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WÜRZBURG
Ein Stück Stadtgeschichte sucht neuen Platz
Willi Dürrnagel führt durch seine Sammlung       -  Der Sammler und sein überfülltes Arbeitszimmer: Willi Dürrnagel nimmt eine historische Postkarte unter die Lupe.
Foto: Daniel Peter | Der Sammler und sein überfülltes Arbeitszimmer: Willi Dürrnagel nimmt eine historische Postkarte unter die Lupe.
Holger Welsch
 |  aktualisiert: 07.04.2020 10:49 Uhr

„Doch, wir haben noch ein Zimmer zum Schlafen.“ Wer bei Stadtrat Willi Dürrnagel zu Besuch ist, hat seine Zweifel, dass es im Haus noch freie Liegeplätze gibt. Schon im Flur türmen sich Kartons, ebenso im Wohnzimmer und in den Obergeschossen, überall volle Regale, die Wände lückenlos behängt mit Bildern und Gemälden – inklusive eines Portraits des sammelfreudigen Hobby-Historikers, gemalt von Renate Jung.

50 000 Bücher, 11 000 Postkarten, 500 Bilder, unzählige Fotos und Dokumente, Urkunden, Abzeichen, Reklamemarken, Karnevalsorden, Münzen . . . – alles mit Bezug zu Würzburgs jüngerer Stadtgeschichte – hat Dürrnagel in den vergangenen 40 Jahren zusammengetragen. Jetzt soll seine Historiensammlung die Stadt bekommen, auch im Hinblick auf eine öffentliche Ausstellung. Das klingt einfacher als es ist, wie eine erste Sondierung der Schätze gezeigt hat. Allein zur Lagerung braucht man mindestens 200 Quadratmeter Fläche.

Nein, seine Frau habe ihm keine Zwangsräumung angedroht, betont Dürrnagel, höchstens indirekt. Er solle sich Gedanken um seine Sammlung machen, deren Zukunft nicht im kleinen Einfamilienhaus in der Sanderau liegen könne. Auch der 69-Jährige selbst möchte seinen Würzburg-Fundus gerne öffentlich zeigen. „Es macht keinen Sinn zu sammeln, und keiner hat was davon. Die Sammlung soll etwas für alle Würzburger sein.“

Und was sagt die Ehefrau zu Willi Dürrnagels Sammelwut?

Das meint auch Dürrnagels CSU-Fraktion. Der Stadtrat folgte ihrem Antrag, mit Dürrnagel über eine kostenfreie Übernahme seiner Sammlung zu verhandeln und nach Ausstellungsräumen Ausschau zu halten. Zuvor hatte sich Volkskundler Jörg Fuchs im städtischen Auftrag mit der Sammlung beschäftigt. Sein Urteil nach Sichtung der Bestandslisten: „Viele Unterlagen sind von größter Bedeutung für die Erforschung der Stadtgeschichte.“ Zumindest Teile der Sammlung seien in einem Museum für Würzburgs Stadtgeschichte für die Zeit ab dem 19. Jahrhundert vorstellbar.

Dann folgt das große Aber: Bevor etwas ausgestellt oder dokumentiert werden kann, muss die Sammlung nach wissenschaftlichen Kriterien geordnet, klassifiziert und aufbereitet werden. Das dauert nach Einschätzung des Experten „mehrere Jahre“. Der sachgerechte Umgang mit den mehreren tausend Objekten aus den vergangenen 230 Jahren sei „äußerst komplex“. Für diese „herausfordernde Aufgabe“ brauche es Personal und zusätzlichen Lagerplatz. Diesen hätten weder das Stadtarchiv noch das Museum im Kulturspeicher.

Und das ist die Ansicht von Holger Welsch zu dieser Angelegenheit.

Und es ist klar, dass es die Mithilfe von Dürrnagel braucht, der trotz des anscheinenden Chaos eine Ordnung in seiner Sammlung hat. Er weiß genau, wo Dauthendeys „Erlebnisse auf Java“ stehen, findet unter tausenden eingescannten Bildern blitzschnell die historischen Motive vom Bahnhofsvorplatz.

Fuchs führt mehrere Varianten an, was die Stadt mit der Sammlung anstellen könnte. Eine davon: Sie stellt Bestandteile „fachlich versierten Stellen“ wie Universität, Stadtarchiv oder Museen, zur Verfügung. Davon ist Dürrnagel überhaupt nicht begeistert. „Es wäre schade, wenn die Sammlung auseinanderfällt.“ Schließlich hänge alles zusammen, die Bücher, Fotos und Unterlagen zu den einzelnen Themenbereichen wie Wein, Universität oder Kirche.

Und Dürrnagel möchte auch nicht, dass seine Schätze „in einem Keller gelagert werden. Das ist nicht Sinn der Sache.“ Er kann sich auch Wechselausstellungen vorstellen. Wo, das wissen aber im Moment weder er noch die Stadt.

Der Fundus dient Dürrnagel nicht zuletzt dazu, seine Stadtführungen und Vorträge vorzubereiten. Diese sind beliebt wie zahlreich. „Rund 300 Verstaltungen waren es allein im vergangenen Jahr“, berichtet er. „16 Stunden am Tag“ ist der frühere Postbeamte unterwegs – für die Stadtgeschichte, für unzählige Vereine, in denen er sich engagiert und für sein Stadtratsmandat.

Der Mann ist gefragt: Ständig forschen Leute nach alten Fotos oder bieten ihm Dokumente der Würzburger Vergangenheit an, oft Nachlässe oder Familienhinterlassenschaften. Und Dürrnagel „kann halt nicht Nein sagen“. Er zeigt einen Karton mit alten Fotos, die er soeben aus einer aufgelösten Wohnung gerettet hat. Dazu betätigt sich der Sammler auch als Jäger, wenn er auf Flohmärkten oder im Internet stöbert.

Der Würzburger Maler, Literat und Denkmalschützer Heiner Reitberger hatte Mitte der Siebziger Dürrnagels Sammelleidenschaft geweckt, die ungebrochen ist. Die Sammlung wächst stetig weiter, und es fehlt Dürrnagel immer mehr Zeit und Raum, sie zu ordnen. „Es ist etwas chaotisch bei mir“, sagt er, und wünscht sich „räumliche Hilfe“.

Die Sammlung zu verkaufen kommt für ihn dennoch nicht in Frage, trotz der Werte, die sich angesammelt haben, aber auch schwer bezifferbar sind: Schätzungsweise mehrere 100 000 Euro. Wie er die Sammlung finanziert? „Mit einer sparsamen Lebensführung“ und auch mit der Aufwandsentschädigung fürs Stadtratsmandat. „Drum wär's schön, wenn man mit der Sammlung auch der Öffentlichkeit wieder etwas zurückgeben könnte.“

Ob, wie und wann das passiert, steht noch in den Sternen. „Wir führen Gespräche“, heißt es seitens der Stadt. Konkret soll sich Stadtarchivar Axel Metz um das Projekt kümmern. Ein erstes Ergebnis ist spätestens Mitte Juli zu erwarten. Dann wollen die Stadträte einen ersten Bericht über den Stand der Dinge.

 
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