- Was ist das für ein Stück? "Emilia Galotti" von Gotthold Ephraim Lessing, uraufgeführt 1792, ist ein bürgerliches Trauerspiel. Die Gattung ist typisch für die Zeit der Aufklärung, thematisiert wird der Gegensatz zwischen Adel und Bürgertum, das Ende ist immer tragisch.
- Worum geht's? Der Prinz von Guastalla hat sich in die Bürgerliche Emilia Galotti verliebt, doch die will den Grafen Appiani heiraten. Marinelli, Kammerherr des Prinzen, beseitigt Appiani und lässt Emilia entführen, die Intrige gerät allerdings völlig außer Kontrolle.
- Wie ist es umgesetzt? Regisseurin Sigrid Herzog hat die Handlung auf eindreiviertel pausenlose Stunden eingedampft. Das Tempo ist hoch, die Figuren sind scharf gezeichnet. Das Ende bleibt schwer zu verdauen – Stoff zum Nachdenken gibt es jedenfalls genug.
Das Ensemble betritt die Bühne in einer Art Schreittanz, irgendwo zwischen Tai-Chi und Gebärdensprache. Als würden alle Figuren vom gleichen altertümlichen kybernetischen Programm gesteuert. Wie Automaten aus der Frühzeit der Mechanik. Ein skurriler Regieeinfall auf den ersten Blick. Auf den zweiten eine starke Parabel auf die Gesellschaft, in der Emilia Galotti, ihr Verlobter, ihre Familie, aber auch der Prinz und sein Kammerherr gefangen sind.
Sigrid Herzog hat Lessings bürgerliches Trauerspiel "Emilia Galotti" für das Mainfranken Theater um einige Figuren verschlankt und auf eindreiviertel pausenlose Stunden eingedampft. Sie und Marcel Keller (auch Kostüme) gliedern den leeren Bühnenraum im neuen Kleinen Haus mit einer riesigen drehbaren Wand, die rasante Szenenwechsel erlaubt und dennoch immer wieder verblüffend intime Räume entstehen lässt.
Leonard Pfeiffer gibt den Prinzen als unglaublich charismatischen Mega-Narzissten
Links, auf einem bunten runden Teppich, ein Stuhl und eine Gitarre. Hier zelebriert der Prinz in Singer-Songwriter-Manier seine Anbetung für Emilia Galotti. Leonard Pfeiffer gibt ihn fast unverschämt lässig als unglaublich charismatischen Mega-Narzissten, der bei aller Verliebtheit doch nur ein Zentrum des Universums kennt: sich selbst. Vorgebliche Verletzlichkeit, welpenhafter Charme, unstillbare Gier und selbstvergessenes Machtbewusstsein wechseln sich bei Pfeiffer ab wie in einem mehrdimensionalen Vexierbild. Meisterhaft.
Kein Wunder, dass Emilia dem nichts entgegenzusetzen hat. Zumal das Begehren schon nach der eigentlich übergriffigen Begegnung in der Kirche in ihren Augen flackert, da müsste Pippa Fee Rupperti gar nicht so demonstrativ das züchtige Schulmädchen-Kleid raffen. Als sie wenig später den Prinzen gar in eindeutiger Absicht zu Boden wirft, scheint das kybernetische Programm zu stocken. Es braucht allerdings nur wenige Drehungen der großen Wand, also wenige Wendungen der Handlung, um die Hoffnung zu widerlegen, dass sich die festgeschriebenen Dominanzalgorithmen so einfach aushebeln lassen.
Sarkasmus als Überlebensstrategie empfindsamer Menschen in einer Welt ohne Geist
Dafür sorgt allein schon des Prinzen Handlanger Marinelli. Martin Liema spielt ihn glatzköpfig, hinterhältig und ganz in Schwarz als geborenen, also adligen, Agenten des Ancien Régime – dem bürgerlichen Trotz der Galottis und der biederen, ja anbiedernden Rechtschaffenheit des Grafen Appiani (Florian Innerebner) setzt er intellektuelle Schärfe, lakonischen Witz und nahezu unbegrenzte Skrupellosigkeit entgegen.
Er findet eigentlich nur in des Prinzen Ex-Geliebter Orsina ein halbwegs ebenbürtiges Gegenüber. Johanna Meinhard macht diese Orsina zum bannenden Erlebnis. Ihr brillanter Sarkasmus ("wundert sich das Gehirnchen?") ist das, was brillanter Sarkasmus fast immer ist: die Überlebensstrategie wahrhaft empfindsamer Menschen in einer Welt ohne Geist und vor allem ohne Mitgefühl.
Auch Emilias Eltern zeichnet Sigrid Herzog sorgfältig und schlüssig: Nicole Kersten ist eine scharfsinnig liebende Mutter, Hannes Berg ein cholerisch engherziger Moralist. Seine Verachtung für die Zügellosigkeit des Adels bricht sich in absurd vorsintflutlicher Sittenstrenge Bahn.
Selbstbestimmung ist hier für niemanden vorgesehen. Und Liebe schon gar nicht. Der Algorithmus fängt am Ende alle wieder ein. Auch Emilia, wenn auch auf drastischst mögliche Weise. Ihr Rückfall, wenn man so will, von der selbstbewusst-sinnlichen Frau zum schuldbefleckten gefallenen Mädchen, ist schwer zu verstehen und schwer auszuhalten. Ihr Tod wirkt eher wie ein schwerer Ausnahmefehler im Programm. Was er – historisch betrachtet – vermutlich leider nicht ist.
Langer Applaus und Jubel am Premierenabend am Samstag für das Regieteam, vor allem aber für ein fabelhaftes Ensemble.
Weitere Vorstellungen: 25., 29. Februar, 1., 7., 30. März, 5., 9. April, 4., 18., 29. Mai, 3. Juli. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de