Der 8. Juli 1913 war ein herrlicher Sommertag. Um 20 Uhr starteten zwei junge Männer an diesem Kilianstag von der Rollbahn am Galgenberg zu einem Flug über das Kilianifest, das damals auf dem Sanderrasen stattfand. Am Steuer saß der 19-jährige Albert Sénard, ein Weinhändlersohn aus Bordeaux. Mit ihm flog sein drei Jahre älterer Freund, der technikbegeisterte Egon Leonhard, genannt Leo Lendner aus Würzburg.
Lendner wurde im Dezember 1890 als Sohn eines Oberkellners, der im Hutten'schen Garten arbeitete, geboren. Nach dem Studium an der Würzburger Maschinenbauschule ging er nach Berlin, um in einer Werkzeugfabrik zu arbeiten. Doch das Luftfahrtzentrum Joachimsthal, das in der Nähe lag, zog ihn magisch an und er begann, Flugzeugentwürfe zu zeichnen; wahrscheinlich erhielt er auch Flugunterricht. Nach Würzburg zurückgekehrt, stellte er 1910 stolz sein erstes Motorflugzeug vor.
Erst Lendners drittes Flugzeug war flugtauglich
Eine Postkarte zeigt ihn in jenem Jahr am Galgenberg vor seiner Konstruktion, die seinen Namen trägt. Auf der Rückseite der Karte ist der Stempel-Aufdruck "Egon Leonh. Lendner Flugmaschinen-Bau Würzburg" zu finden. An Selbstbewusstsein mangelte es dem 19-Jährigen jedenfalls nicht.
Die erste Maschine mit 25-PS-Motor und zwei Propellern überstand Rollversuche allerdings nicht; auch seinem zweiten Versuch war kein Glück beschieden. Erst Lendners dritte Maschine war flugtauglich. Am 24. Mai 1912 flog er vor Zuschauern mit einem Apparat, der entfernt an eine Libelle erinnerte, in 30 Metern Höhe mit etwa 80 Stundenkilometern. Dabei passierte ein Unfall: Ein aus Gerbrunn kommender Fuhrmann lenkte am Galgenberg sein Milchgespann in den Graben, während er dem Flugapparat nachblickte.
Leo Lendner galt in seiner Heimat als Berühmtheit
Der Würzburger und der Franzose kannten sich seit einem Besuch Lendners in Paris. Albert Sénard besaß einen Pilotenschein und hatte trotz seines jugendlichen Alters bei mehreren Flügen in Frankreich bereits Trophäen erworben. So am 6. Oktober 1912, als er bei einem Wettfliegen mit seinem Blérot-Flugzeug in die Höhe stieg, dann allerdings in einem entfernten Dorf landete, wo am Sonntag das Telegraphen- und Telefonamt geschlossen war. Daher erfuhren die zahlreichen Bewunderer, die am Startplatz ungeduldig auf seine Rückkehr warteten, erst am Abend vom sicheren Ausgang des Abenteuers.
Auch Leo Lendner galt in seiner Heimat als Berühmtheit. Im Gegensatz zu Sénard ging er jedoch ohne Pilotenzeugnis in die Luft. Dieses war damals, weniger als ein Jahrzehnt nach der Pioniertat der Brüder Wright im Dezember 1903, auch nicht unbedingt nötig.
Leo Lendner und Albert Sénard benutzten für ihr Kiliani-Spektakel im Sommer 1913 einen Eindecker mit Sechs-Zylinder-Motor. Die Vorzeichen erwiesen sich freilich als ungünstig: Bei einem Probeflug war am 6. Juli in der Nähe des Letzten Hiebs die rechte Tragfläche abgebrochen. Die Freunde hatten in aller Eile den gebrochenen Holm mit Draht umwickelt. Diese nur notdürftige Reparatur dürfte die Ursache für das Verhängnis zwei Tage später gewesen sein.
Das Flugzeug stürzte auf einen Kleeacker
In ungefähr 100 Metern Höhe überflogen Lendner und Sénard an jenem 8. Juli 1913 den Sanderrasen, umjubelt von Menschen, die ihre Strohhüte schwenkten. Als sie mit bereits abgestelltem Motor, der damals üblichen Landeweise, wieder auf den Galgenberg zuhielten, versperrten Neugierige die Landebahn. Sénard wollte die Maschine in die Kurve ziehen; dabei brach die provisorisch reparierte Tragfläche nach oben weg. Das Flugzeug stürzte auf einen Kleeacker.
Albert Sénard fiel aus der Maschine und war sofort tot, während Leo Lendner wenig später im Sanitätsauto starb. Unter den vielen Zuschauern dieses Fluges hatte sich auch Lendners Vater befunden. Bei der Beerdigung musste die Polizei wegen des Massenandrangs den Hauptfriedhof absperren. Sénards Leiche wurde nach Frankreich überführt und in Talence bei Bordeaux beigesetzt.
Auf dem LGS-Gelände von 2018 steht das Lendner-Denkmal
In Würzburg waren anschließend zwei Bildpostkarten zur Erinnerung an die Katastrophe zu kaufen. Auf der einen liegt das Wrack, umstanden von zehn Männern, im Kleefeld, auf der anderen sind die aufgebahrten und von ihren Verletzungen gezeichneten Leichen von Lendner und Sénard zu sehen.
Die Würzburger benannten später die Verbindung von Kirchbühlstraße und Erthalstraße im Frauenland nach Leo Lendner. Auf dem LGS-Gelände von 2018 steht in der Nähe des Zweierwegs zudem das Lendner-Denkmal, das zuvor viele Jahre am Rand des Sanderrasens zu finden war.
Von der Lendnerstraße zweigt die Parsevalstraße ab, benannt nach dem Luftschiff-Konstrukteur und Zeppelin-Konkurrenten August von Parseval. Auch weitere Straßen in Würzburg sind nach Flugpionieren benannt, so die Hackstetterstraße und die Nopitschstraße. Heinrich Nopitsch war der erste Direktor der Würzburger Fliegerschule am Hubland, deren Verwaltungsgebäude im neuen Stadtteil erhalten bleibt; er stürzte am 16. August 1925 tödlich ab. Karl Hackstetter machte ab 1905 in Würzburg durch Fahrten mit Heißluftballons und Luftschiffen sowie im Juli 1912 durch seinen Flug mit einem Flugzeug von Berlin nach Sankt Petersburg auf sich aufmerksam.
Sénard und andere Flugpioniere seiner Zeit werden mit Wein geehrt
Und Albert Sénard? Auch er ist nicht vergessen. Die Erinnerung an ihn wird in seiner Familie gepflegt und hat jetzt sogar dazu geführt, dass Sénard und die anderen Flugpioniere seiner Zeit mit einem Rosé- und einem Rotwein geehrt wurden.
Albert Sénards Schwester Marie Louise heiratete einen Mann namens Jean Bouyx. Der ältester Sohn des Ehepaars Albert Bouyx, benannt nach seinem abgestürzten Onkel, war akademisch ausgebildeter Landwirt und Wein-Spezialist. So ist es nur natürlich, dass dessen Tochter Isabelle sich ebenfalls dem Wein widmet; sie leitet seit 1994 das Weingut Château d'Arricaud in Landiras, einem malerischen 2100-Einwohner-Ort im Südwesten Frankreichs in der Nähe von Bordeaux. Produkte des Weinguts und seiner 23 Hektar Weinberge werden in Deutschland nur bei Dallmayr in München verkauft.
Die heuer kreierten beiden neuen Weine bestehen aus Cabernet-Franc-Trauben, der Hauptrebsorte im Bordelais. Es sind leichte Weine, die, wie Isabelle Bouyx sagt, an die Anfänge der Luftfahrt erinnern sollen: "Die Wahl fiel natürlich auf die Geschichte meines tollkühnen Großonkels." Die Weine seien "eine Hommage an Albert Sénard und die Flugpioniere, diese freien und talentierten Geister, die in ihren seltsamen Maschinen dem Himmel trotzten".
"Les Fous Volants" - Die tollkühnen Flieger
Die "Fous Volants" (Die tollkühnen Flieger) genannten und in Deutschland noch nicht erhältlichen Weine zeigen auf dem Etikett einen Doppeldecker, an dem ein zweiter Mann hängt. So, das weiß Isabelle Bouyx, ist ihr Onkel nie geflogen, auch wenn er furchtlos war; Albert Sénard saß in einem Blérot-Eindeckerflugzeug.
Seine Großnichte schwärmt von den frühen Flugmaschinen, die "elegant und leicht waren", allerdings – wie sich beim Absturz ihres Großonkels und Leo Lendners vor 109 Jahren in Würzburg zeigte, "weniger solide als heute".
Elegant und leicht – so beschreibt sie auch die beiden neuen Weine, die an Albert Sénard und Leo Lendner und die anderen Flugbegeisterten ihrer Zeit erinnern.