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Der mechanische Mensch - Mainfränkisches Museum
Automaten: Maschinen in Menschengestalt machten einst Furore. Sie sind technische Meisterwerke und Zeugnisse eines Weltbildes, in dem alles festgelegt ist. Dem begegnet eine Würzburgerin mit Ironie.
Ralph Heringlehner
Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 04.01.2015 16:48 Uhr

Eine Frau kreischt auf, Männer halten den Atem an, starren verblüfft: Die Puppe – „ihr Arm zuckte, hielt an, zuckte wieder“ – beginnt zu schreiben! Henri Maillardet führt seinen mechanischen Menschen vor. Die Szene hat so zwar nie stattgefunden, ist lediglich der Fantasie von Lawrence Norfolk entsprungen, der in seinem Roman „Lemprieres Wörterbuch“ dem Schreibautomaten ein Kapitel gewidmet hat. Der Androide des Schweizer Uhrmachers aber ist Wirklichkeit. Das historische Museum im Schweizerischen Neuchâtel zeigt drei der mechanischen Kunstwerke, an denen Maillardet mitkonstruierte – allesamt funktionstüchtig.

Henri Maillardet (1745 bis 1830) war Zeitgenosse des Mathematikers, Physikers und Philosophen Pierre-Simon Laplace. Der hielt schlichtweg alles für berechenbar. Würde ein fiktiver Dämon alle Gegebenheiten im Universum kennen, könnte er die Zukunft berechnen, glaubte er. Wie viele Intellektuelle jener Zeit sah Laplace das Weltgefüge als Uhrwerk. Einmal aufgezogen, läuft es ab. Unveränderbar, also vorhersagbar. Wer weiß, wie die Rädchen ineinandergreifen, weiß auch, wie sich die Zeiger bewegen.

In diesem immensen Mechanismus ist jeder Mensch ein winziges Rädchen, das so funktionieren muss, wie es eingebaut wurde. Freier Wille? Bloße Einbildung! Dass die Blütezeit des Baus von menschenähnlichen Automaten in die Epoche von Laplace fiel, ist Ausdruck damaliger Weltanschauung: Einmal aufgezogen, funktioniert der Automat wie vom Konstrukteur vorgesehen. Gewissermaßen wie ein Universum im Kleinen.

Der Automatenwahn trieb seltsame Blüten. In den 1770er Jahren machte ein mechanischer Schachspieler Furore. Der sogenannte Türke (die Figur war orientalisch gekleidet) gewann mehrere Partien, wurde an Königshöfen vorgeführt, soll sogar Friedrich den Großen schachmatt gesetzt haben. Die Maschine reagierte auf die Züge der Gegner, als sei Denken ein rein mechanischer Vorgang, für den es nur eine bestimmte Anordnung von Maschinenteilen braucht. Allerdings stellte sich heraus, dass sich in dem Kasten ein kleiner Mensch verbarg, der die Figur bediente. Gehirne funktionieren halt doch nicht wie Räderwerke . . .

Auch Musikautomaten hatten Konjunktur. Der Augustinerpater und Orgelbauer Marie Dominique Joseph Engramelle (1727 bis 1805) wollte mit einer Maschine den Organisten in der Kirche ersetzen. Auch hier setzte sich der echte Mensch durch. Und im Deutschen Museum München ist ein historischer Maschinenmensch als Trompeter zu sehen.

Der Dämon hat ausgespielt

Ein Trompeter mit Räderwerk statt Herz und Hirn steht derzeit auch in einer Vitrine des Mainfränkischen Museums Würzburg. Barbara Lenz, die dort ihre Fabelwesen zeigt (siehe Kasten), schließt mit der 30 Zentimeter großen Figur an Maschinen des 18. und 19. Jahrhunderts an – über einen kleinen Umweg: Vorbild für den „Trompetenengel“ war ein Bild ihres Vaters Wolfgang Lenz, der wiederum von einem mechanischen Musiker im Deutschen Museum und dessen surrealer Ausstrahlung angeregt war.

Als ausgebildete Feinmechanikerin ist Barbara Lenz generell beeindruckt von den Konstrukteuren des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und ihren noch heute erstaunlichen Maschinen. Die 49-Jährige sieht sich durchaus in der Tradition der alten Musikautomatenmacher. Viele ihrer Figuren können sich, mit Spieluhr-Werken verbunden und angetrieben von einem Aufziehwerk, bewegen – in vorherbestimmten Bahnen, ganz wie die alten Automaten. So gesehen schlummert der Laplace'sche Dämon auch in den Lenz'schen Skulpturen.

Der Trompetenbläser mit seiner sichtbaren und nicht funktionsfähigen Mechanik ist eine Ausnahme im Schaffen der Künstlerin: Normalerweise versteckt sie funktionierende Mechaniken in den Körpern ihrer Fabelwesen, und: Meist haben ihre Figuren keine menschlichen Gesichter, sondern Tier- oder eben Fabelwesenköpfe. Damit dreht Barbara Lenz dem mechanistischen Dämon des Herrn Laplace eine Nase, ironisiert den Wahn vom künstlichen Menschen, vielleicht sogar das Treiben auf der Welt ganz generell. Bisweilen steckt auch ein barockes „Memento mori“ in den Figuren – die Erinnerung daran, dass wir alle sterblich sind. Auch da ist Barbare Lenz, kreativ und ganz locker, mit der Tradition auf Tuchfühlung.

Die dunkle Seite der Mechanik war schon für E. T. A. Hoffmann (1776 bis 1822) ein Thema. In der Erzählung „Der Sandmann“, einem Meisterwerk der dunklen Romantik, verliebt sich ein junger Schwärmer in die schöne Olimpia – doch die ist eine Maschine: „Stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge.“ Der junge Mann wird verrückt und stürzt sich in einer alptraumhaften Szene vom Ratsturm einer namenlosen Stadt in den Tod.

Die Quantenphysik des 20. Jahrhunderts machte dem Laplace'schen Dämon dann wissenschaftlich fundiert den Garaus. Denn in der subatomaren Welt regieren ganz eigenartige Gesetze: Teilchen sind prinzipiell unberechenbar. Doch aus ihnen besteht alles, was wir sehen – und eben nicht aus Uhrwerkzahnrädchen, deren Bewegungen sich vorhersagen lassen.

Barbara Lenz im Museum

Im Mainfränkischen Museum Würzburg sind in einer Sonderausstellung 65 fabelhafte Wesen von Barbara Lenz zu sehen. Da ist Lust am Spiel zu spüren, Freude an der aufwendigen, bis ins Detail verfeinerten Form und Spaß an der Persiflage. Tierköpfe sitzen auf menschlichen Körpern. Krokolaus, Schneekatze, Eiskönig und Konsorten summieren sich zu einem mal witzigen, mal dämonischen Panoptikum.

Die Figuren sind etwa 30 Zentimeter groß und bestehen hauptsächlich aus organischen Materialien. Die Oberflächen sind kunstvoll aus Federn gestaltet. Viele der Fabelwesen hat die Würzburgerin mit Mechanismen versehen: Sie können sich bewegen, Drachen spucken Rauch, eine Figur lässt Seifenblasen aufsteigen. Der Ausstellungsbesucher kann das auf Computerbildschirmen sehen und hören.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-16 Uhr. Bis 1. März 2015.

 
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