Im Ringen um mediale Aufmerksamkeit und Spendenbereitschaft der Bürger müssen sich Hilfsorganisationen heutzutage einiges einfallen lassen. Auftritte sollen spektakulär, provokant – in jedem Fall aber besonders sein. Das ist die WM-Tor-Aktion „7:1 - Deins!“ der in Würzburg ansässigen Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe– früher Deutsches Aussätzigen-Hilfswerk (DAHW) – allemal.
Tornetz in 8150 Teile zerstückelt
Die seit 1958 auch in Brasilien tätige Organisation bekam das Original-Fußballtor aus dem legendären WM-Halbfinale in Belo Horizonte für den guten Zweck geschenkt. Am 8. Juli 2014 hatte die deutsche Elf Brasiliens Nationalteam mit 7:1 Toren aus der WM geschossen. Das Tor der Schmach soll nun zum Tor der Hoffnung werden. Für den Mindestbetrag von jeweils 71 Euro können über 8150 einzelne Netzteile erspendet werden.
Vor wenigen Tagen wurde das Netz zerstückelt, seitdem werden die Knoten verschickt. Das Geld fließt in soziale Projekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche in den Armenvierteln von Belo Horizonte, wo die DAHW ein Büro betreibt.
DAHW-Chef zufrieden mit bisher 180 000 Euro
An die 580 000 Euro könnte das komplette Tornetz erlösen. Könnte. Wenn alle Netzknoten auch Abnehmer finden. Doch die Aktion hat ebenso wenig die erhoffte Fahrt aufgenommen wie die deutsche Elf in Russland: Erst 2580 Teile sind weg, noch 5564 sind zu haben.
Von Enttäuschung mag DAHW-Geschäftsführer Burkard Kömm dennoch nicht sprechen – immerhin habe man bislang 180 000 Euro an Spenden erhalten, damit sei er hochzufrieden. „Überrascht“ ist er aber durchaus. Wie andere hatte Kömm erwartet, dass die historischen Netzeile in wenigen Wochen vergriffen seien. Doch dann das deutsche Vorrunden-Aus in Russland – und auch die Aktion verlor nach drei Wochen an Schwung.
Nachlassendes Interesse nach deutschem WM-Aus
„Das haben wir total gemerkt“, berichtet DAHW-Pressesprecherin Jenifer Gabel. Sender hätten plötzlich Interview-Anfragen zurückgezogen. Und auch der Auftritt des Tores und die Vorstellung der Aktion im WM-Studio von ARD/ZDF fiel nach der Niederlage gegen Mexiko dürftiger aus als geplant.
Aber selbst wenn man den Aufwand für die eingeschaltete PR-Agentur und sonstige Werbemaßnahmen abzieht, bleibt nach Aussage des DAHW-Geschäftsführers ein ordentlicher Reinerlös – „mehr als die Hälfte“ der bisher gespendeten 180 000 Euro. Diese Summe fließe dennoch komplett in die brasilianischen Sozialprojekte. Denn die Tor-Werbung sei aus dem regulären Etat des Hilfswerkes für Öffentlichkeitsarbeit bestritten worden.
Neue Zielgruppen mit Aktion erreicht
Außerdem zählt für die DAHW nicht nur die finanzielle Bilanz. Die öffentliche Aufmerksamkeit durch die Aktion hat Kömm zufolge einen Gegenwert von 1,15 Millionen Euro. Dies habe eine professionelle Berechnung ergeben. Und das Hilfswerk tut sich mit den Themen Lepra und Tuberkulose durchaus schwer, jüngere und neue Zielgruppen zu erreichen. Mit dem WM-Tor sei dies gelungen, sind Kömm und Sprecherin Gabel überzeugt.
Im Übrigen läuft die Aktion weiter und soll noch einiges an Spenden einbringen. Die Netzknoten sind dekorativ mit Passpartout in einer Geschenkbox verpackt – sie können herausgenommen und auch in einen Bilderrahmen gesteckt werden.
Spendenaktion läuft weiter: „Klasse Geschenk“
„Das ist ein klasse Weihnachtsgeschenk für Privatleute oder Unternehmen“, sagt DAHW-Chef Kömm. Deshalb will man weiter für die Spendenaktion werben und steht in Kontakt mit Fußballmagazinen wie „Kicker“ und „11 Freunde“. Das Gestänge des WM-Tores findet bis Weihnachten seinen Platz im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. Die Übergabe soll genutzt werden, um weitere Netzteile zu „verspenden“.
Einer, der sein Stück Fußballgeschichte schon in Händen hält, ist Matthias Mohr aus Höchberg (Lkr. Würzburg). Der Ingenieur nutzte seinen 50. Geburtstag, um – statt Geschenken – Spenden zu sammeln. Die Toraktion kam ihm da gerade recht, hat er doch etliche berufliche und private Kontakte nach Brasilien: Er hat dort studiert, spricht Portugiesisch und hält bisweilen Seminare an der Universität in Rio.
Brasilien-Fan nutzt runden Geburtstag
Mohr, heute Leiter einer Unternehmensakademie, kennt auch Belo Horizonte gut. Deshalb hat er die Spende seiner Geburtstagsgäste verdoppelt und sich damit gleich 16 Netzteile gesichert. Was er damit macht? „Eins behalte ich auf jeden Fall. Die meisten werde ich aber an Brasilianer verschenken. Für sie hat das Tor noch eine viel stärkere Bedeutung.“
Welche Maßnahmen in Belo Horizonte genau gefördert werden, entscheidet sich demnächst. Laut DAHW-Geschäftsführer Kömm erfolgt die Ausschreibung nächste Woche. Dann können sich soziale Gruppen und Projekte um eine Förderung bewerben. Die Entscheidung treffen Vertreter der DAHW und der Stadiongesellschaft. „Den tatsächlichen Bedarf werden wir genau prüfen“, verspricht Kömm.
Auch „Bild“ litt unter deutschem WM-Desaster
Den negativen Einfluss des deutschen WM-Desasters in Russland bekam übrigens auch die „Bild“-Zeitung zu spüren: Sie versteigerte für die Aktion „Herz für Kinder“ über Ebay ein komplettes Tor aus dem WM-Finale von 2014. Das höchste Gebot: gerade mal 21 500 Euro. Im Vergleich dazu kann sich das Würzburger Ergebnis schon jetzt sehen lassen.
Gespendet werden kann hier: www.7zu1-deins.de
oder mit herkömmlicher Überweisung:
Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, IBAN: DE35 7905 0000 0000 0096 96, Stichwort: „7zu1deins“
Weitere Infos zur Aktion im Internet: www.7zu1-deins.de, per E-Mail an info@7zu1-deins.de oder Tel. (030) 297724-26. DAHW: www.dahw.de