Man möchte noch zuhause wohnen, aber nicht den ganzen Tag allein sein. Oder will die Angehörigen entlasten. Die Tagespflege ist für viele Seniorinnen und Senioren eine wertvolle Adresse. Doch wie sieht es aus in den Einrichtungen, die es fast in jedem größeren Ort gibt? Wer nutzt sie und wie läuft der Alltag?
Einblicke gewährt beispielhaft ein Besuch in der Tagespflege Kürnach im Landkreis Würzburg. 22 Plätze stehen hier, direkt am Seniorenzentrum, zur Verfügung. Träger ist die Caritas Sozialstation St. Gregor Fährbrück.
Was die Tagespflege älteren Menschen und ihren Angehörigen bringt
"Es ist doch niemand daheim!"– dieser Satz ist öfter zu hören von den "Gästen", wie Pflegedienstleiterin Sabina Joo ihre Klientel nennt. Für ihr Haus stört sie der Begriff "Pflege", er schaffe ein falsches Image. Zu "Gast" sein heißt für die 34-Jährige: Unter Leuten sein, Anschluss finden, miteinander reden oder singen, sich beschäftigen.
Die Einsamkeit der eigenen vier Wände überwinden, das ist ein Hauptmotiv für den Besuch der Tagespflege. Altenpflegerin Sabina Joo, die zusätzlich eine Ausbildung in Gerontopsychiatrie hat, ist überzeugt: Kommunikation und Begegnung wirken sich positiv aus, auch gegen die Entwicklung von Demenz. "Es geht um Förderung und Teilhabe, in der Tagespflege blühen die Leute auf", sagt Birgit Schuhmann, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Sozialstation.
Zweiter wichtiger Grund für eine Anmeldung: die Entlastung der Angehörigen zuhause. Viele, die sich um Partner oder Partnerin, die Mutter oder den Vater kümmern, müssen tagsüber arbeiten oder brauchen mal Auszeiten. Die Erleichterung sei groß, wenn sie ihre Liebsten in der Tagespflege versorgt wissen, sagt Schuhmann.
Einen stationären Heimplatz kann die Einrichtung allerdings nicht ersetzen, schon zeitlich nicht. Wie in Kürnach sind Tagespflegen normalerweise am Wochenende nicht geöffnet und sie haben keine Betten für schwerere Pflegefälle.
Sabina Joo freut sich, wenn Gäste nicht erst in weit fortgeschrittenem Alter und mit hohem Pflegegrad kommen: Je fitter, desto aktiver können sie noch am Gemeinschaftsleben teilnehmen. Der Altersdurchschnitt in Kürnach liegt derzeit bei rund 80 Jahren.
Welche Gäste in die Tagespflege kommen und wie sie sich fühlen
8 Uhr morgens, Fahrer Axel Holzbauer parkt seinen Kleinbus vor dem Eingang, hilft jedem einzelnen Fahrgast aus dem Wagen und begleitet alle ins Haus. Am Arm, mit dem Rollator oder im Rollstuhl. Von den 22 Gästen sind 18 Frauen – typisch für die Tagespflege. Die allermeisten kommen mit dem Fahrdienst, nur einzelne Gäste werden von Angehörigen gebracht. Gesundheitlich sind sie in höchst unterschiedlicher Verfassung.
Da ist die Rentnerin, die von Holzbauer gestützt noch selbst von der Wohnung zum Bus gehen kann und sich auf ihre "Clique" freut. Da ist die ältere Dame, die hinter der Haustür startklar im Rollstuhl auf den Fahrer wartet – vom Pflegedienst früh komplett vorbereitet.
Da ist die 85-Jährige aus der ukrainischen Flüchtlingsfamilie, die mit Gehgestell aus dem Haus tappt. "Ich gehe auf die Arbeit", murmelt die demente Seniorin, ihre Tochter übersetzt. Krieg und Flucht hätten ihrer Mutter sehr zugesetzt. Die Tochter ist dankbar, dass es in Deutschland diese Möglichkeit der Tagespflege gibt. "Sonst könnte ich nicht in der Bäckerei arbeiten und müsste zuhause bleiben."
Schließlich begleitet der Fahrer noch einen Mann aus dem Betreuten Wohnen im Seniorenzentrum, nur wenige Meter entfernt, in die Tagespflege. Die Demenz sieht man ihm nicht an – aber er könnte sich verirren.
Vergleichsweise rüstig ist die 82-jährige Ingrid Scheller aus dem benachbarten Unterpleichfeld. Die Witwe kommt jeden Tag in die Tagespflege, auch sie wäre sonst allein zuhause. "Daheim habe ich mich nicht mehr wohlgefühlt", sagt die Rentnerin. Hier treffe sie alte Bekannte aus dem Ort. "Es gefällt mir wirklich gut." Wie zum Beweis strahlt die Seniorin übers ganze Gesicht.
Und dann ist da noch das Liebespaar. Der 93-Jährige und die 82-Jährige, beide verwitwet, fanden in der Tagespflege zueinander und streifen nun innig händchenhaltend durch die Flure. Eine ganz besondere Bestätigung dafür, dass Menschen in der Tagespflege zusammenkommen.
Wie ein Tag in der Tagespflege abläuft
Ab 8 Uhr trudeln die Gäste ein, kurz vor neun sind alle da. Im Aufenthaltsraum ist am großen Tisch für das Frühstück gedeckt, Wünsche dafür werden abgefragt. Nach dem Essen liest Pflegehelferin Michaela Schafferhans der versammelten Runde interessante Texte aus der Zeitung vor. Laut, deutlich, vor allem mit Erklärungen dazu. Möglichst alle sollen etwas verstehen können.
Man duzt sich in dieser Tagespflege, "wir wollen eine familiäre Situation schaffen", sagt Leiterin Sabina Joo. Und gerade bei den dementen Gästen – immerhin gut zwei Drittel – sei der Zugang über die Vornamen leichter.
Pflegehelfer Nicolas Costello kommt mit einer Seniorin zurück, die gerade in der Sprudelwanne gebadet hat. Auch das ist hier möglich, für 35 Euro extra, wenn das Baden daheim zu schwierig wird. Der Personalschlüssel in Kürnach ist mit vier Pflegerinnen in Teilzeit und drei Pflegehelfern und -helferinnen vergleichsweise gut. Nach Terminvereinbarung mit ihren Patientinnen und Patienten kommen auch Ergotherapeuten, Krankengymnasten oder Fußpflegerinnen in die Tagespflege – oder Hausärzte. Die katholischen und evangelischen Pfarrer halten an bestimmten Tagen Gottesdienste.
9.45 Uhr, Zeit für die Sitzgymnastik: Am großen Tisch werden Oberkörper und Arme gestreckt. Wer im Rollstuhl sitzt oder schlecht ansprechbar ist, bekommt eine Handmassage. Um kurz vor zehn kommt Walter Knorz mit seiner Gitarre. Selbst schon 77, kaum zu glauben. "Musik hält jung", lacht Knorz. Der Rimparer ist einmal im Monat da, dann singen alle zusammen mit ihm bekannte Lieder von früher: Frankenlied, "Am Brunnen vor dem Tore" oder "Aloha he".
Nach dem Singen spielt Pflegehelferin Michaela Schafferhans mit einigen fitteren Senioren ein kleines Kartenquiz: "Wie heißt die Hauptstadt von Schweden?" Andere dösen etwas vor sich hin oder unterhalten sich. Kurz nach elf animiert Pflegehelfer Michael Schraud alle zu einer "Laufrunde". Bei schönem Wetter geht's nach draußen auf die Terrasse, heute zieht die kleine Rollatorenkarawane drinnen durch die Gänge.
Das Mittagessen liefert ein Cateringservice aus dem Nachbarort Estenfeld. Nachspeise und den Kuchen bereitet die Hauswirtschafterin in der Küche der Tagespflege jeden Tag selbst zu. Bis zum Kaffee am Nachmittag ist Ausruhen angesagt. Fast alle halten, verteilt in Liegestühlen, einen ausgiebigen Mittagschlaf. Die ukrainische Rentnerin unterhält sich versunken und leise auf Russisch mit einer anderen Frau.
Nach dem Kaffeetrinken gibt es noch Beschäftigungsangebote, oft wird gebastelt. Ab 16 Uhr fährt Axel Holzbauer die Gäste wieder nach Hause – oder sie werden abgeholt.
Warum es überhaupt noch freie Plätze in den Tagespflegen gibt
Gibt es ausreichende Angebote an Tagespflegen in Unterfranken? Laut Sonja Schwab, Leiterin des Bereichs Altenhilfe bei der Caritas Unterfranken, ist die Situation regional recht unterschiedlich. Tendenziell gebe es mittlerweile wieder mehr freie Plätze als vor der Pandemie. Auch in Kürnach und ihren anderen vier Tagespflegen kann die Sozialstation St. Gregor noch Leute aufnehmen.
Mancherorts wie zuletzt in Güntersleben (Lkr. Würzburg) droht sogar die Schließung von Einrichtungen, weil sie schlecht ausgelastet sind. Woran liegt das? Da seien zum einen Vorurteil und Hemmschwelle, klagt Sozialstation-Geschäftsführerin Schuhmann. "Viele denken, das sei nur eine Sache für Pflegefälle." Um Berührungsängste abzubauen, lädt die Kürnacher Einrichtung jeden ersten Mittwoch im Monat zum kostenlosen, offenen Seniorencafé ein. Auch Schnuppertage sind möglich. "Wir wollen zeigen, dass die Tagespflege auch etwas für fitte Senioren ist", sagt Leiterin Sabina Joo.
Der zweite Grund für ausbleibende Nachfrage: Die Sorge vor einer finanziellen Überforderung. Doch diese sei in der Regel unbegründet, so Joo. Leider wüssten viele nicht, dass die Pflegekasse auch Leistungen der Tagespflege übernimmt.
Was ein Platz in der Tagespflege kostet
Grundsätzlich können einzelne Tage gebucht werden, die Kosten hängen mit dem Pflegegrad zusammen. Je höher, desto teurer – aber desto mehr bezahlt auch die Pflegekasse für die Tagespflege. Vielfach würden Betroffene oder Angehörige von ihren Versicherungen darüber nicht richtig aufgeklärt, bedauert Joo.
Eine Beispielrechnung: Beim häufigen Pflegegrad 3 gibt es von der Kasse aktuell 1298 Euro monatlich für die Tagespflege. Nutzt jemand auch den Fahrdienst (Beispiel sechs Kilometer Entfernung) reicht das Geld der Pflegekasse in Kürnach für acht Tage pro Monat. Dazuzuzahlen wären nur 27 Euro monatlich. Bei zehn Tagen Tagespflege wären es 65 Euro, bei zwölf Tagen 103 Euro und für den ganzen Monat 789 Euro Zuzahlung.
Für diese Selbstkosten kann auch das Pflegegeld verwendet werden, das pflegende Angehörige generell erhalten – im Pflegegrad 3 sind das 545 Euro monatlich. Im konkreten Fall wären dann bei Vollversorgung an fünf Tagen pro Woche noch 244 Euro monatlich über die Rente oder Erspartes aufzubringen.
"Die meisten", sagt Birgit Schuhmann, "verbrauchen das, was sie über die Pflegekasse bekommen." Der geringere Teil zahle auf, um mehr Tage nutzen zu können. Die Kosten unterscheiden sich je nach Einrichtung, jede einzelne von ihnen muss über die Leistungen mit der Pflegekasse verhandeln. In jedem Fall sei es sinnvoll, sich von der Tagespflege vor Ort die genauen Kosten und Erstattungen ausrechnen zu lassen.
Tagespflege-Einrichtungen betreiben in Unterfranken die großen sozialen Träger wie Caritas, Arbeiterwohlfahrt oder Diakonie ebenso wie private Dienste. Welche Angebot es in einer Region gibt, ist im Internet über das Portal "www.pflegelotse.de" leicht herauszufinden.