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Würzburg
Eine Försterin erklärt: Darum verstärken Rehe das Waldsterben in Unterfranken
Die Wildschäden in den Wäldern nehmen immer weiter zu. Ohne Jäger werden wir den klimastabilen Waldumbau nicht schaffen, sagt Försterin Antje Julke. Warum sie für deutlich höhere Abschuss-Quoten plädiert.
Rehe sind in der Natur gut getarnt - wie hier auf diesem Symbolfoto. Nach der Ernte auf den Feldern lassen sich die Tiere gerne die nachwachsenden Jungbäume in den Wäldern schmecken.
Foto: Moritz Frankenberg, dpa | Rehe sind in der Natur gut getarnt - wie hier auf diesem Symbolfoto. Nach der Ernte auf den Feldern lassen sich die Tiere gerne die nachwachsenden Jungbäume in den Wäldern schmecken.
Angelika Kleinhenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:54 Uhr

Försterinnen und Förster in Unterfranken schlagen Alarm. Die Ergebnisse der Forstlichen Gutachten 2021 liegen vor - und wieder sind die Wildschäden in den Wäldern vielerorts zu hoch. Mehr noch: Seit 2018 ist der Verbiss an den Bäumen durch Reh- und Rotwild noch einmal gestiegen.

Zur Erklärung: Alle drei Jahre macht die Bayerische Forstverwaltung im Frühjahr im Wald Inventur. Sie prüft die Schäden an 2,1 Millionen junger Waldbäume, die Rehe und Hirsche hinterlassen.Mit Hilfe eines statistischen Verfahrens werden die Daten für das Forstliche Gutachten gewonnen. Dieses dient der Unteren Jagdbehörde als Entscheidungsgrundlage für die Abschuss-Quoten für die nächsten drei Jahre.

Es scheint: Den Rehen geht es im Klimawandel mit seinen milden Wintern immer besser, dem Wald durch die immer länger dauernden Trockenperioden immer schlechter. Während viele Altbäume vertrocknen und absterben, hindern zu viele Rehe die jungen Bäume am Nachwachsen, sagt Antje Julke, Abteilungsleiterin am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Würzburg. Im Interview erklärt sie, warum höhere Abschuss-Quoten nötig sind.

Frage: Die vier Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Unterfranken, von Bad Neustadt über Karlstadt, Kitzingen-Würzburg bis Schweinfurt, schlagen Alarm - warum?

Antje Julke: Wir haben vielerorts zu hohe Wildschäden durch Reh- und Rotwild in unseren Wäldern. Vor sechs Jahren waren die Schäden noch in jeder zweiten Hegegemeinschaft, das sind Zusammenschlüsse mehrerer Jagdreviere, tragbar. Heute wird die Verbiss-Belastung in sechs von zehn Hegegemeinschaften in Unterfranken als zu hoch eingestuft. In jeder zehnten Hegegemeinschaft sogar als deutlich zu hoch. Im Raum Würzburg ist es mittlerweile jede dritte.

Eine Försterin erklärt: Darum verstärken Rehe das Waldsterben in Unterfranken
Was ist so schlimm am Verbiss, also daran, dass Rehe und Hirsche an den Knospen und Trieben der jungen Bäumchen knabbern?

Julke: Naturverjüngung ist der Königsweg beim Umbau der Wälder im Klimawandel. Die Nachkommen, die sich aus den Samen der Bäume entwickeln, die sich an die klimatischen Bedingungen angepasst haben, weisen eine hohe genetische Vielfalt auf und sind robuster als neu gepflanzte Bäume. Im Landkreis Würzburg konnten wir beim Waldumbau bisher bis zu 80 Prozent über Naturverjüngung arbeiten. Doch das Verbeißen bedeutet, dass die jungen Bäume von Rehen und Hirschen immer wieder zurückgebissen werden. Sie verlieren dadurch an Vitalität, werden in ihrem Wachstum beeinträchtigt und fallen im schlimmsten Fall ganz aus. 

Was passiert, wenn verbissene Bäume nicht mehr so gut wachsen?

Julke: Manche Baumarten sind empfindlicher als andere. Diese Arten werden durch Verbiss zurückgedrängt und verschwinden. Generell gilt: Je mehr Baumarten in einem Wald stehen, desto robuster ist das Ökosystem, wenn einzelne Arten durch Trockenheit, Pilze oder Schädlinge im Klimawandel ausfallen. In Leinach im Landkreis Würzburg zum Beispiel pflanzen wir sieben verschiedene Baumarten zwischen die Buche: vor allem Eichen, die mit der Trockenheit besser zurechtkommen. Eichen sind sehr verbissempfindlich. Wir brauchen diese Baumart aber dringend, um die Wälder klimafit zu machen. 

Försterin Antje Julke zeigte im Mai eine Fläche im Leinacher Gemeindewald im Lkr. Würzburg, auf der viele Bäume in den Trockenjahren abgestorben waren und die wieder neu aufgeforstet wurde.
Foto: Thomas Obermeier | Försterin Antje Julke zeigte im Mai eine Fläche im Leinacher Gemeindewald im Lkr. Würzburg, auf der viele Bäume in den Trockenjahren abgestorben waren und die wieder neu aufgeforstet wurde.
Manche Jäger argumentieren, das sei ein ökonomisches, aber kein ökologisches Problem. Denn Bäume, die verbissen werden, bilden Seitentriebe, sind aber nicht automatisch tot. Sie wachsen weniger gerade und das Holz ist weniger wertvoll...

Julke: Das ist zu kurz gedacht. Ein Beispiel: In einer Hegegemeinschaft im Landkreis Würzburg, deren Verbiss als deutlich zu hoch eingeschätzt wird, sind zwei Drittel aller Pflanzen zwischen 20 Zentimeter und 1,30 Meter Höhe verbissen. Langfristig führt das dazu, dass dort viele Baumarten verschwinden. Man sieht das an Eiche, Kirsche, Hainbuche, Feldahorn oder den heimischen Durstkünstlern Elsbeere und Speierling: Diese Arten sind im Altbestand noch vorhanden. Doch der Nachwuchs kann an vielen Stellen nicht mehr hochwachsen, weil er vorher verbissen wird. Doch gerade diese Baumarten brauchen wir für die nächste Waldgeneration, für die Mischwälder der Zukunft in Unterfranken.

Führen immer höhere Abschuss-Quoten nicht dazu, dass das Wild in Stress gerät, sich ins Dickicht der jungen Bäume zurückzieht und dadurch noch mehr verbeißt?

Julke: Die Waldbestände sind in den letzten 20 Jahren strukturreicher geworden. Dadurch sind die Rehe weniger sichtbar und es wird schwieriger zu jagen. Das ist richtig. Doch wir brauchen höhere Abschuss-Quoten, weil sonst die Naturverjüngung im Wald nicht mehr funktioniert. Der Klimawandel hat die Vitalität des Waldes verschlechtert, die Lebensbedingungen der Rehe aber eher verbessert. Immer weniger Tiere sterben im Winter, weil die Jahreszeit nicht mehr so schneereich und streng ist wie früher.

Ist die Situation überall in Unterfranken die gleiche?

Julke: Nein. In den waldreicheren Teilen Unterfrankens wie Spessart, Rhön oder den Haßbergen sieht es etwas besser aus. In den waldarmen Gäulandschaften im Raum Würzburg, Kitzingen und Schweinfurt ist die Verbiss-Situation schlechter. Dort bietet die Feldflur für das Rehwild fast paradiesische Zustände bis zur Ernte. Danach wandern die Rehe in den Wald.

Was halten Sie von Zäunen statt höheren Abschuss-Quoten?

Julke: Zäune sind sinnvoll in Landschaften mit kleinen Feldgehölzen. In größeren Waldkomplexen sollte der Rehwildbestand so niedrig sein, dass sich die natürliche Vegetation einstellen kann. Durch die drei extremen Trockenjahre 2003, 2015 und 2018 haben wir so große Schadflächen im Wald, die wir wieder aufforsten müssen, dass man sie nicht mehr umzäunen kann. So viele Zäune zu bauen und regelmäßig zu kontrollieren, lässt sich personell und finanziell nicht stemmen. Außerdem müssten wir dann das Wild von großen Flächen seines Lebensraums aussperren. Das ist nicht sinnvoll.

Wofür brauchen Sie jetzt die Jäger?

Julke: In wenigen Monaten steht die Abschuss-Planung für Reh- und Rotwild an. Dann könnten die Jagdgenossenschaften und die Waldbesitzer zusammen mit den Jägerinnen und Jägern die Weichen für tragbare Wildbestände in den kommenden drei Jahren stellen. Ich hoffe, dass diese Chance genutzt wird. Der Wald braucht die Jäger im Klimawandel. Ohne ihre Hilfe werden wir den klimastabilen Waldumbau nicht schaffen. Waldbesitzer, Förster und Jäger stehen jetzt vor einer Herausforderung, die es in dieser Dimension und Dringlichkeit vorher noch nie gab.

Verbiss, Wilddichte, Abschuss-Quoten: Wichtige Begriffe kurz erklärt

Wilddichte: Bayern ist mit rund 2,56 Millionen Hektar zu einem Drittel seiner Fläche bewaldet. Es gibt allerdings keine Region, in der das Reh nicht vorkommt. Da man Rehe schlecht zählen kann, wird über die Wilddichte, also die Zahl der Rehe in einer Region, viel gestritten.
Forstliche Gutachten: Sie werden von der Bayerischen Forstverwaltung seit 1986 regelmäßig für die rund 750 Hegegemeinschaften erstellt und dokumentieren, ob die natürliche Verjüngung im Wald funktioniert und wie stark die Bäume von Wild verbissen werden.
Natürverjüngung: Gilt im Wald als erfolgreich, wenn sich Altbäume mit Hilfe ihrer Samen selbst ausbreiten und ungestört wachsen können.
Hegegemeinschaften: Zusammenschlüsse derjenigen, die das Jagdrecht in mehreren benachbarten Revieren ausüben und eine landschaftliche Einheit bilden.
Verbiss: Das Abbeißen von Knospen, Blättern und Zweigen an erwünschten Pflanzen durch Wild- oder Nutztiere. Verbiss kann den Wuchs verzögern oder eine Pflanze ganz absterben lassen. 
Abschuss-Quoten: Forstliche Gutachten dienen als Entscheidungsgrundlage für Abschuss-Empfehlungen. Wird eine Fläche als grün eingestuft, ist der Verbiss tragbar. Als rot gilt eine Fläche mit zu hoher Verbiss-Belastung. 
Quelle: akl
 
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  • S. S.
    Kann Ihre Aussage vollstens unterstützen. Leider haben wir in unserem Wald (Laubwald mit vereinzelt Nadelbäumen) ebenfalls große Wildverbissschäden bei der natürlichen Verjüngung.
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  • T. R.
    Ein großer Teil der Probleme ist auch durch die im Rückblick falsche Beratung der Waldbauern in den 50 igern und 60 iger Jahren des vergangenen Jahrhundert entstanden. Die Förster haben die Waldbesitzer dazu gedrängt die langsamwachsenden Eichen und Buchen durch schnellwachsende Fichten zu ersetzen. Ein alter Waldbauer sagte mir mal, wir sind alle Beratungsgeschädigt.
    Schade, dass den Förstern wieder nur eine Erhöhung des Abschusses einfällt obwohl die Rehe dringend mehr Wildruhezonen und ungestörte Äsungsflächen bräuchten.
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  • M. N.
    Der Klimawandel hat die Vitalität des Waldes verschlechtert, die Lebensbedingungen der Rehe aber eher verbessert. Immer weniger Tiere sterben im Winter, weil die Jahreszeit nicht mehr so schneereich und streng ist wie früher. Ach wie Schade keine verhungerten Rehe,
    Wir haben im Landkreis Würzburg überwiegend Feldgehölze mit viel Ackerflächen herum, hohen Freizeitdruck und vieleTrockenjahre.
    Es lässt sich über den ökologischen Wald und Wirtschaftswald, welchen die Förster wollen, streiten. Für das Klima und die Erholung ist der ökologische Wald besser.
    Durch den Waldumbau haben unsere Wälder oben einen Schirm aus Blätter und wenn unten kein Licht und kein Regen ankommt vertrocknen die Jungpflanzen, egal wieviel Rehe getötet werden.
    Die Verbissaufnahme hat gezeigt, dass an den Aufnahmepunkten waldbaulich nichts gemacht wird und mit Rehe totschießen wächst dort kein Wald. Waldbauliche Fehler können durch vermehrten Abschuss nicht geheilt werden.
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  • A. G.
    da gibt es nur eins, ausrotten das viehzeug, so wie man es mit den großen beutegreifern getan hat.
    dann ist ruhe im wald und die straßen werden auch sicherer wenn keine rehe mehr von fahrzeugen "erlegt" werden.
    und wenn der wald trotzdem die grätsche macht, dann findet sich schon wieder ein schuldiger.
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  • H. S.
    Wo leben sie?
    "Beutegreifer ausgerottet?
    Vor 10 Jahren wurden Windräder nicht genehmigt, weil 1 Roter Milan in dem Gebiet unterwegs war. Im Herbst zählte ich bei einer Radtour im westlichen Lk Wü und MSP 14 Milane. Feldhasen gibt es fast keine mehr, weil die kleinen Hasen ohne Deckung im Frühjahr weggetragen werden.
    Da helfen auch die Aussagen von Naturschützern nicht , dass ein Greifvogel einen Hasen nicht tragen kann.
    Auch Elstern durchstöbern in Gruppen Hecken und räubern Eier und Jungvögel.
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  • A. G.
    ich habe von "großen beutegreifern" geschrieben, da fallen greifvögel jetzt nicht gerade darunter.
    im übrigen, das es weniger feldhasen gibt ist wohl nicht die alleinige schuld von milan und co., da hilft der homo sapiens schon kräftig mit, sei es mit der intensiven landwirtschaft, der jagd oder dem straßenverkehr, da bleibt so einiges auf der strecke.
    aber wie ich schon geschrieben hab, ein schuldiger findet sich immer wieder, und der mensch hat da nicht im geringsten was mit zu tun.

    übrigens, ich lebe im lk.sw. zwinkern
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  • P. K.
    Sie haben die Ironie nicht bemerkt.
    Der für Rehe zuständige ausgerottete große Beutegreifer ist aber wieder im Anmarsch und sorgt für Aufregung.
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