
Es war ein ungewöhnlicher Prozessauftakt im Landgericht Würzburg gegen eine Erzieherin wegen Misshandlung Schutzbefohlener durch ein "ausgeklügeltes Bestrafungssystem". Bevor sich die von zwei Verteidigern flankierte Angeklagte – ein dritter Anwalt war verhindert – zur Sache äußert, wolle die 53-Jährige erst einmal hören, was das inzwischen 19 Jahre alte Opfer im Zeugenstand aussagt, hieß es. Doch soweit kam es dann erst gar nicht.
Mit oder ohne Bewährung?
Die Frau war Pflegemutter für einen Buben, den ihr das Jugendamt der Stadt Würzburg anvertraut hatte. Der war acht Jahre alt, als er zu ihr in den Landkreis Main-Spessart kam; seine Eltern hatte er durch einen Verkehrsunfall verloren.
Die Verhandlung war bereits die vierte Prozess-Runde. Mit den "erzieherischen Strafmaßnahmen" der Frau, die früher einen Kindergarten im Landkreis Main-Spessart geleitet hatte, hatten sich schon das Schöffengericht Gemünden, das Landgericht Würzburg und zuletzt das Bayerische Oberste Landesgericht als Revisionsinstanz beschäftigt. Letzteres hatte das Verfahren nach Würzburg zurück verwiesen. In Gemünden war die Frau zuvor zu einer Freiheitsstrafe ohne, in Würzburg zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt worden. Nun geht es noch um die Frage, ob die Frau tatsächlich ins Gefängnis muss oder nicht – das Strafmaß von einem Jahr und sechs Monaten ist bereits rechtskräftig.
Opfer musste laufenden Wasserhahn in den Mund nehmen
Zu den zahlreichen Strafmaßnahmen der einstigen Erzieherin gehörte unter anderem das Übernachten im Keller – eingeschlossen, ohne Decke und Matratze. Außerdem musste sich der Junge "kalt duschen" bis er einen Diebstahl gebeichtet hatte; währenddessen saß die Erzieherin mit einem Buch auf einem Stuhl vor der Wanne. So steht es in den Akten.
Und es gab eine Bestrafungsvariante am Waschbecken, bei der das Opfer den Wasserhahn in den Mund nehmen musste und beim Aufdrehen befürchtete, zu ertrinken. Als die Frau dem Pflegekind einmal 100 Ohrfeigen "am Stück" ankündigte, habe sie nach Erinnerung des Zeugen laut mitgezählt – nach etwa 50 Ohrfeigen die Bestrafung aber abgebrochen, weil das Telefon klingelte.
Erzieherin streitet Schuld ab
Wenn die Angeklagte Strafaussetzung zur Bewährung wolle, müsse sie, so die Vorsitzende Richterin Susanne Krischker, Umstände nennen, die ein Entgegenkommen rechtfertigen. Die Angeklagte entgegnete, schuld seien in dem Fall viele, das Verhältnis zu ihrem Pflegekind umschrieb sei gut gewesen: "Wir waren ein Herz und eine Seele." Was ihr vorgeworfen wird, habe sie nicht gemacht.
Außerdem wies die 53-Jährige auf die Folgen für sie hin: Von ihrer privaten Altersversorgung habe sie bereits um die 30 000 Euro für Anwaltskosten ausgegeben und werde eines Tages mit einer Rente von 800 bis 900 Euro leben müssen. Inzwischen arbeitet die einstige Erzieherin in Teilzeit an einer Supermarkt-Kasse.
Angeklagte wittert Komplott
Das Gericht hielt nach der so nicht erwarteten Einlassung eine psychiatrische Begutachtung für "dringend erforderlich" und brach die Verhandlung ab. Man habe eine "Auseinandersetzung" mit den inzwischen rechtskräftig verurteilten Taten erwartet, dass der Erzieherin leid tue, was sie gemacht hat. Stattdessen wurde ein von ihr in Auftrag gegebenes Privat-Gutachten vorgelegt und zwar zur Glaubwürdigkeit des damaligen Pflegekindes – als Beleg "für ein Komplott" gegen sie.
Die Verhandlung wird frühestens Ende 2021 fortgesetzt.
Wird so etwas eigentlich beim Strafmaß berücksichtigt? Allein aufgrund ihres Berufs hätte so etwas niemals geschehen dürfen!
Das wirft Fragen auf: wie kann eine solche Person jemals als "Pflegemutter" für Kinder überhaupt nur in Betracht gezogen werden?
Da ich selbst seit inzwischen 2004 als Vater mit dem Jugendamt Würzburg zu tun habe und die Erfahrung gemacht habe, dass keinerlei Selbstreflexion bezüglich des eigenen Handelns und der folgenreichen Fehlleistungen besteht - im Gegenteil immer wieder die gleichen Fehler wiederholt werden - sehe ich hier erheblichen Aufklärungsbedarf.
Der Fall hier zeigt doch, dass es mit der Menschenkenntnis bei dieser Behörde generell nicht weit her ist.
Anfragen werden nicht beantwortet, das "Kindeswohl" wird zum Spielball zwischen Behörde und überlasteten Dritten.
Und ein Kind, das in diese Mühlen gerät, hat offenbar erst eine Stimme, wenn es alt genug ist - wie dieser skandalöse Fall hier zeigt.
M.Deeg
Polizeibeamter a.D.