Sommerhausen, Bad Windsheim, Krefeld und Philadelphia: Hier gibt es Pastorius-Straßen, Pastorius-Häuser, die Pastorius-Schule, Denkmäler und einen Park. Franz Daniel Pastorius, geboren 1651 in Sommerhausen, verstorben vermutlich 1720 in Germantown/Philadelphia, gilt als der Ur-Vater aller Deutschen in den USA. Und er ist der einzige Deutsche, der es bislang mit einem Bildnis bis ins Capitol nach Washington geschafft hat.
Doch wer weiß das schon in Deutschland – außerhalb von Sommerhausen oder Bad Windsheim, wo die Familie hinzog als Franz Daniel sieben Jahre alt war? Oder außerhalb von Krefeld, wo die Siedler herstammten, die er in die Neue Welt anführte?
Tatsächlich ist Pastorius eine ganz herausragende Persönlichkeit - in seinem Tun und Wissen: Sprachtalent, universell gelehrt, moralisch vorbildlich und politisch weitsichtig. Erlebbar ist der Universalgelehrte und Vielschreiber heute in seinen Tagebüchern und Arbeiten als Jurist, als Botaniker, Pädagoge, Poet, Entdecker … und Christ. Einige der Sendbriefe, Traktätlein, Prosa, Gedichte und Lehrbücher lassen sich inzwischen bequem in Online-Bibliotheken nachlesen.
Als Urvater der deutschen Siedler in den USA, als „ethnischer Schutzheiliger der Deutschamerikaner“ allerdings steht er hinter General von Steuben und dem radikaldemokratischen Revolutionär Carl Schurz nur an dritter Stelle. Dort sah ihn jedenfalls Frank Trommler 2002 bei einem Kolloquium im Haus der Bayerischen Geschichte zur "Auswanderung aus Bayern nach Nordamerika". Trommler ist emeritierter Professor der University of Pennsylvania in Philadelphia und gilt als einer der wichtigsten Vermittler deutsch-amerikanischer Kulturgeschichte. Das Wirken der German-Americans in der amerikanischen Gesellschaft hat er jahrzehntelang beforscht hat.
Demnach war Pastorius nach seinem aufregenden und überaus engagierten Leben erst einmal 200 Jahre lang tot – bevor er in den USA wiederentdeckt und mit Denkmalen, mit Feiern und dem Pastorius-Day am 6. Oktober geehrt wurde. Inzwischen heißt der Tag German-American Day, genau genommen seit ihn Ronald Reagan 1983 mit Bezug auf den 300. Jahrestag der Ankunft der Krefelder Quäker-Familien dazu gemacht hat. Sie waren am 6. Oktober 1683 in Philadelphia angekommen und hatten dort Germantown gegründet.
Zu seinen besten Zeiten, 1883, waren laut Trommler 10 000 Menschen beim Festzug am Pastorius-Day auf der Straße. Die Ikone wurde begründet. Monografien zu den ersten deutschen Einwanderern und zu Pastorius Leben von Oswald Seidenstricker und Marion Dexter Learned von 1883 und 1908 sind noch heute die wichtigsten, grundlegenden Arbeiten. Der Präsident mit den deutschen Wurzeln in der Pfalz, Donald Trump, hat den German-American Day dieses Jahr übrigens erneut kraft Amtes als solchen deklariert hat – der wirtschaftlichen und kulturellen Basis wegen, die die Deutschen geschaffen hätten und die „von zentraler Bedeutung für unseren Fortschritt als Nation“ gewesen seien.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein bildeten Deutsche in den Vereinigten Staaten die stärkste Einwanderergruppe. Etwa 43 der 330 Millionen US-Amerikaner beruft sich heute auf deutsche Wurzeln und den Sommerhäuser, der als erster Deutscher Siedler gilt. Sie feiern einen Mann, der laut Trommler für einen echten Neuanfang steht, für eine Toleranz nach dem Gleichheitsgrundsatz, wie es der anderen großen Einwanderergruppe, den moralistischen Puritanern fremd war.
Die 13 Krefelder Quäkerfamilien waren keine Abenteurer gewesen. Sondern Siedler, die mit Sack und Pack samt Webstühlen übersetzten, um das von Staatsgründer William Penn beworbene Land zu besiedeln. Zu unrecht stand Franz Daniel Pastorius jedenfalls nicht ganz oben auf der Liste, als es um die Einbürgerung der ersten systematisch siedelnden Deutschen ging. Denn seine Leistungen als Wegbereiter, als Jurist für Landerwerb und Siedlungsgründung sowie später als Bürgermeister und Friedensrichter müssen mehr als engagiert gewesen sein.
Ebenso wie Pastorius ware die Krefelder nicht von wirtschaftlicher Not getrieben zu Pionieren geworden, sondern von der Freiheit, von der Glaubensfreiheit, die es nach dem Westfälischen Frieden in den deutschen Landen nur für die Landesherren gab. Pastorius leitete das tätige Christsein, zu dem er sich als pietistischer Lutheraner bekannte und durch das er auch den Quäkern nahe stand.
In Erdhöhlen hausten die Siedler zunächst, bis genug Bäume in Penn’s Waldland für Blockhütten und Felder gerodet waren. Das Synonym für Germantown war Armentown im Indianerland - ein paar Meilen entfernt vom 80 Häuser zählenden Philadelphia. Pastorius’ Blockhütte stellte den Platz für die Zusammenkünfte der „Gesellschaft der Freunde“. Herrlich nachzulesen ist all das in den erhaltenen Schriften, mit vielen ungeahnten Details, sagt der Sommerhausener Werner Mündlein. Der Pastorius-Biograf sammelt seit Jahren jeden Hinweis auf den berühmten Franken. Und alle Ungereimtheiten über den Mann, von der es noch nicht einmal ein Bild gibt. Dafür viele Anknüpfungspunkte.
Die Weinreben, die Franz Daniel Pastorius mit in die Neue Welt hatte nehmen wollte, brachten den Sommerhäuser Weindozenten und Gästeführer Werner Mündlein auf seine Spur. Denn alle Weinreben in der Neuen Welt stammen aus Europa, sagt Mündlein. Die dir dort einheimischen wilden Arten hätten alle den Fox-Ton, den "Fuchsgeschmack" als unangenehmen und unerwünschten Fehler aufweisen. Doch hatten die verschifften Pflanzen große Schwierigkeiten mit dem salzigen Meerwasser gehabt und waren eingegangen.
Überliefert ist der Versuch, den Wein am Delaware anzubauen nicht zuletzt mit dem Wappen, das Pastorius für Germantown kreiert hatte: ein Kleeblatt in dessen drei Blättern ein Weinstock, eine Leinpflanze und ein Weberschiffchen für die Leinweber abgebildet sind. Die Siedlungen hießen nach der Herkunft der Einwanderer, unter anderem Crefeld und Sommerhausen.
Inzwischen heißt Sommerhausen "Chestnut Hill" und ist längst ein Vorort von Philadelphia geworden, ein attraktiver noch dazu, wo man gerne hinzieht, genau wie in das idyllische, unterfränkische Sommerhausen. Chestnut Hill liegt an der Germantown Avenue, der alten Hauptstraße, die noch immer dem Verlauf des alten Indianerpfades folgt, während rundherum die Straßen gerade gezogen wurden.
Als Unterhändler war Pastorius für William Penn bei den Einheimischen, den Lenni Lenape, unterwegs. Mit Diplomatie soll er für ein friedliches Miteinander gesorgt haben. Der Unterfranke ist fasziniert von ihrer Lebensweise, beschreibt die Esskultur, bei der nur das Nötigste aus der Natur genommen wird und Baumblätter als Teller dienen. In Genügsamkeit und Mäßigkeit seien die Lenni Lenape den Christen da weit voraus, hatte Pastorius beschieden. Seine Weltoffenheit, getreu seinem Wahlspruch „Prüfe alles, aber behalte das Gute“ und sein vom Gleichheitsgrundsatz der Quäker geleitetes Weltbild lassen Pastorius heute wieder äußerst modern erscheinen.
200 Jahre vor der Abschaffung der Sklaverei hatte Franz Daniel Pastorius zusammen mit drei weiteren Siedlern eine Protestschrift gegen die Sklaverei und für die Menschenwürde veröffentlicht, christlich motiviert und die erste überhaupt. Es sind genau diese Begebenheiten, die ihm einen Platz in den amerikanischen Geschichtsbüchern und im Deckenfries des Capitols verschafft haben. Er mag zwar Südstaaten- oder Texasdeutschen nicht als Identifikationsfigur dienen, laut Trommler noch nicht einmal über die deutsch-amerikanische Gesellschaft hinaus Bedeutung gehabt haben, doch die Besinnung auf die Toleranzpolitik der Quäker in Pennsylvania würden den geistigen Wurzeln der Vereinigten Staaten zu allen Ehren gereichen.
Artur Steinmann, seines Zeichens Fränkischer Weinbaupräsident und in der dritten Generation Eigentümer des Pastorius-Hauses, des Geburtshauses in Sommerhausen am Plan, wartet sehnsüchtig darauf. Er ist bestrebt, das Erbe hochzuhalten: „Wenn sich da etwas ändert mit der Präsidentschaftswahl, werden wir wieder Kontakt aufnehmen, versuchen etwas zu kitten in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.“ Die waren zuletzt zu Pastorius’ 300. Todestag im Januar diesen Jahres mit der Generalkonsulin Meghan Gregonis bei einer Feierstunde gepflegt worden.
Das Geburtshaus ist das eine, mit dem geistigen Erbe ist es schwieriger. „Ich würde Pastorius gerne mit seinen Texten noch mehr in die Öffentlichkeit bringen, gerade wo der Antisemitismus erstarkt. Als großer Humanist ist er mir bedeutsam, dessen Werte und Geist in das Jetzt und Heute transportiert werden müssten“, sagt Steinmann.
Wenn das keine Steilvorlage für Sommerhausens Stadtschreiber, Autor und Schauspieler Markus Grimm ist? Der ist gewappnet und begeistert: „Pastorius ist auf meiner Geheim-Agenda. - Leider!“ Davon träume man, einen wie Pastorius darstellen zu dürfen, einen Pastorius-Roman zu schreiben, schwärmt Grimm. Irgendwie aber brauche die Wiederentdeckung von Pastorius noch Vorlauf und Mitstreiter, Finanzierung vor allem.
"Seit Jahren schon hat mich das Projekt immer gereizt“, sagt auch Herbert Löw, „die Figur Pastorius an sich künstlerisch darzustellen. Ich sehe das Thema größer“. Löw, mit seiner Agentur für Künstler- und Kulturmanagement in Sommerhausen angesiedelt, hatte 2002 mit dem Bühnenautor Michael Klemm und dem Pastorius-Theaterstück „America“ bereits einen Versuch gewagt. Es blieb bei einer szenischen Lesung.
Einstweilen sind Werner Mündleins Vorträge und das vor 20 Jahren erschienene Büchlein von Konrad und Viola Maurer „Vom Main zum Delaware“ - erhältlich in der Tourist-Info der Landkreisgemeinde die beste Basis für eine Übersicht zu der faszinierenden Persönlichkeit, Franz Daniel Pastorius, die ihrer Wiederentdeckung harrt.