
Ankommen und sich zuhause fühlen: Das ist ein Wunsch, den fast jeder Mensch kennt. Würzburgs Ex-Oberbürgermeisterin Pia Beckmann hat mit ihrer Demokratie Initiative pics4peace das Projekt #endlichankommen initiiert und will via Podcasts Einblick in das Leben und Fühlen der Würzburger und Würzburgerinnen geben. Insgesamt sollen 1000 Menschen interviewt werden - aus allen Teilen der Gesellschaft. Alle bekommen dieselben Fragen gestellt rund ums Ankommen in Würzburg, zuhause fühlen, aber auch, über was sie sich Sorgen machen. Hier stellen wir vier der Interviewten vor.
1. Yehor Dementiev, 16 Jahre alt, Schüler

Mit 16 Jahren hat Yehor bereits mehr erlebt, als viele in einem ganzen Leben. Geboren in Kiew, aufgewachsen in der Ukraine, musste er vor gut zwei Jahren mit seiner Mutter vor Krieg und Tod fliehen. In Würzburg fanden sie ein neues Zuhause. Inzwischen spricht Yehor sehr gut Deutsch, besucht das Gymnasium und hat sich ein Leben in einer neuen Kultur aufgebaut. Seine Reise nach Deutschland war nicht nur eine geographische, sondern vor allem eine emotionale: "Es war eine schwierige Entscheidung, meine Heimat zu verlassen. Aber ich wollte überleben", erzählt Yehor ruhig im Interview für den Podcast.
Der Krieg in der Ukraine habe seine Familie dazu gebracht, alles hinter sich zu lassen. Zwar sei der Krieg immer präsent, aber Yehor blickt mit Hoffnung in die Zukunft. "Ich hoffe, dass ich in Deutschland Abitur machen kann und, dass ich weiterhin spannende Menschen und Projekte kennenlernen darf." Würzburg empfinde er als lebendig, die Universität ziehe viele junge Leute an. Er erlebt, dass es möglich ist, Teil einer neuen Gesellschaft zu sein. Dennoch lässt ihn die aktuelle Diskussion in Deutschland um Migration und Integration nicht los. "Ich habe Angst, dass sich die Politik verändert und Gesetze erlassen werden, die gegen Menschen wie mich gerichtet sind", erklärt er. Yehor wünscht sich, dass Menschen in Zukunft "offener miteinander umgehen, mehr miteinander sprechen und weniger Vorurteile haben".
2. Gerda Christ, 82 Jahre alt, Rentnerin

Die 82-jährige Gerda wurde viel zu jung Witwe. Seit fünf Jahren lebt sie in Würzburg, empfindet es aber jeden Tag aufs Neue als Herausforderung, ihre Einsamkeit zu überwinden, wie sie im Interview mit Pia Beckmann erzählt. Ihre Wurzeln liegen im Spessart, wo sie als Kind mit ihrer Mutter bei den Großeltern aufwuchs. Christ schätzt das Leben in Würzburg und in Deutschland sehr, obwohl sie auch gesellschaftliche Probleme wahrnimmt. So macht sich die 82-Jährige Sorgen - speziell, was das Umweltbewusstsein und die Integrationsfähigkeit Deutschlands angeht. Einerseits sieht sie die gesellschaftliche Belastung, andererseits die Hürden für Migrantinnen und Migranten.
Christ weiß, wovon sie spricht. Sie engagiert sich jede Woche ehrenamtlich im Café "Komm" in Würzburg, wo sie Migrantinnen unterstützt und ihnen Mut zuspricht. Wenn Christ an "Heimat" denkt, so ist das mit Kindheitserinnerungen und Schulfreundschaften verbunden, während "Zuhause" für sie das Gefühl von Geborgenheit und Eigenständigkeit in der von ihr aufgebauten Familie bedeutet. Für die Zukunft wünscht sie sich, gesund zu bleiben und ihren Kindern nicht zur Last fallen zu müssen. Sie blickt dankbar auf ihr Leben und hofft, dass die Gesellschaft einen Weg zu mehr sozialem Zusammenhalt findet.
3. Andreas Margitt-Hochrein , 59 Jahre alt, Designer und Maßschneider

Andreas Margitt-Hochrein ist geprägt von der Suche nach Geborgenheit und der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen. Trotz seiner tiefen Verwurzelung hier in Würzburg seit mehr als 25 Jahren, fühle sich der 59-Jährige der Offenheit des Rheinlands stark verbunden, der Heimat seiner Jugend. "Heimat ist für mich nicht an einen Ort gebunden", sagt Margitt-Hochrein. Vielmehr ist es der Ort, an dem er sich wohlfühle und dort, wo seine Lieben sind. "Zuhause ist für mich mein eigenes Heim und die Küche ist das Herz des Hauses", so der leidenschaftliche Koch. Mit Würzburg habe er sich arrangiert, aber grundsätzlich sei ihm die Stadt zu konservativ und zu wenig kommunikativ. Das offene Flair, das er aus dem Rheinland kenne, fehle: "Man bleibt hier oft allein, auch wenn man unter Leuten ist."
Der zunehmende Rechtsruck in Deutschland bereitet ihm Sorgen. Als Menschenrechtsaktivist, der sich für die Rechte der LGBTQ-Community einsetzt, sieht Margitt-Hochrein die Gesellschaft in einem tiefen Konflikt zwischen Extremismus und Humanität. "Ich hoffe, dass dieser Rechtsruck seinen Höhepunkt erreicht hat und, dass die Menschen wieder zu einer gemäßigteren Haltung zurückfinden." Auch persönlich macht er sich Gedanken über den Verlauf seines Lebens. Die Frage des Alleinseins treibt ihn um: "In einer schwulen Partnerschaft, in der es keine Kinder gibt, sieht man irgendwann sehr deutlich, dass man die letzte Generation ist."
4. Pinar Yücel , 44 Jahre alt, Ärztin

Pinar Yücel lebt seit drei Jahren in Würzburg. Wie sie im Interview für den Podcast beschreibt, wurde sie in Ankara in der Türkei geboren, wuchs dort auf und studierte Medizin. Sie arbeitete als Ärztin und hatte mit ihrer Familie ein sicheres Leben. Aus politischen Gründen musste sie vor fünf Jahren mit ihrem Mann und ihren Kindern fliehen. Ihre erste Station war Erfurt: "Am Anfang war ich wie ein Baby, ich konnte mich nicht gut ausdrücken", erzählt sie. Die ersten Jahre seien geprägt gewesen von Unsicherheiten durch eine neue Kultur und Sprache. Ein Erlebnis habe sie besonders beeinflusst: Neu in Würzburg und noch ohne Arbeitsmöglichkeit, hatte sich die Ärztin angeboten, älteren Menschen in einem Pflegeheim ehrenamtlich Gesellschaft zu leisten. Beim ersten Termin vor Ort, wusste die Sekretärin nicht Bescheid, dass Yücel kommen würde.
Während sie vor der Türe wartete, kümmerte sie sich um ein ältere Dame. Das bekam die Mitarbeiterin mit und rief misstrauisch die Polizei. "Diese hat mich befragt und es dauerte eine Weile, bis die Lage geklärt war", erzählt Yücel. Mittlerweile spricht sie besser Deutsch. Sie arbeitet wieder als Ärztin und fühlt sich in Würzburg angekommen. Die Domstadt empfinde sie als "freundlich". Sie habe viele Freunde gefunden, "Deutsche, Türken und auch andere“. Dennoch bleiben Herausforderungen: Yücels größte Angst ist es nach wie vor, missverstanden zu werden. "Für die Zukunft brauchen wir eine Gesellschaft, die die Bedürfnisse aller respektiert."