Es geschah vor 100 Jahren: In den Abendstunden des 8. Juli 1913 stürzte im Landeanflug auf den Galgenberg der neueste Eindecker des Würzburger Flugpioniers Leo Lendner nach einem Schauflug über das Kilianifest ab. Die Insassen, Leo Lendner (22) und der französische Flieger Albert Sénard (20), der Pilot bei diesem Flug, starben noch im Wrack bzw. im Krankenwagen.
Lendner wurde am 19. Dezember 1890 in der Ebracher Gasse als Sohn eines Oberkellners geboren, der im „Huttenschen Garten“ arbeitete. Nach der Volksschule studierte der Technikbegeisterte an der Würzburger Maschinenbauschule, die er mit der Note 1 absolvierte.
1909 ging er nach Berlin, um in einer Werkzeugfabrik zu arbeiten. In der Nähe befand sich das damalige deutsche Luftfahrtzentrum Johannisthal, und das Treiben dort faszinierte den jungen Würzburger. Mäzene gaben ihm 3000 Mark, damals eine enorme Summe, und er baute ein erstes Motorflugzeug, das er 1910 per Bahn nach Würzburg transportierte und in den Ludwigshalle, dem ehemaligen Bahnhof, präsentierte.
Ein zeitgenössisches Foto zeigt ihn in seiner Maschine, den Blick selbstbewusst zum Fotografen gewandt. Wenig später ging freilich das Flugzeug am Galgenberg zu Bruch, ebenso wie die nächste Konstruktion.
Für den Kilianstag, den 8. Juli 1913, kündigte Lendner einen spektakulären Flug über das Kilianifest an, das damals auf dem Sanderrasen stattfand. Am Steuer der neuen Flugmaschine sollte Albert Sénard sitzen, ein Weinhändlersohn aus Bordeaux, den Lendner bei einem Besuch in Paris kennengelernt hatte.
Um 20 Uhr überflogen beide den Sanderrasen bei herrlichstem Sommerwetter, doch beim Rückflug zum Galgenberg stürzte die Maschine in der Nähe des Lehrerseminars am Wittelsbacherplatz ab. Beide Männer starben.
Vor allem über dieses tragische Ende Lendners ist im Lauf der Zeit viel geschrieben worden und vor allem hierdurch blieb er im Gedächtnis, im Gegensatz zu anderen Würzburger Flugzeugbauern jener Zeit, wie zum Beispiel dem gleichaltrigen Hans Zahn oder dem späteren Widerstandskämpfer Georg Hornung. Am Sanderrasen, von wo aus viele Menschen seinen letzten Flug verfolgt hatten, wurde 1986 das Lendner-Denkmal errichtet.
Schwieriger ist es jedoch, etwas über Lendners Flugbemühungen in der Zeit vor seinem Absturz herauszufinden. Zwar ist seine erste Flugzeugkonstruktion, 1910 in Berlin entstanden und dann nach Würzburg gebracht, gut nachvollziehbar, denn von ihm existieren zumindest Ausschnitts-Fotos, die zusammen mit einem zeitgenössischen Berliner Zeitungsartikel eine recht verlässliche Rekonstruktion ermöglichten.
Es handelte sich um eine für diese frühe, noch experimentelle Phase der Fliegerei typisch-gewagte, sehr filigrane Konstruktion mit je einer Luftschraube vorne und hinten am Gitterrumpf, angetrieben durch einen mittig platzierten Motor. Sie war allerdings fluguntauglich und ging schon bei Rollversuchen am Galgenberg zu Bruch.
Aber Lendner gab nie auf und verfolgte seine Idee verbissen, von den Würzburgern teils bewundert und sogar finanziell unterstützt, teils belächelt. Die Militärverwaltung, die am damaligen provisorischen Flugplatz, dem „Kugelfang“ am Galgenberg, das Sagen hatte, beklagte sich schon mal, dass in der Lendner zur Verfügung gestellten Halle nicht nur am Flugzeug gebaut, sondern auch „Trinkgelage abgehalten“ würden, ein ganz normaler junger Mann eben.
Die damalige Presse berichtete nur sporadisch über Lendners Flugversuche, waren diese doch im Vergleich zur damals aufstrebenden generellen Flugszene eher unspektakulär. Da er selbst keine abgeschlossene Pilotenausbildung hatte, lud er mehrmals professionelle Piloten zur Erprobung seiner neuesten Maschine nach Würzburg ein, so 1911 den bekannten Flieger Paul Lange, dem sogar „einige schöne Flüge gelangen“, wie es hieß.
Aber auch diese Versuche endeten mit Bruch und Lendner musste mit seinen wenigen treuen Helfern von vorne beginnen. Aus dieser Phase zwischen 1910 und 1913 war bislang nur ein einziges Foto bekannt, das einen Gitterrumpf im frühen Baustadium zeigt.
Lendners viele Misserfolge und die frappierende Ähnlichkeit seines Unglücksflugzeuges von 1913, von dem nur Fotos nach dem Absturz existieren, mit französischen „Blériots“ verleiteten bereits zur Annahme, dass zumindest seine letzte, die Unglücksmaschine, nur vorgeblich „selbst gebaut“, in Wahrheit aber eine vielleicht von seinem neuen Freund Albert Sénard mitgebrachte und in Würzburg lediglich montierte „Blériot“ gewesen sei. Mehrere Flugzeugexperten stützten diese These, in der Presse kam der damals sehr bekannte Herstellername „Blériot“ im Bezug auf Lendner jedoch nicht vor.
Da tauchte vor genau einem Jahr unvermittelt eine wahre Sensation auf: Das lange gesuchte „missing link“, ein Foto eines Lendner-Flugzeuges von 1912, im Internet angeboten von einen Frankfurter Antiquitätenhändler. Dieses Flugzeug ist eindeutig der Vorläufer der Absturzmaschine von 1913 und besitzt wie diese einen französischen „Anzani“-Sternmotor.
Lendner hat sich somit zwar, wie viele damalige private Flugzeugbauer auch, von bekannten und erfolgreichen Eindecker-Konstruktionen seiner Zeit inspirieren lassen, aber alle seine Flugzeuge zweifellos selbst konstruiert. Mit den Fünf- bzw. Sechs-Zylinder-„Anzanis“ setzte er spätestens ab 1912 zudem auf die modernsten Flugmotoren, die damals in Europa erhältlich waren. Sie hatten außerdem noch den Vorteil, luftgekühlt und damit sehr leicht zu sein. Teuer waren sie aber bestimmt auch, selbst noch als Gebraucht-Motoren.
Das sensationelle Foto des Lendner-Flugzeuges von 1912 verdanken wir einem Besuch von k.u.k.-österreichischen Militär-Kadetten, meist noch im Knabenalter, im September jenes Jahres am damaligen Exerzierplatz am Galgenberg, wo sie sich auch Lendners Flugzeug ansehen konnten, der dort mit Duldung der Militärverwaltung und vielleicht sogar auf einen Militär-Auftrag hoffend, seine Flugzeuge baute und erprobte.
Weshalb sich diese österreichischen Kadetten im September 1912 in Würzburg aufhielten, ist nicht bekannt, eventuell war es eine Art „Schüleraustausch unter Verbündeten“. Die Bildpostkarte wurde damals wahrscheinlich von dem jungen Kadetten geschrieben und verschickt, der auf dem Foto schon im Flugzeug sitzt. Es handelt sich um Max Graf von Tauffkirchen zu Guttenburg auf Ybm, er adressierte sie an ein „Mädi“ aus seiner Adelsfamilie.
Er schreibt unter anderem: „Auf dem Bild siehst Du den Flugapparat, mit dem ich aufgestiegen bin. Es war einfach fein, der Führer Lendner ist dermaßen schnell gefahren, dass ich trotz Brille eine Augenentzündung bekommen habe.“
Mit diesem lapidaren Satz ist damit endlich und 100 Jahre später eindeutig belegt: Leo Lendner baute am Galgenberg in den Jahren 1911 bis 1913 nicht nur seine eigenen Eindecker-Flugzeuge, er flog sie dort auch erfolgreich – bis zu jenem verhängnisvollen 8. Juli 1913.
Dieser Mann weiß mehr über Würzburgs Flieger-Vergangenheit als jeder andere
Otto Weber-Niebuer, geboren 1963 und Koautor des Artikels auf dieser Seite, wuchs in Höchberg auf. Das Abitur legte er 1983 am Friedrich-Koenig-Gymnasium ab. Nach dem Architekturstudium an der FH Würzburg arbeitete er seit 1990 als angestellter Architekt, erst in diversen Würzburger Architekturbüros, seit 2002 im öffentlichen Dienst des Landes Niedersachsen („Staatliches Baumanagement Osnabrück-Emsland‘). Er ist mit der Ärztin Claudia Niebuer verheiratet und hat einen Sohn.
Die Eltern waren Erhard Weber, Steinmetz aus Kist, und Hannelore Weber, geborene Grünewald, Schneiderin und Hausfrau aus Höchberg. Seit der Schulzeit bildete sich die Faszination für Fluggeschichte mit Schwerpunkt auf der Pionierzeit der Fliegerei vor dem Ersten Weltkrieg als sein freizeitmäßiges Hauptinteresse heraus, obwohl er nie dazu kam, selbst den Flugschein zu machen.
Die tragische Geschichte des jungen Flugpioniers Leo Lendner aus Würzburg faszinierte ihn von Anfang an. Sein Vater, der sich als Steinmetz und Ersteller von Grabdenkmalen in allen Friedhöfen der Region auskannte, fragte ihn eines Tages: „Willst du mal sein Grab sehen?“ Es befand sich und befindet sich noch immer auf dem Würzburger Hauptfriedhof.
Der Jugendstil-Grabstein mit dem Relief-Portrait Lendners, 1913 angefertigt vom Würzburger Bildhauer Carlo Müller, musste zwar kurze Zeit später wegen Kippgefahr entfernt werden (ironischerweise war Otto Weber-Niebuers Vater selbst im Abbruch-Team), wurde aber in weiser Voraussicht vom damaligen Chef des Vaters, Friedrich Stahl (Firma Geisendörfer Grabdenkmale), aufbewahrt und konnte so 1986 als heutiges Lendner-Denkmal wiederverwendet und von der Stadt am Sanderrasen aufgestellt werden.
Das Thema Fliegerei hat Otto Weber-Niebuer seitdem nie losgelassen und er verbrachte viele Stunden in Archiven und bei alten Würzburger Fliegern, von denen die meisten mittlerweile verstorben sind. 1990 schrieb er den historischen Teil des vom Flugsport-Club Würzburg herausgegebenen Büchleins „Luftfahrt in Würzburg“.
Text: rdf