Dass ein Komponist der Gegenwart Lieder zu einem Gedichtzyklus schreibt, der zuvor von einem der Stars der Romantik vertont wurde, ist eher selten. Der Münchner Komponist Wilhelm Killmayer (1927-2017) hat es gewagt - ausgerechnet mit Heinrich Heines "Dicherliebe", die in der Version von Robert Schumann zu den beliebtesten Werken der Gattung Kunstlied überhaupt gehört.
Die Matinee am Abschlusstag des fünften Festivals Lied Würzburg im Haus Ars Musica in Aub (Lkr. Würzburg) bot die noch seltenere Gelegenheit, beide Zyklen direkt miteinander zu vergleichen. Titel: "Dichterliebe 2.0". Killmayer machte den Anfang, Schumann den Abschluss, dazwischen die frühen Sechs Gesänge op. 3 von Johannes Brahms, sozusagen als Puffer auf dem Sprung von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit.
Der koreanische Tenor Tae Hwan Yun hat im vergangenen Jahr beim Wettbewerb "Das Lied" des Heidelberger Frühlings den ersten Preis gewonnen. Er ist ein gutes Beispiel für die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler beim Festival: Neben den großen Namen wie Quasthoff, Prégardien oder Schwanewilms lernt das Publikum Stimmen kennen, die noch nicht zu den Stars der Branche zählen, aber längst in der ersten Liga mitsingen.
Wechselspiel zwischen Nachschöpfung, Gegenentwurf und ganz eigenem Zugang
In Aub zeigt Tae Hwan Yun, der Ensemblemitglied am Theater Bonn ist, vom ersten Ton an, wie intensiv er sich mit der Gattung Lied auseinandersetzt. Killmayers Lieder leben vom Mut des Sängers, die immer wieder durchbrochenen Bögen für sich sprechen zu lassen, unbegleitete Momente zu inszenieren und sich den teilweise turbulenten Anti-Idyllen auszuliefern. So entsteht ein Wechselspiel zwischen Nachschöpfung, Gegenentwurf und ganz eigenem Zugang: Schumann klingt hier nie konkret durch, und doch entsteht über das Wort eine faszinierende Verwandtschaft.
Nach den opulenten und bewegten Brahms-Gesängen dann die so trügerisch volksliedhaften Schumann-Lieder. Tae Hwan Yun kann seinen hellen Tenor ganz ohne opernhafte oder gar heldische Note zu freiem Forte und gleich danach wieder zu tragendem Piano führen. Die Lieder erzählen - natürlich - von unglücklicher Liebe, der Sänger wird zwangsläufig zur Figur einer Handlung. Yun verkörpert diese Figur mit unsentimentaler Demut und berührender Anteilnahme.
Intendant Alexander Fleischer, der an diesem Tag auch noch Schuberts "Schöne Müllerin" spielen wird, entlockt dem ein wenig störrischen Flügel feinste Farben und - vor allem bei Brahms - leuchtende Klanggebirge. Nach einer wunderbar versonnenen schumannschen "Rose" als erster Zugabe ein koreanisches Lied über das Vermissen - weiteres Beispiel für die unendliche Vielfalt des Kunstlieds.