Akten, was dann ein Zeuge bestätigt: Der Mann, auf den der Angeklagte verwies, hat ein Alibi. Er war zur Tatzeit bei der Arbeit in seinem Laden gesehen worden.
Es ist schon der zweite gescheiterte Entlastungsversuch, mit dem sich der Sohn des Geldverleihers aus dem Fokus bringen will. Nach dem Mord war der damals 23-Jährige schnell unter Verdacht geraten, weil der Wirt ihn zwei Tage zuvor nach dem Drohanruf angezeigt hatte. Zur Tatzeit will der Beschuldigte aber bei einer Freundin gewesen sein.
25 Jahre lang ein Alibi: Plötzlich durch Schwester infrage gestellt
Ihr Alibi schützte den Angeklagten 25 Jahre lang - bis eine Schwester von ihm in einem Erbstreit im vergangenen Jahr behauptete, es sei falsch gewesen. Sie soll inzwischen vehement unter Druck gesetzt werden, diese Aussage zu widerrufen, heißt es in Ermittlerkreisen.
Bleibt die Schwester im Zeugenstand vor Gericht bei ihrer Angabe, hat Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach gute Aussichten, dass es zu einer Verurteilung kommt. Auch, weil ein Zellengenosse des 49-Jährigen als Kronzeuge aussagen soll. Der mutmaßliche Schütze soll ihm in der Untersuchungshaft die Tat gestanden haben.
Viele weitere Verhandlungstermine sind angesetzt. Mit einem Urteil wird im August gerechnet.