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Würzburg
Erdbeben vor 110 Jahren: Als in Würzburg die Gebäude zitterten
Am 16. November 1911 bebte in Würzburg einige Sekunden lang die Erde: Fenster klirrten, Lampen wackelten und Menschen wurden mit Schrecken aus dem Schlaf gerissen.
Gebäude wanken und Menschen können sich kaum auf den Beinen halten: Diese Karikatur überzeichnete die Ereignisse des 16. November 1911 in Würzburg stark. Doch mehrere Sekunden lang bebte die Erde tatsächlich.
Foto: Sammlung Alexander Kraus | Gebäude wanken und Menschen können sich kaum auf den Beinen halten: Diese Karikatur überzeichnete die Ereignisse des 16. November 1911 in Würzburg stark. Doch mehrere Sekunden lang bebte die Erde tatsächlich.
Roland Flade
 |  aktualisiert: 08.02.2024 19:37 Uhr

Die Zeichnung atmet Chaos und Aufruhr: Ein Mann und eine Frau können sich kaum auf den Beinen halten, eine Katze springt wild herum, Menschen laufen in Panik auf der Domstraße kreuz und quer durcheinander, während der Turm des Grafeneckart bedenklich schwankt, ebenso wie die Wohnhäuser daneben.

Die Karikatur "Erdbeben in Würzburg in der Nacht des 16. Nov. 1911", herausgegeben von der Würzburger Ortsgruppe des Verbands deutscher Papier- und Schreibwarenhändler, dramatisierte das Ereignis über Gebühr. Aber dass in jener Novembernacht viele Bürgerinnen und Bürger ob des ungewohnten Geschehens in Panik auf die Straßen rannten, ist eine Tatsache.

Die Menschen waren verunsichert, als vor 110 Jahren in Würzburg die Erde "wankte"

Das Beben begann um 22.26 Uhr an einem ansonsten unspektakulären Donnerstag und dauerte – je nach Region – nur sechs bis acht Sekunden. Bereits am folgenden Tag berichtete der Würzburger General-Anzeiger (WGA), der damals am Nachmittag erschien, von der Schrecken auslösenden "Erdwankung". Überall "vernahm man in der Häusern ein Knistern in den Wänden und Möbeln". Kleinere Gegenstände auf Tisch und Kommode, Blumentöpfe und Lampen hätten gewackelt und die Menschen verunsichert.

Der WGA zitierte einen Bahnbeamten, der in seiner Station überrascht wurde. "Ich hatte gerade Nachtdienst und saß an meinem Arbeitstisch", berichtete er dem Blatt, "als plötzlich das ganze Stationsgebäude derart erschüttert wurde, dass das Gebäude zitterte und die Fenster klirrten." Das Beben sei so stark gewesen, dass die Bewohner des Hauses, "die schon in tiefem Schlafe gelegen waren, teilweise mit Schrecken erwachten".

Das Erdbeben ließ in der ganzen Region die Wände zittern

In Kitzingen, Schweinfurt und Aschaffenburg sowie in vielen Dörfern Frankens habe man das Naturereignis "in ähnlicher Weise wahrgenommen", schrieb der WGA. In Karlstadt seien sogar Ziegel von den Dächern gefallen. Berichte über Verletzte gab es jedoch nicht.

Das Erdbeben vom 16. November 1911, das eine Stärke von bis zu 5,8 erreichte, war von Braunschweig bis in die Toskana spürbar. Als sein Epizentrum gilt Albstadt auf der Schwäbischen Alb, etwa auf halbem Weg zwischen Stuttgart und dem Bodensee. Die Schwäbische Alb liegt auf der sogenannten "Süddeutschen Großscholle" mit einheitlicher geologischer Struktur und zahlreichen Bruchflächen. Die Spannungen in der Erdkruste führten zu dem Beben von 1911 und mehreren späteren, unter anderem in den Jahren 1943 und 1976. 

Je dunkler die Braunfärbung, desto deutlicher war das Erdbeben in Franken zu spüren. Die Karte, von der hier ein Ausschnitt zu sehen ist, wurde 1925 in Jena in dem Buch „Das mitteleuropäische Erdbeben vom 16. November 1911“ veröffentlicht.
Foto: Repro Roland Flade | Je dunkler die Braunfärbung, desto deutlicher war das Erdbeben in Franken zu spüren. Die Karte, von der hier ein Ausschnitt zu sehen ist, wurde 1925 in Jena in dem Buch „Das mitteleuropäische Erdbeben vom 16.

In Stuttgart brach am 16. November 1911 laut General-Anzeiger eine Panik aus, die noch wesentlich größer war als in Franken. In Konstanz war die Turmspitze des Münsters geköpft und zwei fünf Meter hohe und 20 Zentner schwere Sandsteinfiguren waren vom Dach des Reichspostgebäudes auf die Straße gestürzt. Verletzt wurde auch hier zum Glück niemand.

Spektakuläres Naturschauspiel in Folge des Bebens: Feuerstrahl und Lichtkugel

Ein spektakuläres Naturschauspiel zeigte sich in Königshofen bei Tauberbischofsheim während der zwei Stöße des Bebens. "Beim ersten Stoß wurde ein großer Feuerstrahl gesehen", heißt es in einem 1925 erschienenen wissenschaftlichen Werk über das Erdbeben. "Beim zweiten Stoß ging ein Feuerstrahl in Form einer Kugel aus dem Boden in der Nähe der Kirche und Kleinkinderschule und begab sich in die Luft, wo der erste Feuerstrahl noch sichtbar war, vereinigte sich mit diesem und verschwand in der Richtung gegen Würzburg."

Tatsächlich können, wie es damals geschah, Erdbeben mit solchen Lichtphänomenen einhergehen. Dies geschah auch in Albstadt und Umgebung und wurde in insgesamt 110 Berichten festgehalten. Mehrmals war dabei, wie im Fall von Königshofen, von einer Lichtkugel die Rede. Wissenschaftler vermuten heute, dass sich unter großer mechanischer Spannung vor oder während der Erdstöße elektrische Ladung aufbaut und entlang von Bruchflächen an die Oberfläche steigt, dort Luftmoleküle auflädt und solche Erscheinungen hervorruft.

In Würzburg wurde das Beben lauf WGA auf den Straßen und in Gasthäusern, die offenbar nach dem ersten Schock wieder als sicher galten, eifrig diskutiert. Die Verunsicherung freilich blieb noch eine Weile, denn wer konnte schon wissen, ob nicht ein Nachbeben oder später weitere Erdstöße zu erwarten waren.

Angst in Würzburg vor weiteren Beben

Der General-Anzeiger fasste am Samstag, 18. November, diese Angst in Worte. "Erdbeben" sei bislang "ein papierner Begriff" gewesen, doch dies sei seit Donnerstag anders: "Seit dieser Nacht kennen wir etwas von diesem Gefühl, das die Menschen packt, wenn das, was ihm als das Sicherste erschien, der Erdboden, plötzlich zu wanken anfängt", schrieb der WGA. Die Menschen in Franken seien "bisher so sicher gewesen in der Überzeugung, dass wir fern von den großen Schüttergebieten leben". Die vorgestrige Nacht habe "diese Überzeugung schwankend gemacht".

Jetzt, so die Zeitung weiter, sei es gut "wenn wieder Beruhigung in die aufgeregten Gemüter einzieht". Der folgende Rat erscheint 110 Jahre später unfreiwillig komisch. Denn, so empfahl der Autor des General-Anzeigers, sicher ein Mann: "Das männliche Element gelassener Selbstbeherrschung und innerlicher Sicherheit muss wieder die Oberhand gewinnen."

Es sei kaum anzunehmen, "dass sich die Ereignisse in größerem Umfang wiederholen", versicherte die Zeitung. Entsprechende Prophezeiungen seien "sämtlich als Ausfluss nervöser Überreizung abzuweisen". Tatsächlich gab es in Franken kein solch schweres Beben mehr.

 
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