Nicht jeder, nach dem in Würzburg eine Straße heißt, hat diese Ehre verdient. Der Stadtrat lässt prüfen, welche Straßen und Plätzen künftig Namen tragen sollen, die besser zeigen, was Würzburg heute ist.
Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs löschte die Stadt öffentliche Huldigungen, die sie zwischen 1933 und 1945 Nazi-Größen zugedacht hatte. Von Nazis und Erzkonservativen gepflegte Heldenmythen entfernte sie ebenfalls von ihren Straßen und Plätzen: Aus der Adolf-Hitler-Straße machte sie die Theaterstraße, aus der Langemarck- die Scherenbergstraße. Über zwei Dutzend Straßennamen änderte sie.
Spätere Generationen von Stadträten waren nicht so heikel im Umgang mit Nationalsozialisten. Sie widmeten dem Hitlerverehrer Carl Schadewitz, einem Musiklehrer und Komponisten, ebenso eine Straße wie Würzburgs Oberbürgermeister von 1956 bis 1968, Helmuth Zimmerer. Der war SS-Mann, Rechtsberater einer SS-Standarte und Autor einer rassistischen Dissertation.
Die Räte wussten über diese Männer ebenso Bescheid wie über die nationalsozialistische Vergangenheit des Sportfunktionärs Carl Diem, des Gründers der städtischen Galerie, Heiner Dikreiter, oder des Gründers des Mozartfestes, Hermann Zilcher, nach denen sie eine Halle und Straßen benannten.
Nützliche Nazis im Nachkriegsdeutschland
Die Entscheidungen der Würzburger Stadträte lagen im Trend. So war ein Viertel der Abgeordneten des zweiten Deutschen Bundestags (von 1953 bis 1957) Mitglied der NSDAP gewesen, unter ihnen Hochrangige wie der Vertriebenenminister Theodor Oberländer. Bundeskanzler Adenauer machte mit Hans Maria Globke einen Juristen zum Chef seines Kanzleramtes, der wesentlichen Anteil an der NS-Gesetzgebung zur Ausgrenzung und Vernichtung der Juden hatte.
Der Bundestag amnestierte Nazi-Verbrecher in der Justiz, verbrecherische Mediziner blieben hochgeehrte Mitglieder der Ärzteschaft, Wehrmachtsoffiziere bauten die Bundeswehr auf. Nazis waren im Kalten Krieg zwischen Nato und Warschauer Pakt gut zu gebrauchen. Über Jahrzehnte hinweg erklärte knapp die Hälfte der Deutschen, sie wollten an NS-Verbrechen nicht erinnert werden, ein Schlussstrich solle unter die Geschichte gezogen werden. 1951 meinten 41 Prozent, das Leben im NS-Reich sei besser gewesen als in der neuen Demokratie.
Die Würzburger integrierten die Nazis und vergaßen ihre Taten
Auch in Würzburg waren Nazis gut integriert. Hier spielte beispielsweise, so berichtet der Kunsthistoriker und Vorsitzende des Verschönerungsvereins Professor Stefan Kummer, die Architektengenossenschaft „Würzburger Bauring“ eine wichtige Rolle beim Aufbau der kriegszerstörten Stadt. Zu ihren Mitgliedern zählten rund 20 ehemalige städtische Beamte, die während des Kriegs in Warschau eingesetzt waren, mit dem Auftrag, aus der Millionenstadt eine 40.000 Einwohner zählende deutsche Kleinstadt zu machen.
Einer von ihnen war der ehemalige städtische Oberbaudirektor Hubert Groß, der nach dem Krieg ein gefragter Architekt geworden ist. (Er hatte zum Beispiel das Kilianshaus entworfen, dessen Umbau zum Museum vor eineinhalb Jahrzehnten zahlreiche Würzburger bekämpften.) Auch Hans Schädel war in Warschau zu Gange. Nach dem Krieg machte ihn die katholische Kirche zum Würzburger Dombaumeister.
Sie kannten, schätzten und schützten einander
Die Honoratioren aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft kannten sich, schätzten und schützten einander. Die Taten im Nazi-System galten als Nachweis von Fachkunde, waren nicht mehr als lässliche Sünden. Sie wurden verdrängt und vergessen. Zu Beginn der 60er Jahre brachte der Nervenarzt Elmar Herterich ans Licht, dass hohe Würzburger Richter im Dritten Reich an Todesurteilen und Hinrichtungen beteiligt waren. Die beschuldigten Juristen, unterstützt von einer erzürnten Öffentlichkeit, trieben Herterich ins Exil nach Schweden.
So widmete der Stadtrat 1985 dem im Jahr zuvor verstorbenen Helmuth Zimmerer eine Straße, obwohl dessen NS-Umtriebe in den 1960er Jahren für Schlagzeilen weit über Deutschland hinaus gesorgt hatten.
Wer spät kommt, profitiert von der Arbeit der anderen
Erst die Stadtführung „Würzburger Krawalle“ im Jahr 2012 und eineumfangreiche Dokumentation unserer Redaktion im vergangenen Jahr brachte die Diskussion über die öffentliche Ehrung von Nationalsozialisten, ihren Mitläufern und Profiteuren wieder in Gang. Die Ratsmitglieder, von denen nur noch wenige Zimmerers Geschichte kannten, benannten die Helmuth-Zimmerer-Straße um; sie heißt jetzt nach dem Nazi-Gegner Georg Angermaier.
Der Stadtrat setzte zudem eine Kommission zur Überprüfung ihrer Straßennamen und Ehrungen ein. Ihre Aufgabe ist, die öffentliche Würdigung von Personen zu untersuchen, von denen anzunehmen ist, dass sie sich in der NS-Zeit „diskreditierende Handlungen zuschulden kommen ließen“. Sie soll Verfehlungen und Verdienste zusammenstellen und das Ergebnis binnen zweier Jahre dem Stadtrat präsentieren.
Würzburg ist spät dran damit. Einige Dutzend Städte befinden sich bereits mitten in diesem Prozess oder haben ihnabgeschlossen wie die Stadt Oldenburg. Der Vorteil ist, dass sich die Kommission an den Diskussionen und Forschungsergebnissen orientieren kann.
Elf Mitglieder hat sie: den Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte an der Uni Würzburg Professor Peter Hoeres, Niels Weise vom Institut für Zeitgeschichte in München, Ingrid Heeg-Engelhart vom Staatsarchiv Würzburg, die Kulturwissenschaftlerin Bettina Keß, Stadtheimatpfleger Hans Steidle, der Leiter des Stadtarchivs Axel Metz, Kulturreferent Muchtar Al Ghusain und die Ratsmitglieder Benita Stolz (Grüne), Willi Dürrnagel (CSU), Heinrich Jüstel (SPD) und Jürgen Weber (Würzburger Liste).
Zweimal hat die Kommission bislang getagt, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Für Montag, 14. November, um 19 Uhr lädt sie zu einer öffentlichen Veranstaltung ein, Titel: „Würzburger Straßennamen im Gespräch. Überlegungen zur (Um-)Benennung von Straßen.“
Die Diskussion findet im Georg-Bayer-Saal in den Barockhäusern (Neubaustraße 12) statt. Angekündigt ist ein Impulsreferat des Kommissionsmitglieds Niels Weise. Auf dem Podium sitzen Weise, Rotraud Ries vom Johanna-Stahl-Zentrum des Bezirks Unterfranken, der Student Lukas Jansen, das Kommissionsmitglied Bettina Keß und einer mit reichlich Erfahrungen in der Materie: Professor Bernd Martin, der Vorsitzende der Freiburger Straßennamenkommission.