
- Was ist zu sehen? Das Werk einer vielseitigen Künstlerin, die als Dadaistin gilt, sich aber nie auf eine Stilrichtung festlegen ließ. Expressionistin, Surrealistin, Konstruktivistin, Avantgardekünstlerin – mit über 100 Bildern wird die ganze Schaffensbreite von Hannah Höch (1889-1978) gezeigt.
- Was ist das Besondere? Abermillionen Anschauungen! Der Titel der neuen Ausstellung verspricht nicht zu viel. Da wird man bis September öfter hingehen können und jedes Mal neue Details, neue Blickwinkel entdecken.
- Wer sollte da hin? Unbedingt alle, die von Hannah Höch noch nie gehört haben und die diese Künstlerin nicht kennen. Und alle die Hannah Höch zu kennen glauben. Sie werden sich wundern.
Ist es vielleicht eine glückliche Fügung, dass ausgerechnet ihre berühmte Fotomontage jetzt nicht hier hängt, im Würzburger Kulturspeicher? Sondern dass Hannah Höchs bekannte Arbeit gerade in der wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie in Berlin präsentiert wird, als ein Highlight der Sammlung neben Grosz, Penck und Picasso? Im "Schnitt mit dem Küchenmesser durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands" hatte Höch 1919/20 das Chaos der Zeit als dadaistisches Kaleidoskop der Prominenz montiert. 50 Köpfe oder kopflose Leute aus Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft samt kriegslüsternem Militär. Verzerrt und entstellt und verfremdet oder die Körper vertauscht.
Die Dadaistin, die so viel mehr ist als nur Dada-Ikone
Doch der Küchenmesser-Schnitt ist als Stolz der Nationalgalerie in Berlin geblieben. Und das ist gut. Denn so können sich in der neuen Ausstellung im Kulturspeicher die Blicke ganz frei und offen auf Hannah Höch richten. Und nicht nur auf eine herausragende Arbeit – sondern auf das ganze, vielfältige und so facettenreiche Werk jener Avantgarde-Künstlerin, die durch und mit Dada bekannt und berühmt wurde. Und doch so viel mehr ist als allein Collage-Künstlerin, Dadaistin, ja Dada-Ikone.
"Abermillionen Anschauungen" - eine Zusammenarbeit mit dem Bröhan-Museum Berlin
"Abermillionen Anschauungen" – so untertitelt will das Würzburger Museum in Zusammenarbeit mit dem Bröhan-Museum Berlin die gesamte, überraschenderweise weitgehend noch unbekannte Schaffensbreite von Hannah Höch zeigen. Ab diesem Samstag sind im Kulturspeicher über 100 Arbeiten aus dem Bildkosmos der großen Freidenkerin zu sehen.

Die Philosophie der 1889 in Gotha geborenen Künstlerin? Dass man die Welt immer wieder aus anderen Blickwinkeln betrachten muss, um sie zu verstehen. Und so will die Ausstellung, wollen Museumsdirektorin Luisa Heese und die Kuratorin Ellen Maurer Zilioli Höch auch zeigen. Und so beginnt der teils chronologische, teils thematische Gang durch den Kosmos mit der Surrealistin, Expressionistin, Konstruktivistin. Anders als viele Avantgardekünstler hatte Höch sich nie endgültig von der Gegenständlichkeit abgewandt. Und nie hatte sie Abstraktion für das "Alleinseligmachende" gehalten. Höch, sagt Ellen Maurer Zilioli, sei immer "kalkuliert innerhalb der Moderne vagabundiert". Und vor allem: "Sie hat immer ihr Ding gemacht."
Eine Malerin, die "immer ihr Ding" gemacht hat
Immer ihr Ding – facettenreich, heterogen, divers. Hier eine aus Kreisen und Kreissegmenten zusammengesetzte "Collage mit Pfeil" (1919), da eine lichtdurchflutete, Priester und Palmen zeigende Ansicht von "Rom" (1921), wohin Höch zu Fuß gewandert war. Dort ein futuristisch anmutendes Gemälde "Mensch und Maschine" (1921) neben der karikaturhaften Collage eines großäugigen "Melancholikers" (1925). "am liebsten würde ich der welt heute demonstrieren, wie sie eine biene und morgen, wie der mond sie sieht, und dann, wie viele andere geschöpfe sie sehen mögen", hat Höch – in konsequenter Kleinschreibung – einmal festgehalten.

Eines der stärksten, eindrücklichsten Bilder dieser Retrospektive ist ein Selbstporträt aus dem Jahr 1937. Da blickt Höch dem Betrachter, der Betrachterin direkt in die Augen. Bekleidet mit einem Malerkittel, in der Hand Pinsel und Palette. Die Botschaft lautet: Ich bin, ich bleibe eine Malerin.
Auch in jener dunklen Zeit, als ihre Kunst als "entartet" galt. Als sie für die Schublade arbeitete. Augen waren schon zuvor allgegenwärtig in ihren Werken, jetzt – im Nationalsozialismus – kamen Masken dazu. Bedrohlich, gefährlich. Als unangepasste Künstlerin musste Höch sich vor Denunzianten hüten. Schon 1931 in der Collage "Flucht" hatte sie ein Mischwesen aus Frau und Affe mit weitausholenden Schritten vor einem diabolischen Schwan fliehen lassen.
"Ich war zu keiner Zeit links oder rechts, ich war immer weltbetrachtend", hat Höch später im Rückblick selbst gesagt. Sie besaß eine umfangreiche philosophische Bibliothek mit Büchern von Nietzsche bis Spinoza, baute im eigenen Garten – auch um etwas zu essen zu haben – Gemüse an. Interessierte sich fürs Kino, Astrologie, Natur (die bei ihr nie lieblich oder idyllisch war, sondern immer mehr bedrohlich), Ausdruckstanz – und begeisterte sich gegen Ende ihres Lebens für die Raumfahrt.
Abermillionen Anschauungen – und Material für viele Besuche im Würzburger Kulturspeicher
Manche ihrer Werke wirken selbst wie Science-Fiction. Die "Symbolische Landschaft III" (1930) zeigt eine lebensfeindliche, rotglühende Wüste, in der stachelige Pflanzen aufragen. Im Vordergrund eine puppenhafte Frau, deren Bauch zwei Babys entsteigen. Das Gemälde erinnert an die wuchernden Phantasielandschaften von Max Ernst, in dem Hannah Höch einen "Seelenverwandten" sah.

Die Ausstellung im Würzburger Kulturspeicher läuft bis Anfang September. Wer diese bemerkenswerte Künstlerin in all ihrer Vielfalt erkennen will, wird öfter vorbei kommen können und müssen – und jedes Mal etwas Neues finden und entdecken.
Die Ausstellung: "Hannah Höch. Abermillionen Anschauungen" im Kulturspeicher Würzburg, Oskar-Laredo-Platz 1, bis 4. September. Öffnungszeiten: Di 13-18 Uhr, Mi 11-18 Uhr, Do 11-19 Uhr, Fr/Sa/So 11-18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, Wienand Verlag, 264 Seiten, an der Museumskasse erhältlich für 28 Euro. Infos unter www.kulturspeicher.de